Kirche und Missbrauch:Vorauseilender Verfolgungswahn

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Kardinalsdekan Sodano erweist seinem Papst mit wüsten Angriffen auf Kritiker keinen guten Dienst.

Carsten Matthäus

Der Mann hat recht. Recht zu haben, ist ihm offenbar von Gott gegeben, denn er ist Kardinaldekan, einer der höchsten Hochwürden im globalen Geflecht der römisch-katholischen Kirche. Angelo Sodano weiß auch, was recht ist und was unrecht. Am Ostermorgen hat er seinem Papst die unverbrüchliche Gefolgschaft der gesamten Kirche zugesichert und alle Angriffe gegen den Heiligen Vater pauschal als ungerechtfertigt abgetan.

Er hat das weniger plump gemacht als sein Gesinnungsbruder Raniero Cantalamessa, Hausprediger des Papstes, der es zu Ostern nicht lassen konnte, einen unseligen Vergleich von Missbrauchsvorwürfen und Judenverfolgung anzustimmen. Sodano hat das etwas edler verpackt. Er sagte zu Ostern, die Kirche werde sich vom "unbedeutenden Geschwätz" nicht aus der Ruhe bringen lassen und stellte die "ungerechten Angriffe" gegen Benedikt XVI. in eine Reihe mit den Attacken der Kirchenkritiker auf Pius X., Pius XII. und Paulus VI.

Alarmierende Verquickung

Insbesondere mit dem zweiten Papstnamen provozierte Sondano, bestens geschulter Vatikan-Diplomat, bewusst die jüdische Gemeinde. Die unklare Haltung von Pius XII. zum Holocaust ist bis heute Gegenstand hitziger historischer Debatten. Giuseppe Laras, Ehrenvorsitzender der italienischen Rabbinerversammlung hat sich bereits in der Zeitung La Stampa empört, dies sei eine "alarmierende" Verquickung von Holocaust und den Vorwürfen gegen pädophile Priester.

Anders als Benedikts Hausprediger Cantalamessa entschuldigte sich Ober-Kardinal Sodano aber nicht, sondern untermauerte seine Worte in der nach-österlichen Ausgabe der Vatikanzeitung Osservatore Romano mit einem Interview. Die Fragen allein zeigen, dass es hier ums Recht haben und untermauern geht und nicht um eine wirkliche Auseinandersetzung: "Kann man Ihre Worte als Reaktion auf die Diffamierungskampagne gegen den Papst sehen?" "Die ganze Kirche steht hinter dem Papst: War das ihre Botschaft?" "Was hat Sie bei Ihrer Ansprache geleitet?"

"Waffe gegen die Kirche"

Der Kardinaldekan nutzt dankbar diese Stichworte und greift seine Gegner frontal an, stellt sie in verletzender Weise unter Generalverdacht. Die Attacken auf den Papst seien Teil einer Hasskampagne, getrieben von "Vorstellungen von Familie und von Lebensentwürfen, die dem Evangelium zuwiderlaufen", sagt er. Die sexuellen Übergriffe einzelner Priester würden als "Waffe gegen die Kirche benutzt". Päpste, die sich gegen den Modernismus stellten (Pius X.) oder ein konservatives Familienbild verteidigten (Paulus VI.), seien schon immer Ziel böswilliger Attacken gewesen. Ein Jesuswort hat der bibelfeste Kleriker dazu auch parat: "Wenn sie mich verfolgt haben, werden Sie auch Euch verfolgen" (Johannes 15, 20).

In seinen Antworten referiert Sondano unter anderem über die Strategie der Kirche, mit den Missbrauchsvorwürfen umzugehen: "Im Zuge dieser ungerechten Attacken wird uns gesagt, wir hätten nicht die richtige Strategie, dass wir anders reagieren müssten. Die Kirche hat ihre eigene Art und folgt nicht einfach den Methoden, die heute gegen den Papst verwendet werden. Die einzige Strategie, der wir folgen, ist die des Evangeliums."

Strategie des Evangeliums

Sodanos Strategie ist leicht durchschaubar. Er versucht, seiner Gefolgschaft ein neues Feindbild einzuimpfen. Das von den bösen Mächten, die das Fundament der kirchlichen Grundwerte untergraben wollen. Der Kirche soll damit - scheinbar Jesus gleich - die Rolle des Opfers zugesprochen werden, verfolgt von den Scharfmachern des Modernismus.

Diese Verteidigungsstrategie hat sehr wenig mit dem Geist des Evangeliums zu tun. Einer der fundamentalen Sätze Jesu, an dem sich die Kirche orientieren und messen lassen muss, ist dieser: "Lasset die Kinder zu mir kommen!" (Markus 10, 14). Niemals zuzulassen, dass das reine Vertrauen auch nur eines einzigen Kindes von einem kirchlichen Amtsträger missbraucht wird, ist eine Grundlage allen kirchlichen Lebens - völlig unabhängig von Familienbildern oder Lebenseinstellungen.

Man stelle sich nur für den Moment einmal vor, Sodano sei nicht Kardinalsdekan, sondern Chef eines großen Autokonzerns. Wegen verklemmter Gaspedale seien Menschen zu Schaden oder gar zu Tode gekommen. Aus Angst vor öffentlicher Empörung hätte der Konzern die Probleme zu lange verschwiegen. Der Chef geht nun aber nicht reumütig vor die Presse, er gibt seinem internen Mitteilungsblatt ein Interview, in dem er sagt: "Man kann doch wohl nicht einen Weltkonzern dafür verantwortlich machen, weil bei ein paar Fahrzeugen ein Pedal klemmt, schon gar nicht den Präsidenten. Überhaupt sind die Kritiker alles Umweltschützer, die uns das Autofahren verbieten wollen. Wir lassen uns von solchem Gerede nicht aus der Ruhe bringen. Unsere Strategie folgt höheren Werten."

Ähnlich wie die Sicherheit beim Autofahren ist der Schutz vor seelischen und körperlichen Grausamkeiten für die Kirche ein absolutes Gut. Nur wenn sie allen Willen zeigt, Kinderschänder und Gewalttäter im Priestergewand rückhaltlos zu verfolgen, zu bestrafen und aus dem Verkehr zu ziehen, kann sie ihre Glaubwürdigkeit erhalten. Auch dafür gibt es in den Evangelien eine Stelle: "Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde" (Matthäus 18,6).

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