Reformen:Wie sich Nordkorea unter Kim Jong-un verändert hat

Lesezeit: 3 min

  • Die Debatte, ob Kim ein Reformer sei, begann mit seinem Amtsantritt nach dem Tod des Vaters im Dezember 2011.
  • Kim verbesserte die wirtschaftliche Produktivität in seinem Land, ließ Wohnungen und Vergnügungsparks bauen.
  • Doch es gibt noch kein Modell, wie Kim soziale und politische Reformen zulassen könnte, ohne den Kollaps seines Regimes zu riskieren.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Kim Jong-un wirkt klug, freundlich und witzig, er hört gut zu, rückt seine Brille oft zurecht, fragt nach und lacht. Er hat Übergewicht und eine Frisur, die als extravagant gilt, mit der er in Seoul aber kaum auffallen würde. Die Studenten der Kookmin-Universität in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul hat der junge Diktator mit seinem Charme für sich gewonnen. Vor seinem Gipfeltreffen mit Präsident Moon Jae-in sahen ihn nur 4,7 Prozent positiv, jetzt ist es fast die Hälfte.

Trügt das Bild, täuscht Kim die Welt? Auch andere Diktatoren waren charmant. "Kim ist kein Reformer", schrieb Victor Cha schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt. Der Nordkorea-Experte des einstigen US-Präsidenten George Bush notierte: "Bleistiftabsätze und Mini-Röcke im nordkoreanischen Fernsehen" seien "gottgesandte" Signale für jene, die in Kim einen Reformer sehen wollen. Die Nordkoreaner würden mit Coca-Cola verhandeln, aber ihre Politik würden sie nicht ändern. So sieht Cha das jetzt noch. Er könne keine Intention Kims zur atomaren Abrüstung erkennen, sagte er in dieser Woche. Das nordkoreanische Regime setze immer dann auf Diplomatie, wenn es unter Druck stehe - diesmal wegen der Sanktionen. Von denen sagen Rückkehrer aus Pjöngjang allerdings, man merke nichts von ihnen.

Vor Treffen mit Trump
:Nordkorea will Atomtestgelände Ende Mai zerstören

Noch vor dem Gipfeltreffen von Kim und Trump sollen alle Tunnel gesprengt werden, der US-Präsident begrüßt die "kluge und großzügige Geste". Allerdings ist unklar, ob das Gelände überhaupt noch funktionstüchtig ist.

Die Debatte, ob Kim ein Reformer sei, begann mit seinem Amtsantritt nach dem Tod des Vaters im Dezember 2011. Schon bald versprach er den Nordkoreanern, ihren Alltag zu erleichtern. Er ersetzte die "Songun"-Politik seines Vaters, das Wort bedeutet "die Armee zuerst", durch "Byungjin", die Parallel-Entwicklung von Wirtschaft und Atomwaffen. Im vergangenen November erklärte er die Waffenentwicklung für abgeschlossen, nun konzentriere er sich auf die Wirtschaft. Sie wandelt sich tatsächlich. Einerseits hat das Regime begonnen, Teile von ihr zu entstaatlichen - zuerst die Landwirtschaft. Andererseits ist die staatliche Versorgung mit der Hungersnot in den späten 1990er-Jahren zusammengebrochen; seither ist von unten eine Marktwirtschaft entstanden. Damit hat sich Nordkoreas Produktivität deutlich verbessert.

Nordkoreas Elite, etwa 25 Prozent der Bevölkerung, die meist in Pjöngjang lebt und über den Rest der Welt Bescheid weiß, lässt Kim Wohnungen und Vergnügungsparks bauen. Er wagt also durchaus Wirtschaftsreformen. Diesen Prozess dürfte er sogar beschleunigen wollen. Denn auf die Dauer wird er seine Macht nur mit einem sich stetig verbessernden Lebensstandard rechtfertigen können.

Kim Jong-un war noch nicht einmal 30 Jahre alt, als er ziemlich unvorbereitet die Macht über ein marodes System übernehmen musste. Er hatte keine Wahl. Anders als sein Vater, der lange den Geheimdienst geleitet hatte, kannte er den Apparat kaum von innen. Nachdem der Vater 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte, war er im Schnelldurchgang durch verschiedene Ämter geschleust worden. Die Annahme, Kim führe das Regime seines Vaters weiter, griff deshalb zu kurz. Dazu dürfte er mit dem System in Nordkorea gar nicht vertraut genug gewesen sein. Die Annahme jedoch, er hätte die autokratische Macht von Anfang an selber ausüben können, scheint naiv zu sein.

Das reiche, offene, demokratische Südkorea lockt zu sehr

Inzwischen hat Kim seine Macht konsolidiert. Im Apparat hat er einen Generationenwechsel vollzogen und eigene Leute um sich geschart. Dazu gehört seine Schwester Yo-jong. Ob er auch eine politische Öffnung wagt, ist zweifelhaft. Sie wäre für Nordkorea noch schwieriger als einst für die früheren Sowjetrepubliken. In Kasachstan verwandelte sich der letzte KP-Chef über Nacht in einen "demokratisch" gewählten Präsidenten. Gewiss, Kasachstan ist eine Autokratie, aber es ist pluralistisch, seine Grenzen sind offen. Diesen Weg könne Kim nicht gehen, glauben die meisten Experten. Das reiche, offene, demokratische Südkorea locke zu sehr; es spricht dieselbe Sprache und würde alle Nordkoreaner einbürgern. Es gibt noch kein Modell, wie Kim soziale und politische Reformen zulassen könnte, ohne den Kollaps seines Regimes und sogar der Eigenständigkeit Nordkoreas zu riskieren.

Als Michail Gorbatschow 1985 Parteichef in der Sowjetunion wurde, leitete auch er einen Generationenwechsel ein und versuchte, die Wirtschaft zu sanieren. Staatsunternehmen übergab er die Eigenverantwortung. An eine Lockerung der Repression, insbesondere der Zensur, dachte er erst nicht. Vielmehr rationierte er den Wodka, das wurde ihm als Rückfall in den Stalinismus angekreidet. Erst als er sich mit US-Präsident Ronald Reagan traf und die Abrüstung einleitete, nahm der Westen ihn ernst und begann ihn bald zu feiern. Nordkorea hat bereits begonnen, sich zu wandeln. Aber im Westen hält sich die Karikatur vom fetten Bengel mit der absurden Haartolle, der mit Raketen um sich schmeißt. Oder er wird auf einen Sadisten reduziert, der ganze Familien ins Arbeitslager verbannt und seinen Onkel Jang Seong-taek 2014 hinrichten ließ.

Jang galt als Reformer, der Chinas Weg kopieren wollte. Seit seiner Hinrichtung hielten viele Experten Kim für einen brutalen Hardliner. In Seoul glaubten einige, der korrupte Jang, den der Vater Kim als Mentor zur Seite gestellt hatte, sei eben doch kein Reformer gewesen, sondern ein korrupter Bremser. Es gibt eine dritte Erklärung. Jang Jin-sung, ein prominenter Überläufer, schrieb damals, Kim selber habe keinerlei Macht, er sei nur eine Marionette von Hintermännern im Organisationsbüro der Partei. Diese hätten Jangs Hinrichtung befohlen, nicht er. Sie hätten ihn damit gewarnt, er solle nicht glauben, er regiere Nordkorea.

Einige Tage nach Jangs Hinrichtung saß Kim mit aschfahlem Gesicht, als sei er schwer krank, stumm auf einer Parteiversammlung. Das war ein anderer Mensch als der selbstbewusste, gewandte Machthaber, als der er jetzt auftritt. Und der Nordkorea nun offenbar selber steuert. Wohin und wie, wird er so wenig wissen, wie Gorbatschow, als er seine Reformen begann.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: