Karlsruhe:Wanka verteidigt AfD-Kritik vor dem Bundesverfassungsgericht

BVerfG verhandelt Äußerungsbefugnisse

Johanna Wanka: "Ich habe mich persönlich empört und darauf reagiert."

(Foto: Uli Deck/dpa)

Ein offizielles Statement bringt die Bildungsministerin in Erklärungsnot. Darf jemand in ihrer Funktion scharfe Kritik an der AfD üben? Die Richter sind skeptisch.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war, wenn man so will, der Tag der Volksweisheiten im Bundesverfassungsgericht. "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus": Damit wollte der Rechtsprofessor Joachim Wieland deutlich machen, dass einem scharfen Angriff der AfD auf die Kanzlerin eine entsprechend deutliche Antwort der Regierung folgen musste. "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil", so fasste eine Richterin diese Position zusammen - allerdings zweifelnd, ob das wirklich richtig sei. "Angriff ist die beste Verteidigung" - das wiederum behauptete Wieland.

Wie das so ist mit Volksweisheiten: Meistens stimmen sie nur so ungefähr, und manchmal liegen sie komplett daneben. In der Karlsruher Anhörung ging es um Grenzen, die Regierungsmitglieder im politischen Meinungskampf beachten müssen, wenn sie allein in amtlicher Funktion auftreten und nicht als Parteipolitiker. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatte die AfD zu einer Demonstration am 7. November 2015 in Berlin aufgerufen. Motto: "Rote Karte für Merkel - Asyl braucht Grenzen." Das hat sie also in den Wald hineingerufen.

Der Wald antwortete in Person von Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung, und zwar auf der Website des Ministeriums. Die Überschrift paraphrasierte die AfD-Attacke ("Rote Karte für die AfD"), im Text ging es zur Sache: "Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung." Grober Klotz, grober Keil.

AfD habe die Ängste der Bevölkerung instrumentalisiert

Wanka erläuterte in Karlsruhe, dass sie sich dazu berechtigt sah - gerade auch als Regierungsmitglied. Die AfD habe in angesichts dieser großen Belastungsprobe, die auf Deutschland zugekommen sei, die Ängste der Bevölkerung instrumentalisiert. "Ich habe mich persönlich empört und darauf reagiert." Joachim Wieland, ihr juristischer Vertreter, fügte hinzu, die AfD habe der Kanzlerin zudem Verfassungsbruch vorgeworfen - der schlimmste Vorwurf überhaupt. Da müsse einem Regierungsmitglied ein "Recht auf Gegenschlag" in gleicher Tonlage erlaubt sein - schon, um in der Lautstärke der Internetkommunikation nicht unterzugehen. Es könne doch nicht sein, dass eine Regierung dies "mit gefesselten Füßen" schweigend hinnehmen müsse.

Präsident Andreas Voßkuhle signalisierte zwar Verständnis für Wankas Empörung: "Als Kanzlerin kann man sich eine solche Ministerin ja nur wünschen." Dennoch überwogen bei ihm und seinen Senatskollegen sichtlich die Zweifel, ob dieser Angriff wirklich die beste Verteidigung war. Die Regierung werde doch andauernd angegriffen, merkte Peter Huber an: Wo seien da die Grenzen eines angeblichen Rechts auf Gegenschlag? "Was bleibt dann vom Sachlichkeitsgebot und der Neutralitätspflicht der Regierung übrig?", fragte seine Kollegin Doris König. Grober Klotz grober Keil? Müsste die Regierung nicht eher besonders seriös in ihren Äußerungen sein, fragte Richterin Christine Langenfeld.

Der verfassungsrechtliche Ausgangspunkt der Organklage der AfD - die an diesem Mittwoch damit ihren ersten Auftritt im Sitzungssaal des Verfassungsgerichts hatte - ist die Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb, die nicht durch den Einsatz des mächtigen Regierungsapparats verzerrt werden darf. In der Parteiendemokratie verlaufe die Willensbildung von unten nach oben und nicht umgekehrt, erläuterte Peter Müller, im Zweiten Senat als Berichterstatter für das Verfahren zuständig. Fast genau ein Jahr vor Wankas Aufruf hatten die Verfassungsrichter einen ähnlichen Fall zu entscheiden - es ging um eine Äußerung vom Familienministerin Manuela Schwesig zur NPD. Der feine Unterschied zur Causa Wanka: Schwesig hatte sich in einem Interview geäußert, also gleichsam in ihrer Doppelnatur als Parteipolitikerin und Ministerin. Das war erlaubt, fand das Gericht. Zugleich aber markierte es die Grenze zur unzulässigen Parteinahme. Sie sei insbesondere dann überschritten, "wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt". Besonders problematisch: "Amtliche Verlautbarungen" in Form von Pressemitteilungen auf den offiziellen Internetseiten der Regierung.

Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet, und es sieht ganz danach aus, als würde die AfD in ihrem ersten großen Karlsruher Verfahren einen Sieg davon tragen. Voßkuhle, immer um praktikable Lösungen bemüht, merkte noch an, dass die Regierung dann gleichwohl nicht mit "gefesselten Füßen" dastünde. Der Gang in die Talkshow, das Interview in der Tageszeitung - dort könne sich ein Regierungsmitglied ja ohne Zweifel am politischen Meinungskampf beteiligen. Nur auf den offiziellen Kanälen müsse die Regierung vielleicht doch mehr Zurückhaltung wahren. "Damit sie nicht so aus dem Wald herausruft, wie es hineinschallt."

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