Bundesverfassungsgericht:Wie weit darf ein Regierungsmitglied gehen?

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Anlass für die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: eine ungeschickte Pressemitteilung aus dem Hause der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU),

(Foto: dpa)

Johanna Wanka wollte der AfD die "Rote Karte" zeigen - dumm nur, dass sie als Bildungsministerin zur Zurückhaltung verpflichtet ist. Jetzt entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den Fall.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Für Oppositionsparteien ist das Bundesverfassungsgericht am Schlossplatz immer eine gute Adresse. Nicht nur, weil das Grundgesetz ihnen ein paar robuste Rechte zur Verfügung stellt, sondern auch, weil der Sitzungssaal mit dem hölzernen Adler eine publikumswirksame Bühne bietet. Grüne und Linke sind daher Dauergäste in Karlsruhe. Am kommenden Mittwoch wird nun die AfD ihre Premiere in einer mündlichen Verhandlung geben. Und hat sogar Aussicht, sich durchzusetzen.

Anlass für die Organklage der Rechtspopulisten bot eine - man muss es wohl so formulieren - ungeschickte Pressemitteilung aus dem Hause der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Unter der Überschrift "Rote Karte für die AfD" wurde am 4. November 2015 auf der Homepage des Ministeriums eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sich Wanka zur geplanten AfD-Demonstration "Rote Karte für Merkel! - Asyl braucht Grenzen" in Berlin äußerte: "Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung."

Ähnliche Sätze hat man über die AfD bereits vielfach gehört, gerade auch aus dem Munde von Politikern. Das Problem ist nur: Während einem Politiker scharfe Angriffe auf den politischen Gegner nicht versagt sind, muss sich ein Minister im Meinungskampf zurückhalten, um nicht die Chancengleichheit im Parteienwettbewerb durch regierungsamtliche Einflussnahme zu verzerren. Die Verfassungsrichter reagierten prompt: Schon drei Tage später - also am Tag der Berliner Demonstration - verfügten sie per Einstweiliger Anordnung, die Pressemitteilung müsse von der Homepage verschwinden.

Gewiss, eine Eilentscheidung muss noch keine Vorwegnahme des endgültigen Ergebnisses sein. Umso mehr, als eine Ministerin nun mal eine politische Doppelnatur ist - Regierungsmitglied, aber auch Parteipolitikerin und als letztere mit dem Recht zur harten Attacke ausgestattet.

Das hatte der Zweite Senat erst im Dezember 2014 in einem praxisorientierten Urteil herausgearbeitet. Damals ging es um Manuela Schwesig, Bundesministerin, aber eben auch stellvertretende SPD-Vorsitzende. Sie hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: "Ziel Nummer eins muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt." Das durfte sie, befand das Gericht, denn die bloße Übernahme eines Regierungsamtes solle gerade nicht das Ende des parteipolitischen Engagements bedeuten. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sprach aber zugleich eine Mahnung aus: Schwesigs Sieg in Karlsruhe "sollte nicht als Freifahrschein für die Zukunft missverstanden werden".

Hätte Wanka das Urteil gelesen, dann hätte sie noch sehr viel präzisere Warnungen entdeckt. Danach ist die Grenze zur unzulässigen Parteinahme insbesondere dann überschritten, "wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt". Ein paar Zeilen weiter wird der Senat noch deutlicher: "Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs erklärt." Knapp ein Jahr später stellte Wanke dann die Rote Karte für die AfD auf die offizielle Internetseite ihres Geschäftsbereichs.

Ist der ungelenke Aufruf dennoch zu retten? Die CDU-Politikerin wird in Karlsruhe vorbringen, dass sie den Aufruf nur als Johanna Wanka verfasst habe, ohne Bezugnahme auf ihr Ministeramt - immerhin. Vermutlich wird ihr rechtlicher Vertreter auch darauf hinweisen, dass man sich nicht in der heißen Phase des Wahlkampfs befand, wo noch strengere Regeln gelten.

Mag sein, dass zu ihren Gunsten auch ins Feld geführt wird, die Kurzmitteilung sei eine eher lässliche Sünde. Jedenfalls nicht vergleichbar mit jener Aktion, die einst zum ersten Karlsruher Grundsatzurteil in Sachen Wahlbeeinflussung geführt hatte. 1976 schaltete die sozial-liberale Bundesregierung in den Monaten vor der Wahl eine massive Anzeigenkampagne, finanziert aus Haushaltsmitteln - und handelte sich einen harschen Rüffel des Verfassungsgerichts ein: Verfassungsorgane des Bundes dürften nicht parteiergreifend in den Wahlkampf hineinwirken. Dagegen wirkt Wankas "Rote Karte" wie ein schüchterner Einspruch.

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