Kanzlerin in Vietnam:Als Merkel das Tor des Erfolges durchschritt

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Das Leben kann so schön sein für eine Regierungschefin: Auf ihrer Asientour wirkt Angela Merkel, als mache sie Urlaub von der Eurokrise. Doch sie muss sich auch Fragen zu Rettungsschirm und Griechenland stellen lassen - und dazu, ob die Zeit für die Reise wirklich so günstig war.

Stefan Braun, Hanoi

So viel Gutes und Schönes hat es lange nicht mehr gegeben. Begrüßt wird Angela Merkel vom Brunnen der himmlischen Klarheit. Danach passiert sie steinerne Schildkröten, die stehen für Weisheit und Dauer. Schließlich durchschreitet sie das Tor des Großen Erfolgs. Was will man mehr. Die Kanzlerin besucht den Literaturtempel in Hanoi, und ihre kleine Visite klingt nach einer einzigen großen Verheißung. Kein Wunder, dass sie sehr zufrieden aussieht auf diesem kleinen Spaziergang.

Kanzlerin trifft Konfuzius: Angela Merkel im Literaturtempel in Hanoi. (Foto: dpa)

Die Kanzlerin macht dieser Tage Urlaub. Jedenfalls ein klein wenig Urlaub von der Krise in Europa. In der vietnamesischen Hauptstadt erinnert erst mal wenig an den Euro, die Schulden, die Krise, den erneuten Kampf ums Überleben der Banken. Der Tempel im fernen Hanoi wurde vor knapp 1000 Jahren zu Ehren des chinesischen Philosophen Konfuzius errichtet. Hier wurden über Jahrhunderte die Besten der Besten ausgebildet. Merkel fragt nach diesem und jenem, sie lacht mit dem Kulturführer, und man kann es drehen und wenden, aber die Regierungschefin sieht fern der Heimat einfach viel entspannter aus als zu Hause.

Für anderthalb Tage ist sie nach Vietnam geflogen, ein Staatsbesuch wie viele, mit Händeschütteln, militärischen Ehren, steifen Begrüßungen und lockereren Gesprächen beim Mittagessen. Die Krise in Europa, die so sehr brennt und nach Lösungen schreit, scheint ein paar Stunden wie verschwunden zu sein. Entsprechend genießt die Kanzlerin, plaudert und staunt, lässt sich alles genau erklären. Endlich mal was Neues und Fremdes, Merkel badet im Augenblick, der an das in normalen Zeiten ganz normale Leben einer Regierungschefin erinnert.

Urlaub? Tapetenwechsel? Das ist natürlich eine kleine Unverschämtheit. Denn auch hier ist das Programm vor allem anstrengend. Ankommen, rein ins Auto, 45 Minuten Premierminister, 30 Minuten Parlamentspräsident, 30 Minuten Zivilgesellschaft, 45 Minuten Besuch bei einem deutschen Mittelständler. Zack-zack, die anderthalb Tage müssen genutzt werden. Und weil das alles noch lange nicht 25 Stunden Flugzeug rechtfertigen würde, geht es auf dem Rückweg von Vietnam noch in der Mongolei vorbei. Man muss doch Kontakte pflegen, Zugang zu Bodenschätzen sichern. Und wenn es richtig gut geht, kann die Kanzlerin für die deutsche Wirtschaft auch noch bei den besonders wichtigen und besonders wertvollen "seltenen Erden" ins Geschäft kommen.

Zu Besuch bei den "Preußen" Asiens

Eine Regierungschefin als Handlungsreisende im aufstrebenden Vietnam, dann in der bodenschatzreichen Mongolei - so sieht es aus, das normale Leben. Soll also keiner kommen und hier von Urlaub reden. Die Welt dreht sich schnell, die Chinesen, die Amerikaner, die Brasilianer, sie alle kämpfen um die Vormacht auf den Märkten. Da kann eine Kanzlerin nicht zum dritten Mal eine Visite in Vietnam absagen.

Schön freilich ist es trotzdem, zumal die Kanzlerin hier sogar Begeisterung auslöst. Das ist nicht einfach unter den "Preußen" Asie ns, wie die Vietnamesen voller Hochachtung, aber auch ein bisschen ironisch genannt werden, weil sie eifrig sind und fleißig, fast keinen Urlaub machen und eine ganze Weile brauchen, bis sie ihre Freundlichkeit entfalten. Vor den Toren Hanois aber, dort, wo die Firma Braun Medizintechnik gerade ein Werk ausbaut, sind sie fast aus dem Häuschen.

Den Weg säumen strahlende Kinder mit deutschen und vietnamesischen Fähnchen. Trommler trommeln, bis ihnen der Schweiß auf der Stirn steht. Dazu gibt es Lob vom vietnamesischen Premierminister für das gute Verhältnis, Lob von der Gesundheitsministerin, weil hier ein deutscher Mittelständler sein Werk so vorbildlich ausbaut. Schuldenkrise hin, Griechenland her - das Leben kann schön und befriedigend sein für eine Regierungschefin.

Merkel, die Regenmacherin: Die Kanzlerin schwingt im Literaturtempel von Hanoi den Schlegel. (Foto: dpa)

Deshalb wehrt sie sich auch ziemlich vehement, als Leute fragen, ob sie nicht vielleicht doch besser in der Nähe des Euro geblieben wäre. Das geschieht bereits auf dem Hinflug: Merkel sitzt im Briefing-Abteil ihres Regierungsflugzeugs, sie trägt eine legere Strickjacke (die natürlich überhaupt nicht an die von Helmut Kohl im Kaukasus erinnert), hält den obligaten Becher Kaffee in der Hand. Und sie antwortetet "Nein, nein, nein" auf die Frage, ob die Reise vom Zeitpunkt her vielleicht doch falsch sein könnte.

Nun sind solche Runden ganz offiziell vertraulich. Und doch wird man nicht zu viel verraten, wenn man berichtet, dass sie mit lauter Stimme erklärt, dass sie derlei Gedanken wirklich gar nicht teilen möchte. Weil nach dem Treffen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vom Sonntag nun ohnehin erst mal die Fachebenen dran seien, sei es nachgerade eine ideale Woche, um so eine Reise zu machen.

Dass die Slowakei zum Rettungsschirm dauerhaft Nein sagen könnte, beendet sie mit einer Mischung aus Lächeln und Kopfschütteln. Und im Übrigen sei diese Reise eine, die dringend mal gemacht werden müsste. Ein aufstrebendes Land, Deutschland zugewandt, boomend, zweimal habe sie schon absagen müssen, entsprechend zieme es sich, den Vietnamesen diesmal "diese Ehrerbietung" zu erweisen.

Also fliegt die Kanzlerin nach Südostasien, aber im Kopf bleibt sie mindestens zur Hälfte zu Hause. So jedenfalls fühlt es sich an, wenn man ihre engsten Mitarbeiter erlebt, die zwar irgendwie anwesend sind, aber doch auch an die Slowakei, an die Banken und an die Frage denken, wer in Berlin wohl das erste Nein der Slowaken kommentieren könnte. Außerdem, und dagegen kann die Kanzlerin nichts tun, wird sie auch in Vietnam gefragt, wie das nun werden wird mit dem Euro.

Der Premier, der Parlamentspräsident, der Vorsitzende des Volkskongresses - sie alle wollen es wissen. Und so kann Merkel lange eisern schweigen und muss sich am Ende doch einmal öffentlich äußern. Auf einer Wirtschaftskonferenz, noch bevor entsprechende Meldungen aus der Slowakei durchsickern, erklärt sie, dass sie sich "sehr gewiss" sei, dass beim nächsten EU-Gipfel am 23. Oktober alle Euro-Staaten dem Rettungsschirm zustimmen. Auf die Frage, wo sie diese Gewissheit hernehme, bleibt sie spitzbübisch verschlossen: Sie habe dem nichts hinzuzufügen.

Einer ihrer Mitarbeiter sagt zwar in einer ruhigen Sekunde, dass der Trip schon ein bisschen "grenzwertig" gewesen sein könnte. Doch die Kanzlerin genießt das Fremde und schwingt dabei sogar einen Knüppel. So immerhin sieht der Schlegel aus, den ihr am Ende ihrer Tour durch den Literaturtempel ein Begleiter in die Hand drückt. Etwas erhöht soll sie eine große Trommel schlagen, die aussieht wie ein großes, quer gelegtes Weinfass.

Merkel zögert erst. Was könnten das wieder für Bilder werden. Als sie dann aber erfährt, dass Ex-Bundespräsident Horst Köhler das einst auch gemacht hat, geht sie hoch und haut mit wachsendem Vergnügen dreimal auf die Pauke. Ursprünglich heißt es, das werde Glück bringen. Dann erfährt man, es fördere den Regen. Keine 30 Minuten später ergießt sich ein Wolkenbruch über die Hauptstadt. Merkel, die Regenmacherin? Das könnte ihr so passen.

© SZ vom 13.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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