Japan:Mitmachen im Mächtespiel

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Auf Drängen von Premier Abe gibt das japanische Parlament der Armee mehr Handlungsfreiheit. Eine Abkehr vom Pazifismus? Das wohl nicht. Aber das Signal an die Region ist trotzdem nicht unproblematisch.

Von Stefan Kornelius

Die Interpretation einer Verfassung ist eine komplizierte Angelegenheit, weshalb niemand vorschnell die japanische Regierung verurteilen sollte, die jetzt in einem aufsehenerregenden Akt gleich elf neue Sicherheitsgesetze vom Parlament beschließen ließ - und damit das Land in ein neues sicherheitspolitisches Zeitalter befördert hat. Die Relativierung beginnt schon hier: Nein, Japan ist nicht per Katapult in diese neue Zeit gekommen, sondern hat sich seit Jahren hineingeschlichen. Das sogenannte Pazifismus-Gebot, 1946 von den USA in die japanische Verfassung geschrieben, hatte keine zehn Jahre Bestand und ist heute längst neuen Interpretationen gewichen.

Japan vollzieht jetzt den Schritt, den Deutschland 1994 mit dem Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts tat. Damals erlaubten die Richter den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Bündnisgebietes. In Japan geht die Zäsur sogar tiefer: Dem Militär war bisher nicht einmal ein Bündniseinsatz etwa zum Schutz der USA erlaubt. Jetzt dürfte das japanische Militär zu Hilfe eilen, wenn etwa ein amerikanischen Kriegsschiff von einer nordkoreanischen Rakete getroffen würde.

Tokio gibt seinem Militär mehr Einsatzmöglichkeiten

Der Vergleich mit Deutschland taugt aber nicht wirklich, weil Japan in keinem kollektiven Verteidigungssystem wie der Nato Mitglied ist und nur die USA als Partner kennt. Und weil jedes Land gerade seine sicherheitspolitischen Entscheidungen auch vor dem Hintergrund seiner Geschichte und der Befindlichkeit der Öffentlichkeit treffen muss.

Hier hat die Regierung von Premier Shinzo Abe ihren wohl größten Fehler begangen: Sie hat ihre sicherheitspolitischen Absichten nicht lange und gut genug erklärt, auch war die Begleitmusik zur neuen Militärpolitik nicht dazu angetan, Vertrauen in diese Reform zu wecken. Das Gesetzespaket räumt zwar auf mit ein paar sehr seltsamen Selbstbeschränkungen, aber es lässt zu viel Interpretationsspielraum. Wie weit geht die Hilfe in einem kollektiven System mit den USA genau? Was exakt sind "existenzielle japanische Interessen", die als Einsatzschwelle genannt sind?

Es gibt wenig Anlass, Abe nun einen neuen Militarismus zu unterstellen. Die japanische Gesellschaft hat ihre Ablehnung für Krieg und Gewalt mehr als deutlich ausgedrückt. Der Protest gegen die Gesetze ist bemerkenswert heftig. Es ist Abe, der mit seiner geschichtspolitischen Begleitmusik den falschen Ton setzt. US-Präsident Theodore Roosevelt riet, in sicherheitspolitischen Dingen sanft zu sprechen, aber einen dicken Knüppel dabeizuhaben. Abe redet unsanft - und nun hat er sich ein Knüppelchen zugelegt.

Diese Mischung entwickelt im großen Aggressionstheater Fernost eine andere Wirkung, als das etwa das Awacs-Urteil in Deutschland und die nachfolgende Entsendepolitik tat. Im Pazifik entfaltet sich gerade ein Mächtespiel der alten Art, ein nationalistisch angehauchtes Gehakel um Einfluss und Dominanz. Im Schatten der Großmächterivalität zwischen den USA und China positionieren sich Freund und Feind. Chinas aggressives Auftreten im Südchinesischen Meer, die Inselstreitigkeiten zwischen Japan und China, die Unentschlossenheit Südkoreas zwischen den Lagern, die Zeitbombe Nordkorea und - auch dies - ein Amerika, das nicht genau weiß, wie es mit China umgehen soll - Stabilität sieht wahrlich anders aus.

Japan hat in diesem Augenblick beschlossen, dass es ebenfalls auf der sicherheitspolitischen Klaviatur mitspielen möchte. Und hat sich diese (wenn auch immer noch sehr bescheidene) Klaviatur zugelegt. Im Sinne der Ehrlichkeit und Transparenz könnte diese Entscheidung sogar für Stabilität sorgen. Shinzo Abe ist allerdings nicht der Premier, der für Vertrauensbildung bekannt geworden ist.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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