10 Jahre nach der Schröder-Rede:Hartz IV und die Statistik

Sind die Agenda 2010 und die mit ihr verbundenen Hartz-Gesetze ein Erfolg? Ob man diese Frage mit Ja oder Nein beantwortet, hängt stark vom politischen Standpunkt ab. Es gilt selbst dann, wenn es nur um nüchterne Statistikdaten geht. Ein Überblick über die wichtigsten Zahlen.

Von Oliver Klasen

"Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen". Diesen Satz sagte der damalige Bundeskanzler Gehard Schröder am 14. März 2003 im Bundestag. Mit seiner Regierungserklärung startete die Umsetzung der sogenannten Agenda 2010 und der damit verbundenen Hartz-Gesetze. Sie sollten die Wachstumsschwäche Deutschlands überwinden helfen, den Arbeitsmarkt flexibler machen und mehr Menschen in eine Beschäftigung bringen.

Jetzt, genau zehn Jahre später, wird Bilanz gezogen. Alle Parteien in Berlin, bis auf die Linke, sind sich einig: Die Agenda 2010, insbesondere ihr wichtigster Teil, die Einführung von Hartz IV, war im Grunde ein Erfolg, auch wenn es einzelne Auswüchse und Fehlentwicklungen zu korrigieren gilt. Sozialverbände dagegen zeichnen ein weniger optimistisches Bild.

Doch wie man die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze in der Rückschau bewertet, hängt stark vom ideologischen Standpunkt ab. Zeit vielleicht, um ein bisschen statistisches Material zu liefern. Ein Überblick über die wichtigsten Zahlen zu Hartz IV.

  • Zahl der Hartz-IV-Empfänger: Derzeit gibt es in Deutschland nach den neuesten verfügbaren Zahlen von Februar dieses Jahres ungefähr 6,12 Millionen Leistungsempfänger. Sie teilen sich auf in die 4,42 Millionen erwerbsfähigen Bezieher von Arbeitslosengeld II, wie es korrekt heißt, und in die etwa 1,7 Millionen nicht-erwerbsfähigen Empfänger von Sozialgeld. Das sind zum Beispiel Kinder und Jugendliche, die mit ALG-II-Empfängern in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft leben.
  • Zahl der Bedarfsgemeinschaften: Die insgesamt mehr als sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger leben in 3,32 Millionen Bedarfsgemeinschaften zusammen. Das sind Personen, bei denen die Jobcenter davon ausgehen, dass sie besondere persönliche Beziehungen zueinander haben und in Notlagen füreinander einstehen. Das trifft zum Beispiel auf nicht-verheiratete Paare zu, auf Mitglieder von Wohngemeinschaften dagegen nicht.
  • Regelsatz: Im Jahr 2005, bei der Einführung des ALG-II, betrug der Regelsatz für eine alleinstehende oder alleinerziehende Personen 345 Euro. Von diesem Betrag müssen alle Ausgaben des Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Kosten für Wohnung und Heizung bestritten werden. Inzwischen ist der Regelsatz in mehreren Stufen auf 382 Euro angehoben worden, zuletzt im Januar 2013 um acht Euro.
  • SGB II und SGB III: Wichtig ist die Unterscheidung zwischen dem Sozialgesetzbuch II, das, alle Hartz-IV-Empfänger erfasst und dem Sozialgesetzbuch III, dass die Leistungen für Bezieher von Arbeitslosengeld I regelt. Nicht alle der 3,14 Millionen Arbeitslosen sind Hartz-IV-Empfänger. 1,13 Millionen (34 Prozent) von ihnen beziehen Arbeitslosengeld I. Umgekehrt sind aber auch nur 2,02 Millionen (45 Prozent) der insgesamt 4,42 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger arbeitslos. Die anderen können etwa einen Minijob haben oder so wenig verdienen, dass ihr Einkommen nicht zum Lebensunterhalt ausreicht und das Jobcenter. Man spricht von den sogenannten "Aufstockern" (In diesem Schaubild der Bundesarbeitsagentur werden die Unterschiede auf einen Blick deutlich)
  • Verweildauer in Hartz-IV: "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV", so lautet das Klischee. Tatsächlich zeigt die Statistik, dass im Berichtsmonat Dezember 2011 - das ist die aktuellste Zahl, die die Arbeitsagentur zur Verfügung hat - knapp 60 Prozent aller in Bedarfgemeinschaften lebenden Personen zwei Jahre und länger auf Hartz-IV angewiesen waren. Nur 8,8 Prozent schafften es, innerhalb von weniger als drei Monaten aus Hartz-IV herauszukommen. Überraschend: Diese Anteile sind über nahezu alle Gruppen - Singles, Paare, Alleinerziehende, Deutsche, Ausländer und über alle Bundesländer ähnlich hoch.
  • Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger liegt in Berlin mit 16,3 Prozent am höchsten. Auch in Bremen (13,9), Sachsen-Anhalt (12,5) und Mecklenburg-Vorpommern (12,1) ist der Anteil überdurchschnittlich hoch. Der Durchschnitt aller deutschen Bundesländer beträgt 7,5 Prozent. Baden-Württemberg und Bayern liegen mit vier beziehungsweise 3,3 Prozent am Ende der Skala.
  • Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Im Jahr 2012 wurden erstmals mehr als eine Million Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochen - in fast zwei Drittel der Fälle deshalb, weil die Betreffenden ihren Meldeauflagen nicht nachgekommen, also zum Beispiel nicht zu einem Beratungstermin beim Jobcenter erschienen waren.
  • Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide: Nach Zusendung eines Hartz-IV-Bescheides haben die Betroffenen einen Monat Zeit, Widerspruch einzulegen. Im Februar 2013 gab es der Bundesagentur zufolge 192.000 laufende Widersprüche. Außerdem waren bei den Sozialgerichten auf unterschiedlichen Instanzen etwa 200.000 Klagen anhängig.

Wie unterschiedlich sich die Zahlen interpretieren lassen Interpretations Zahlen

Die Daten vom Statistischen Bundesamt und von der Bundesagentur für Arbeit, sind aber nur scheinbar über jeden Zweifel erhaben. Über die Zahlen an sich lässt sich zwar nicht streiten, wohl jedoch über die Folgerungen daraus. Drei Interpretationsbeispiele.

Erstens die 6,12 Millionen Hartz-IV-Empfänger, die die Bundesagentur im Februar dieses Jahres meldet.

Das ist positiv, weil die Zahl der Hartz-IV-Empfänger deutlich zurückgegangen ist. 6,75 Millionen Leistungsberechtigte gab es zum Start der Reform im Jahr 2005. Im Jahr darauf schnellte die Zahl sogar auf 7,34 Millionen hoch. Doch seit drei Jahren in Serie gibt es nun schon einen Rückgang - auch für 2013 rechnet die Bundesagentur damit.

Das ist negativ, weil die Zahl der ALG-II-Empfänger nicht so weit zurückgegangen ist, wie es die gute Wirtschaftslage Deutschlands hätte erwarten lassen. Der Rückgang beträgt gemessen am Jahr 2005 nicht einmal zehn Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen ist dagegen von durchschnittlich 4,86 Millionen im Jahr 2005 auf durchschnittlich 2,9 Millionen im Jahr 2012 zurückgegangen - das ist ein Minus von 40 Prozent.

Zweitens der Regelsatz von derzeit 382 Euro.

Das ist positiv, weil der Regelsatz seit 2005 in mehreren Schritten immerhin um 10,7 Prozent angehoben wurde. Zum Vergleich: Die Renten sind im gleichen Zeitraum nur um etwa fünf Prozent gestiegen.

Das ist negativ, weil die Erhöhung des Regelsatzes nicht einmal die Inflation ausgleichen kann. Die Verbraucherpreise sind in Deutschland seit 2005 um knapp 15 Prozent gestiegen. Die Bruttolöhne zogen sogar noch stärker an. Hier ergibt sich allein von 2005 bis 2011 - die endgültigen Daten für 2012 liegen noch nicht vor - ein Plus von mehr als 17 Prozent.

Schließlich lässt sich drittens auch die Zahl von einer Million Sanktionen unterschiedlich interpretieren.

Das ist positiv, sagt etwa die Bundesagentur für Arbeit, weil es ein Zeichen dafür sei, dass das Kontrollsystem greife und die Bundesagentur effektiv arbeite. Eine Million Sanktionen bedeutet auch nicht, dass eine Million ALG-II-Empfänger betroffen wären, denn meist treffen einen Betroffenen mehrere Sanktionen, die zudem mehrere Monate lang greifen. Nur 3,2 Prozent aller Leistungsbezieher waren etwa 2011 von Kürzungen betroffen, damit ergibt sich eine Missbrauchsquote von nur 3,2 Prozent.

Das ist negativ, weil die Zahl der Sanktionen sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht hat. Noch im Jahr 2009 gab es lediglich 735.000 Fälle, in denen die Leistungen gekürzt wurden.

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