Selbstmordattentat in Istanbul:Polizisten im Visier

Lesezeit: 3 min

Terror in Istanbul: Bei einem Selbstmordanschlag nahe dem zentralen Taksim-Platz sind mehr als 30 Passanten und Polizisten verletzt worden. Auffällig: Die Waffenruhe der PKK läuft aus.

Es ist der schwerste Anschlag in Istanbul seit sieben Jahren: Bei dem Attentat auf dem Taksim-Platz sind am Sonntagmorgen mindestens 32 Personen verletzt worden, teilte der Istanbuler Polizeichef Hüseyin Capkin mit. Darunter waren auch 17 Passanten. Der Angreifer habe seinen Sprengsatz vor einem Einsatzbus der Polizei auf dem Taksim-Platz gezündet. Zwei Polizisten wurden schwer verletzt.

Terroranschlag in Istanbul: Untersuchungen der Polizei am Tatort Taksim-Platz (Foto: Reuters)

Polizisten stellten am Tatort die Leiche des Attentäters sicher. Der Selbstmordattentäter habe versucht, in einen geparkten Polizeiwagen hineinzukommen, sagte Capkin. Als dies nicht gelungen sei, habe er seine Bombe gezündet. "Es war ein Selbstmordanschlag", sagte Capkin. In der Nähe seien weitere Sprengsätze gefunden worden, die von Spezialisten entschärft würden.

Der Fernsehsender NTV berichtete, am Ort der Explosion liege eine Leiche, die mit Zeitungen abgedeckt worden sei. Ein Augenzeuge sagte dem Sender CNN-Turk, die Polizei habe das Gebiet abgeriegelt. Krankenwagen fuhren zum Ort der Explosion, Ärzte kümmerten sich um die Verletzten.

"Es war eine schreckliche, sehr laute Explosion", sagte ein Augenzeuge, der zum Zeitpunkt des Anschlags auf dem Taksim-Platz war, Mehmet Toz. "Alle rannten umher, Menschen stürzten auf den Boden. Es herrschte Panik, wir wussten nicht, was los war."

Ein Kellner eines Cafes auf dem Platz, Muammer Ulutas, berichtete, Polizisten hätten nach der Explosion noch auf den Attentäter geschossen.

Die türkische Polizei ist auf dem Platz, der auf der europäischen Seite Istanbuls liegt, rund um die Uhr stationiert. Dazu ist ein Teil des Platzes mit Gitterzäunen abgetrennt.

Der Taksim-Platz mit seinen zahlreichen Restaurants, Hotels und Geschäften ist ein beliebtes Touristen-Ziel und ein Knotenpunkt für den öffentlichen Nahverkehr im europäischen Teil Istanbuls. Allerdings wird er auch für zahlreiche politische Demonstrationen genutzt. In seinem Zentrum steht das Denkmal der Republik, das an die Staatsgründung 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk erinnert.

Das Gebiet rund um den Anschlagsort sei abgeriegelt worden, berichteten die Sender CNN-Türk und NTV. Auch die nahe Istiklal-Straße wurde demnach abgesperrt. Die belebte Einkaufsmeile wird ebenfalls von vielen Touristen besucht.

Waffenruhe der PKK läuft aus

Wer hinter der Tat steckte, war zunächst unklar. Präsident Tayyip Erdogan kündigte ein trozdem schon ein entschlossenes Vorgehen gegen die Drahtzieher des Anschlags an. "Wir werden es nicht hinnehmen, dass diese Menschen den Frieden in der Türkei sowie die Sicherheit und die Entwicklung des Landes bedrohen", sagte er bei einem Besuch der südöstlichen Stadt Mardin. Erdogan machte Separatisten verantwortlich. "Unsere Einheit und Solidarität sind die beste Antwort auf diejenigen, die in der Türkei Fortschritte verhindern wollen", sagte er weiter.

In der Türkei hatten in der Vergangenheit kurdische Separatisten vermehrt Anschläge verübt. Am Sonntag nahm die Polizei der Nachrichtenagentur Anatolien zufolge in Istanbul und anderen Städten 16 Mitglieder der linksextremen Gruppe DHKP/C fest. Von einem Zusammenhang mit dem Anschlag war zwar nicht ausdrücklich die Rede. Allerdings riss ein Selbstmordattentäter der Gruppe 2001 auf dem Taksim-Platz zwei Polizisten mit in den Tod. 1999 wurden 13 Menschen verletzt.

Allerdings haben auch Islamisten in der Vergangenheit Bomben gelegt: So töteten Al-Qaida-Leute im Jahr 2003 mit einem Anschlag in Istanbul 62 Menschen. In den vergangenen Wochen nahmen die türkischen Sicherheitsbehörden mehrere Verdächtige fest, die al-Qaida in Afghanistan unterstützt habe sollen.

Heute jedoch läuft die von der PKK verkündete Waffenruhe aus. In den vergangenen Monaten hat die PKK die türkische Regierung mehrfach aufgerufen, sich der einseitig erklärten Waffenruhe anzuschließen und Verhandlungen mit Beteiligung des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan zu beginnen. Ankara hat der kurdischen Volksgruppe mehr Rechte versprochen, ist aber nicht zu Verhandlungen mit der als Terrororganisation eingestuften PKK bereit.

Vor ein paar Tagen erst hatte sich die verbotene kurdische Rebellengruppe jedoch für den Tod von Zivilisten bei Anschlägen ihrer Kämpfer entschuldigt. So etwas werde nicht mehr vorkommen, sagte der amtierende Chef der Arbeiterpartei Kurdistans, Murat Karayilan, der Tageszeitung Radikal vom Donnerstag. Die türkische Regierung erklärte, auch Ankara habe Fehler gemacht.

Die PKK kämpft seit 1984 gegen den türkischen Staat; bei Anschlägen und Gefechten sind seitdem mehrere zehntausend Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Zivilisten. Karayilan ist seit der Festnahme von PKK-Gründer Abdullah Öcalan 1999 der De-facto-Anführer der im Westen als Terrorgruppe eingestuften Rebellen. Er bedauerte die Gewalt gegen Zivilisten und sagte, seine Kämpfer würden geschult, um zivile Opfer in Zukunft zu vermeiden. Als eine Voraussetzung für ein dauerhaftes Ende der Gewalt nannte er eine neue türkische Verfassung als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben von Türken und Kurden. Die PKK könne nicht mit militärischer Gewalt besiegt werden, sagte Karayilan. Andererseits sei aber auch die PKK nicht in der Lage, die türkische Armee zu besiegen. Deshalb müsse es eine friedliche Lösung geben.

Karayilan ließ zunächst offen, ob die PKK ihre auslaufende Waffenruhe erneut verlängern wird. Regierungssprecher und Vize-Premier Cemil Cicek sagte zu dem Karayilan-Interview, die PKK versuche, mit der Entschuldigung für den Tod von Zivilisten ihren ramponierten Ruf aufzupolieren. Zugleich räumte Cicek im türkischen Nachrichtensender NTV ein, Ankara habe sich zu lange auf rein militärische Mittel im Kampf gegen die PKK gestützt. Andere Dinge seien vernachlässigt worden. Als erfolgreiches Beispiel für den Umgang eines Staates mit einer Terrorgruppe verwies er auf das britische Karfreitags-Abkommen zur Beendigung der IRA-Gewalt in Nordirland.

© dpa/dapd/Reuters/AFP/lala - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: