Iraker vor Gericht:Sexverbot in Niedersachsen

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"Sie gaben an, dass Sie ihre Frau vermissen und Sex mit ihr haben wollen...": Der Fall eines Irakers, der einfach nur seine Frau sehen wollte, zeigt, wie deutsche Behörden Flüchtlinge schikanieren.

Ralf Wiegand

Der Brief, den G. vom Landkreis Northeim erhielt, liest sich, als sei er extra für ein Buch über unmögliche Behördenschreiben verfasst worden. "Sie gaben an, dass Sie Ihre Frau vermissen und Sex mit ihr haben wollen", schrieb das Amt da treffend, denn das hatte G. vorgebracht, um eine "Verlassenserlaubnis" zu erlangen. Der Iraker lebt seit 2002 als geduldeter Flüchtling in Deutschland, ist also im Prinzip ausreisepflichtig. So fällt er automatisch unter die Residenzpflicht.

G., 32, Metallarbeiter mit sehr guten Deutschkenntnissen, muss also einen Antrag stellen, wenn er Niedersachsen verlassen will. Der sollte gut begründet sein: Sehnsucht reicht in Northeim jedenfalls nicht aus. "Bei Ihrem Vortrag Ihre Frau zu treffen um mit ihr Sex zu haben", schrieb das Amt ohne Punkt und Komma, "handelt es sich nicht um einen Grund, der den (...) Voraussetzungen entspricht." Antrag abgelehnt. G. fuhr trotzdem nach Dessau, wo seine Frau A. lebt. Sie kam 2009 aus dem Irak zunächst ins Sammellager Friedland und von dort, per Verteilungsquote, nach Sachsen-Anhalt. Sie hat zwar ein Bleiberecht, darf ihren Wohnort wegen laufender Integrationsmaßnahmen aber auch nicht ohne weiteres wechseln. Nun steht G. an diesem Donnerstag vor dem Amtsgericht Northeim: wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht.

Zwar dürfen sich die Eheleute inzwischen besuchen, nachdem geklärt ist, dass es sich bei ihrer Verbindung tatsächlich um eine Ehe und nicht nur um ein "irakisches Ritual" handelt, wie der Landkreis annahm. Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen bleibt die Residenzpflicht aber "ein perfides System", sagt Geschäftsführer Kai Weber.

Etwa 220.000 Menschen - Flüchtlinge mit dem Status der Duldung sowie Asylbewerber - leben in der Bundesrepublik unter der Residenzpflicht. Asylsuchende dürfen den Bezirk ihres Ausländeramts nicht verlassen, geduldete Flüchtlinge sich immerhin in ihrem Bundesland bewegen. Sie sollen dadurch stets erreichbar sein. Deutschland ist das einzige Land in Europa, das Flüchtlinge generell mit Sanktionen belegt, wenn sie ohne Genehmigung reisen. Nur Österreich kennt seit Januar die "Gebietsbeschränkung", die allerdings nur auf Asylsuchende zutrifft. Flüchtlinge dürfen reisen.

Flüchtlingsräte in allen Bundesländern sammeln die Härtefälle durch die Reisebeschränkung. Komi E. aus Togo etwa wollte für die eigene Hochzeit in Berlin den Saalekreis verlassen. Die Behörden fragten stattdessen, wie er seine Frau überhaupt kennengelernt habe. Durch heimliche Reisen nach Berlin? Der seit 25 Jahren hier lebende Schlachter Ahmed S. wiederum musste seinen Beruf aufgeben, weil er wegen eines lange zurückliegenden Vergehens in den Duldungsstatus abrutschte. Durch die Residenzpflicht konnte er keine Tiere mehr in anderen Bundesländern begutachten.

Manche Bundesländer lockern zwar die Regelungen, aber die Residenzpflicht abschaffen könnten nur Bund oder EU. Doch dort hat 2004 der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) die deutsche Spezialität in die Mindestaufnahmebedingungen für Flüchtlinge hineinverhandelt. Der Europäische Gerichtshof sieht keinen Klagegrund, obwohl kein anderes EU-Land die Praxis übernommen hat.

G. wäre es am liebsten, wenn sich seine Frau in Northeim bald als Schneiderin selbständig machen könnte. Doch das, sagt er, habe der Landkreis abgelehnt.

© SZ vom 14.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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