Irak-Konflikt:Peschmerga fühlen sich verraten

Irak-Konflikt: Die Kurden fühlen sich von allen im Stich gelassen: Irakische Truppen rücken in das Zentrum der Ölstadt Kirkuk ein, wo sie den Sitz des Gouverneurs, Militäranlagen und ein Ölfeld besetzt haben.

Die Kurden fühlen sich von allen im Stich gelassen: Irakische Truppen rücken in das Zentrum der Ölstadt Kirkuk ein, wo sie den Sitz des Gouverneurs, Militäranlagen und ein Ölfeld besetzt haben.

(Foto: Ahmad al-Rubaye/AFP)
  • Die irakischen Regierungstruppen haben mehrere Gebiete rund um Kirkuk eingenommen und damit die Peschmerga von dort vertrieben.
  • US-Präsident Donald Trump erklärte, in dem Konflikt neutral bleiben zu wollen - und auch die Bundeswehr unterstützt die Peschmerga vorerst nicht mehr.
  • Die kurdischen Kämpfer fühlen sich deshalb im Stich gelassen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo, und Mike Szymanski, Berlin

Übersetzt heißt Peschmerga "die dem Tod ins Auge sehen" - furchtlos sollen sie sein, die kurdischen Soldaten. Doch am Montag weinten etliche von ihnen vor Fernsehkameras. Aus Wut und Enttäuschung. Sie waren weitgehend kampflos zurückgewichen vor schiitischen Milizen und regulären irakischen Einheiten, die nach Kirkuk marschierten. Bei anfänglichen Gefechten sollen etwa 30 Menschen getötet worden sein, die Schiiten-Milizen sollen später in Kirkuk weitere Peschmerga ermordet haben.

Einige einflussreiche Kommandeure der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) aber hatten ihren Männern den Abzug befohlen. Den Einheiten des Regionalpräsidenten Massud Barzani und seiner Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) blieb nichts, als es ihnen gleich zu tun. Die Front war zusammengebrochen.

Die wütenden Peschmerga fühlen sich verraten - von der eigenen Führung, vom Westen, allen voran von den Amerikanern. "Wir haben für euch gegen Daesch gekämpft", sagte einer von ihnen, gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) also. "Und jetzt verkauft ihr uns an die Iraner", eine Anspielung darauf, dass die Revolutionsgarden und deren General Qassim Soleimani als strategischer Kopf hinter der Operation gelten. Er hält sich seit Wochen in den Kurdengebieten auf und südlich von Kirkuk, von wo die Iraker vorrückten.

US-Präsident Donald Trump sagte am Abend zwar, man bedauere, dass es zu Zusammenstößen gekommen sei, zugleich stellte er klar: "Wir werden keine Seite ergreifen!" Das mag die Kurden enttäuschen, unerwartet kann es zumindest für ihre Führung in Erbil nicht kommen. Der US-Sondergesandte Brett McGurk hatte Präsident Barzani eindringlich vor einem solchen Szenario gewarnt, sollte er darauf beharren, das Unabhängigkeitsreferendum auch in den mit Bagdad umstrittenen Gebieten abzuhalten. Und davor, dass die USA die territoriale Einheit Iraks über alles stellen - eine kaum verhüllte Ankündigung, dass Amerika ihnen in umstrittenen Gebieten nicht beispringen würden.

So ist es in Kirkuk gekommen, wo überdies eine zahlenmäßig deutlich überlegene Streitmacht die Kurden herausforderte. Die Zentralregierung in Bagdad und ihre iranischen Verbündeten sehen darin ein indirektes Einverständnis der USA und lassen sich kaum von Appellen des Außenministeriums beeindrucken, doch bitte von weiteren Auseinandersetzungen abzusehen. Eine von den Amerikanern ausgebildete und ausgerüstete Anti-Terror-Spezialeinheit übernahm den Gouverneurssitz in Kirkuk - zehn Tagen zuvor hatten die Männer noch mit US-Militärberatern an der Seite und Feuerschutz aus der Luft den IS aus Hawija vertrieben; die Peschmerga sicherten damals die Flanke nach Norden.

Barzani hat viel riskiert, und er ist dabei, alles zu verlieren

In der Nacht übernahmen schiitische Milizen dann auch Sinjar, den Hauptort der jesidischen Minderheit im gleichnamigen Gebirge westlich von Mossul. Ein Sprecher dieser sogenannten Volksmobilisierungseinheiten kündigte an, als Nächstes werde nun die Ordnung auf der Niniveh-Ebene wiederhergestellt, einem Gebiet nordöstlich von Mossul, in dem es viele christliche und einige jesidische Orte gibt, aber auch andere ethnische und religiöse Minderheiten. Viele von ihnen waren nicht begeistert über die Volksabstimmung der Kurden, noch weniger aber wollen sie zwischen die Fronten geraten oder wieder unter Kontrolle der Zentralregierung leben müssen.

Doch am Mittwochmorgen meldeten die irakischen Streitkräfte dann, sie hätten Gebiete in der Provinz Niniveh eingenommen. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer hätten die Region vor dem Eintreffen der irakischen Soldaten verlassen. Zu den übernommenen Stellungen gehört den Angaben zufolge auch die Mossul-Talsperre, die rund 40 Kilometer nördlich der Metropole liegt. Sie dient der Strom- und Wasserversorgung großer Gebiete am Tigris und war zeitweise in der Hand des IS.

Vielen Kurden dämmert nun, dass Barzani viel riskiert hat - und dabei ist, alles zu verlieren. Das Projekt Unabhängigkeit rückt in weite Ferne, und auch weitere Unterstützung, etwa aus Deutschland, steht infrage. Die Bundeswehr hat am Freitag ihre Ausbildungsmission vorerst eingestellt; derzeit befinden sich 140 deutsche Soldaten in Erbil. Insgesamt wurde dem Verteidigungsministerium zufolge Ausrüstung für etwa 90 Millionen Euro geliefert und 15 000 Kurden wurden ausgebildet. Ende Januar läuft das Bundestagsmandat für den Einsatz aus.

Bundesregierung könnte Irak-Mandat verlängern

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von "großer Sorge"; niemand solle meinen, es gebe eine militärische Lösung für die innerirakischen Spannungen. Das habe er Premier Haidar al-Abadi deutlich gemacht. Wenig deutet jedoch daraufhin, dass weitere Eskalation vermieden wird. Zum Bundeswehr-Mandat äußerte er sich nicht; die SPD wird der neuen Regierung wohl nicht angehören.

Die Fraktion hat bei geplanten befristeten Verlängerung von Mandaten für mehrere Auslandseinsätze noch Vorbehalte. Fraktionschefin Andrea Nahles sagte, es dürfe keine "Carte blanche" geben für die Weiterführung ohne ausführliche Debatte im Bundestag. Ihr Kollege, der Außenpolitiker Niels Annen, signalisierte aber Bereitschaft, das Irak-Mandat zu verlängern. Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin der Grünen, sagte, die Aussetzung der Ausbildung sei angesichts der sehr schwierigen Lage notwendig und richtig. Die Bundesregierung solle vermitteln - was sich auch Gabriel vorstellen kann.

Bruggers Kollege Omid Nouripour sagte, nach dem Referendum stelle sich die Frage nach dem Sinn des Einsatzes um so mehr. Der Unionsobmann im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter verlangte, für den Bundeswehreinsatz müsse die Zustimmung der irakischen Zentralregierung weiter eine Voraussetzung sein - ob Abadi sie verlängert, ist alles andere als sicher. Damit stünde der Bundeswehreinsatz im Irak infrage. Waffen und Ausrüstung, die Berlin geliefert hat, blieben dagegen im Irak.

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