"Internationale Präsenz" in Israel und Palästina:Entgiftungs-Plan für Nahost

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Frieden zu schließen ist schwierig - noch schwieriger ist es, ihn auch in die Tat umzusetzen. Hochrangige israelische und palästinensische Sicherheitsexperten schlagen nun vor, eine "Internationale Präsenz" in den umstrittenen Gebieten aufzubauen. Die Truppe soll helfen, etwaige Friedensabkommen zu verwirklichen.

Shlomo Brom und Jibril Rajoub

Vor einem Jahr wäre die Sache fast geplatzt. Der arabische Frühling verunsicherte Israelis wie Palästinenser, Misstrauen nistete sich ein in den beiden Delegationen, die auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Ost-Jerusalem über den Frieden nachdachten. Kein Wunder: Jibril Rajoub, der Sicherheitsberater von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, hatte zehn Jahre in israelischen Gefängnissen gesessen; General a.D. Shlomo Brom hatte als Luftwaffenpilot gegen die Araber gekämpft. Die sieben Männer und eine Frau, die da berieten, waren Militärs und Sicherheitsberater verfeindeter Regierungen. Dennoch haben sie sich auf ein 72-Punkte-Papier geeinigt, das vorschlägt, eine "Internationale Präsenz" in Israel und in Palästina einzurichten. Am Montag stellen sie es in Berlin vor. Freunde seien die Autoren dieses Beitrags nicht geworden, heißt es bei der Böll-Stiftung. Aber Respekt voreinander hätten sie gewonnen.

Für immer Krieg? Ein Palästinenser geht bei Zusammenstößen mit israelischen Soldaten in Deckung. (Foto: REUTERS)

Wir Israelis und Palästinenser haben über Jahrzehnte gegeneinander gekämpft und doch immer wieder versucht, Frieden zu schließen. Unsere Lebensläufe sind wie ein Mikrokosmos dieses scheinbar endlosen Kreislaufs. Eines haben wir bei all dem gelernt: Frieden zu schließen ist schwierig.

Noch schwieriger aber ist es, Friedensabkommen auch umzusetzen. Im Verhandlungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern sind geschlossene Abkommen immer wieder durch ihre schlechte Umsetzung zunichte gemacht worden. Sehr oft haben militante Gegner ganz bewusst auch jeglichen Fortschritt im Friedensprozess verhindert. Denn jeder Fehlschlag untergräbt die öffentliche Unterstützung in Israel und Palästina für eine friedliche Lösung des Konflikts.

Vor diesem Hintergrund haben sich prominente Israelis und Palästinenser zu einer Reihe von Gesprächen getroffen. Ziel der Treffen war nicht, Eckpunkte eines neuen Friedensabkommens zu formulieren, sondern Instrumente zu seiner Umsetzung zu finden. Wie könnte die internationale Gemeinschaft, darunter auch Deutschland, Israel und Palästina unterstützen, wenn ein Friedensabkommen über eine Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden muss?

Die vertraulichen Gespräche in Jerusalem und auf Zypern wurden von der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert. Teilgenommen haben ehemalige palästinensische und israelische höhere Beamte, alle mit großer Erfahrung bei Friedensverhandlungen, sowie ehemalige Staatsdiener aus Europa und Kanada. Dabei haben wir Memoranden und Übersichten erarbeitet, die den ersten Grundstein für Internationale Sicherheitsgarantien auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung Israel-Palästina legen könnten.

Einig waren wir uns darin, dass eine Art internationaler Truppe erforderlich sein wird, die Israel und Palästina bei der Umsetzung eines etwaigen Abkommens zur Seite stehen müsste. Dabei ginge es nicht um eine herkömmliche Friedenstruppe, sondern um einen vielseitigen Organismus, der unterschiedliche Funktionen erfüllen kann und der während der mehrstufigen Umsetzung eines Friedensabkommens mit beiden Seiten zusammenarbeiten müsste. Wir nennen dies eine "Internationale Präsenz".

Um zu einem dauerhaften Frieden zu kommen, ist die Zeit vor der Umsetzung eines Abkommens von besonderer Bedeutung. Allzu häufig haben wir geglaubt, die Umsetzung beginne mit der Unterzeichnung des Abkommens und ende zu einem festgelegten Zeitpunkt. Die Internationale Präsenz sollte sich daher bereits vor der Umsetzung vor Ort und zumindest im Aufbau befinden. Wird die Truppe bereits zu diesem Zeitpunkt stationiert, kann sie mit dem Abschluss des Abkommens unmittelbar ihre Arbeit aufnehmen.

Es darf nicht sein, dass nach einer Unterzeichnung Monate verstreichen und während dieser Zeit den Friedensgegnern das Feld überlassen wird. Die Internationale Präsenz würde anschließend für die Umsetzung des Abkommens aufgestockt - diese Phase kann viele Jahre dauern. Nach der Umsetzung muss die Präsenz dann bestimmte verbleibende Funktionen übernehmen - auch über Jahre hinweg.

Vor, während und nach der Umsetzung eines Friedensabkommens hätte also die Internationale Präsenz wechselnde Aufgaben und Kompetenzen, und zwar jeweils in Verbindung mit den beiden Gastländern. Die Beobachtung und Berichterstattung wäre eine der Schlüsselrollen, die sich nach und nach entsprechend dem Abkommen entwickelt.

Weitere entscheidende Aufgaben bestünden darin, die Verbindung zwischen den Beteiligten aufrechtzuerhalten und die beiden Staaten in der Polizeiarbeit oder bei der Schlichtung von Konflikten zu unterstützen. Wichtig wäre zudem, dass die Internationale Präsenz das neue Palästina auch beim Staatsaufbau in diesen Bereichen unterstützt.

Der Präsenz müssten bewaffnete Einheiten angehören, die sich selbst verteidigen und Regelungen in zuvor vereinbarten Bereichen durchsetzen könnten. Es sollten auch Einheiten mit einem sogenannten robusten Mandat zur Streitschlichtung ausgestattet sein. Wir stellen uns vor, dass die Präsenz eine militärische und eine diplomatische Führung hat, wobei die Gesamtverantwortung in zivilen Händen liegen müsste.

Unser Grundsatzpapier versucht, die vielen konkreten Fragen zu Voraussetzungen und Mandat einer Internationalen Präsenz zu beantworten. Sie reichen von Vorschlägen zur völkerrechtlichen Grundlage über Modelle zur Truppenstellung und Bezahlung bis hin zur Frage des Gewaltmonopols. Eine derartig detaillierte Auseinandersetzung mit dieser Materie gab es bis jetzt noch nicht.

Natürlich glauben wir nicht, dass dadurch sämtliche Fragen beantwortet wären. Wir sind aber der Ansicht, dass diese Arbeit jetzt dringend angegangen werden muss. Zur Zeit gewinnen die Stimmen der Friedensgegner auf beiden Seiten wieder an Gewicht. Deshalb ist es besonders wichtig, führende Israelis und Palästinenser zusammenzubringen und diesen Parolen konstruktiv entgegenzutreten. Wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg, über schwierigste Fragen zu reden und sich zu einigen.

Mit diesem Projekt wollen wir auch der internationalen Gemeinschaft deutlich machen, dass ihre Präsenz und Unterstützung nicht nur zur Aushandlung eines Friedensabkommens, sondern auch für dessen langfristige Umsetzung erforderlich sein wird. Diese Aufgabe wird nicht leicht sein, es braucht Entschlossenheit, Mut und Geduld. Doch eine andere Chance für dauerhaften Frieden im Heiligen Land gibt es nicht. Wie viel auch immer dieser Einsatz kosten mag - an Geld, politischem Kapital und vielleicht sogar an Menschenleben - höher als ohnehin schon können die Kosten nicht ausfallen, denn der Konflikt vergiftet den gesamten Nahen Osten.

Eine Debatte unter westlichen Entscheidungsträgern über die Notwendigkeit von Internationalen Sicherheitsgarantien für eine Zwei-Staaten-Lösung Israel und Palästina ist unserer Meinung nach überfällig. Deshalb werden wir das Projekt in Berlin, Brüssel, New York und Washington vorstellen. Wir setzen dabei auf die Bereitschaft jener Länder, die den Friedensprozess besonders unterstützt haben, diese Herausforderung anzunehmen - darunter auch Deutschland.

© SZ vom 17.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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