Indiens neuer Premier Modi:Angst vor dem Fanatiker im Modernisierer

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Was für ein Schwur - Modi-Anhänger mit Modi-Maske spielt Amtseid. (Foto: Jagadeesh Nv/dpa)

Voller Aufbruchstimmung beginnt in Indien mit Regierungschef Narendra Modi eine neue politische Ära. Doch bei den Minderheiten löst er Argwohn aus. Ihre Ängste wurzeln tief in der Geschichte des Landes.

Von Arne Perras

Die Inder sehnen sich nach besseren Zeiten. Und sie hoffen jetzt auf das Heilsversprechen ihres neuen starken Mannes, Narendra Modi. Der bekennende Hindu-Nationalist hat die legendäre Kongresspartei Indiens in den Parlamentswahlen niedergerungen. Am Montag ist er als neuer Premier vereidigt worden. Mit ihm beginnt eine neue politische Ära auf dem Subkontinent, getragen von einer Aufbruchstimmung, wie es sie seit der Unabhängigkeit nicht mehr gegeben hat.

Modi hat es nun in der Hand, den versprochenen Aufbruch zu organisieren. Er wird mit einer absoluten Mehrheit der Sitze regieren, das hat es lange nicht mehr gegeben. Aber das ist noch nicht alles. Denn in die Euphorie über seinen Sieg mischen sich auch starke Ängste. Was geschieht, wenn er Indien nicht eint, sondern spaltet? Wer wissen will, woher diese Sorgen kommen, muss zurück in die Geschichte blicken. Die Art und Weise, wie Modi aufgestiegen ist, spielt dabei eine Rolle. Aber auch der Weg, den die Nation als Ganzes genommen hat.

1947, Stunde null: Die Geburt des indischen Staates war Akt der Befreiung und traumatisches Erlebnis zugleich. Das Ende der britischen Kolonialherrschaft löste nicht nur Jubel aus, sondern auch millionenfaches Leid. Die Imperialmacht in London konnte - geschwächt durch ihren Kampf gegen Hitler - den Subkontinent nicht mehr länger zusammenhalten.

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Narendra Modi möchte, dass Indien aufblüht. Und die Inder glauben, dass sonst kein anderer da ist, der es richten könnte. Doch seine Macht weckt Begehrlichkeiten bei den Hindu-Nationalisten. Sie wollen ihn für ihre national-religiösen Träume einspannen. Das schürt Ängste.

Von Arne Perras

So spaltete sich, was nur unter größten Schmerzen zu teilen war. Hindus und Muslime flohen in Massen über die neu gezogenen Grenzen Indiens und Pakistans. Die beiden Staaten kamen im blutigen Chaos zur Welt. Dieser traumatische Geburtsschmerz ist wichtig, um die Befindlichkeiten auf dem fortan geteilten Subkontinent zu verstehen. Denn auch in Südasien gilt, was der amerikanische Schriftsteller William Faulkner einmal so formuliert hat: Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.

Die Wunden der Teilung heilen nur langsam. Vor allem halten sie Misstrauen und Ängste wach, die nicht nur die Beziehungen Indiens zum Nachbarn Pakistan prägen. Die Erfahrungen belasten auch das Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen innerhalb des Staates Indien. Manchmal reicht ein Funke, um einen Feuersturm der Gewalt auszulösen.

Zwar sind die Spannungen zwischen Hindus und Muslimen schon viel älter als die postkoloniale Teilung. Aber das Trauma von 1947 hat sich besonders eingegraben ins kollektive Gedächtnis. Jeder Politiker, der Indien oder Pakistan führt, muss sich mit diesem Erbe auseinandersetzen, weil sich damit starke Emotionen verbinden.

Im Zuge der Teilung spülte es Millionen Muslime nach Pakistan, aber eine große Masse blieb auch in Indien, wo sie eine Minderheit bildet. 165 Millionen Inder sind islamischen Glaubens, 14 Prozent der Bevölkerung. Sie leben heute verstreut unter der hinduistischen Mehrheit, die etwa 80 Prozent ausmacht. Wie man aus Wahlanalysen weiß, haben nur wenige indische Muslime für Modis Partei, die Bharatiya Janata Party (BJP), gestimmt. Das kratzt nun an seinem Anspruch, für alle Inder da zu sein.

Maßgeblich für die Ablehnung Modis in muslimischen Kreisen dürfte sein, dass er eine schwere Last aus der Vergangenheit trägt. Im Jahr 2002 erlebte der Bundesstaat Gujarat blutige Unruhen zwischen Hindus und Muslimen. Modi regierte damals den betroffenen Staat, aber die Sicherheitskräfte brauchten lange, um die Gewalt zu stoppen. Viele sahen dem Morden einfach zu. Mehr als 1000 Menschen starben, zumeist waren es Muslime. Und obgleich die Gerichte Modi keine Schuld nachgewiesen haben, sind manche noch immer davon überzeugt, dass er Verantwortung für das Blutbad trägt.

Dieser Argwohn wird ihn auch im Amt des Premiers begleiten. Im Umgang mit den Minderheiten muss der 63-Jährige nun zeigen, ob sein Wohlstandsversprechen tatsächlich universell ist, wie er behauptet. Oder doch selektiv, indem es sich auf die breite Mehrheit der Hindus konzentriert. Werden Muslime und andere Minderheiten, etwa Christen oder Sikhs, künftig unter der Dominanz der Hindus leiden müssen? Modi hat den inneren Frieden Indiens in der Hand.

Modi gehörte einem Netzwerk an, das schon mehrmals verboten war

Die Gesellschaft, die Modi nun regiert, war immer eine äußerst vielfältige. Als ob sich hier, in den Landschaften südlich des Himalajas, die ganze Welt versammelt hätte. Bis heute spiegelt sich dieser Pluralismus im Mosaik seiner Völker, Kulturen und Religionen. Dieses Indien in all seinen Ausprägungen zu schützen, gehörte zu den wichtigsten Zielen der Gründerväter der Nation.

So schrieb der erste Regierungschef Jawaharlal Nehru von der Kongresspartei: "Wir sollten uns daran erinnern, dass Indien nicht irgendeiner Partei oder Gruppe oder Kaste gehört. Es gehört nicht den Anhängern irgendeiner bestimmten Religion. Es ist ein Land für alle, für jede Religion und jeden Glauben." In diesem Geist wurde die Verfassung Indiens geschrieben, die den säkularen Staat garantiert und die Rechte der Minderheiten sichert: "Es wird keine Diskriminierung in irgendeiner Form gegen sie geben. Ihre Religion, ihre Kultur und ihre Sprache sind sicher", erklärte Rajendra Prasad, Präsident der verfassungsgebenden Versammlung im August 1947.

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All diese Werte verkörperte auch Indiens Freiheitsikone Mahatma Gandhi. Aber für seine Überzeugungen bezahlte er mit dem Leben. Am 30. Januar 1948 schritt der Hindu-Fanatiker Nathuram Godse beim Abendgebet auf Gandhi zu und feuerte ihm dreimal in die Brust. Auch wenn die Motive der Tat noch immer kontrovers diskutiert werden, so ließ Godse doch erkennen, dass er Gandhi für die schändliche Teilung des "Mutterlandes Indien" verantwortlich machte. Godse sah in Gandhi einen Menschen, der sich zu sehr um die Interessen der Muslime kümmerte und deshalb Strafe verdiente.

Der Hinduismus, dem die Mehrheit der Inder folgen, ist Glaube, Kultur und Lebensart zugleich. Intoleranz oder die Diskriminierung Andersgläubiger ist ihm eigentlich fremd. Denn der Hinduismus macht gewöhnlich Platz für alle. Dennoch haben sich unter seinem Mantel extreme Strömungen herausgebildet, aus der zum Beispiel der Attentäter Godse hervortrat. Er war einer, der an Hindutva glaubte, eine national-religiöse Erweckungsidee, die in den 30er-Jahren formuliert wurde.

Über die Fundamentalisten im Hinduismus schreibt der langjährige UN-Spitzendiplomat und Buchautor Shashi Tharoor: "Sie scheinen nicht zu verstehen, dass Hinduismus eine Kultur ist und kein Dogma." In der Deutung der Eiferer liegt demnach eine tiefe Ironie. Denn die selbst ernannten Hüter des Glaubens verkehren den Hinduismus in etwas, was er gar nicht ist: engstirnig, ausgrenzend und intolerant.

Das nationalistische Heilsversprechen, das sich aus der Hindutva-Lehre ableitet, wird vor allem in den Kadern des Nationalen Freiwilligen-Korps Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) gepflegt. Dieses Netzwerk mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern wurde mehrmals in der indischen Geschichte verboten, aber stets wieder zugelassen. In jüngster Zeit versucht sich der RSS ein modernes Image zu geben. Vorwürfe, er predige Intoleranz und richte sich gegen Muslime, weisen seine Führer zurück.

Offenkundig ist, dass der RSS wieder an Gewicht gewonnen hat. Denn bei diesen Wahlen haben dessen Fußsoldaten so offen wie noch nie Wahlkampf für die BJP und Modi gemacht. Im Wahlprogramm seiner Partei finden sich denn auch Passagen mit Kernzielen des RSS: Zum Beispiel der Bau eines Ram-Tempels in Ayodya. Fanatische Hindus hatten dort im Jahr 1992 eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert zerstört, weil sie angeblich auf dem Geburtsort des Hindugottes Ram errichtet worden war. Der Sturm auf die Moschee löste damals blutige Unruhen aus, bei denen mindestens 2000 Menschen starben. Seither beschäftigt der hoch symbolische Streit die Justiz. Viele Hindus wollen eine neue Eskalation in Ayodya vermeiden. Doch Hardliner unter den Hindu-Nationalisten geben ihr Ziel nicht auf.

Auch Modi entstammt dem Freiwilligen-Korps RSS. In diesen Bund trat er schon als Kind ein. Der RSS bot ihm Aufstiegschancen und eine ideologische Heimat. Daher erleben die Inder Modi in diesen Tagen als Januskopf: Auf der einen Seite gibt er den Modernisierer und Wegbereiter ökonomischer Entwicklung, auf der anderen Seite verkörpert er den Vorreiter für Hindutva.

Seine Parteikollegen von der BJP beeilen sich zu versichern, dass darin kein Widerspruch bestehe. Aber es ist offenkundig, dass Modi kaum beide Rollen gleichzeitig erfüllen kann: Er selbst hat das längst erkannt und seine Prioritäten so formuliert: "Zuerst die Toiletten, dann die Tempel." Wenn es so kommt, dann werden die Inder zunächst den Modernisierer Modi erleben, der seinen hindu-nationalistischen Eifer zurückstellt, bis er den indischen Aufschwung angeschoben hat.

Von einem solchen Aufbruch könnten auch die Minderheiten profitieren. Dennoch dürfte ihre Furcht und Skepsis nicht so schnell weichen. Denn Hindutva wäre auch in diesem Fall nur aufgeschoben, längst nicht aufgehoben.

© SZ vom 30.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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