Hilfe für Kinder von Hartz-IV-Empfängern:Streit um die Chipkarte geht weiter

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Arme Kinder sollen zusätzliche Sachleistungen bekommen statt Geld, finden die Minister der Länder. Ursula von der Leyens Chipkarte stößt aber weiter auf Widerstand.

Die Sozial- und Bildungsminister von Bund und Ländern sind sich offenbar weitgehend einig, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängern zusätzliche Hilfen vor allem in Form von Sachleistung bekommen sollen. "Es gibt eine große, breite Mehrheit dafür, dass die Hilfe als Sachleistung zu den Kindern kommt", sagte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Freitag nach einem Spitzentreffen in Berlin. Wie das organisiert werden soll und wie hoch der Wert der Leistungen für die Kinder sein soll, ist aber weiter unklar.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) auf dem Ministertreffen zur Einführung einer Bildungs-Chipkarte. (Foto: ddp)

Bei den Beratungen ging es darum, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden kann, wonach Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, Anspruch auf höhere Bildungsleistungen haben. Die Höhe dieser Leistungen will die Bundesregierung im Herbst festlegen.

Die Sozial- und Arbeitsminister der SPD forderten, dass von der Leyen zunächst den Auftrag des Verfassungsgerichts erfüllen und den Kinderbedarf neu berechnen müsse. Erst dann könne entschieden werden, welcher Bedarf als Geld- oder als Sachleistung erbracht werde.

Die CSU lehnt Gutscheine und die Chipkarte ab. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer könnte sich aber vorstellen, Schulmittagessen oder Nachhilfe als Sachleistungen zu betrachten, sofern das Geld direkt an die Institutionen gezahlt werde.

SPD hält Chipkarte für "Ablenkungsmanöver"

Die SPD lehnt die Bildungs-Chipkarte nicht generall ab, kritisiert aber die Details. "Das ist ein ebenso durchsichtiges wie untaugliches Ablenkungsmanöver, das nur überdecken soll, dass Frau von der Leyen keine konkreten und für alle nachvollziehbaren Zahlen für den neuen Hartz-IV-Satz für Kinder präsentieren kann oder will", sagte der nordrhein-westfälische Sozialminister Guntram Schneider (SPD).

Zufrieden zeigten sich dagegen die Spitzenverbände der Kommunen, die an dem Treffen beteiligt waren. Ihnen versprach von der Leyen, dass auf sie keine neuen Kosten zukämen. Die Infrastruktur für die von ihr geplante Chipkarte einschließlich der Lesegeräte bezahle der Bund ebenso wie die damit abrufbaren Leistungen.

Modellregionen für die Chipkarte

Der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Stephan Articus, wertete dies als "entwarnende Auskunft" zu den Sorgen der Kommunen. Nach seinem Eindruck sei in der Diskussion eine Mehrheit der Länder für eine Chipkarte. Die Skeptiker seien aber ernst zu nehmen. Es habe ein klares Votum für Sach- und Dienstleistungen gegeben. "Es bleibt abzuwarten, ob dafür eine Chipkarte ein geeignetes Mittel ist", sagte Articus.

Die Bildungs-Chipkarte bezeichnete von der Leyen nun als bloßes Vehikel, diese Leistungen zu den Kindern zu bringen. Einige Länder hätten sich dafür als Tester angeboten. Die Bildungskarte soll 2011 in einigen Modellregionen und 2012 dann bundesweit eingeführt werden. Dazu benötigt von der Leyen aber die Mehrheit der Länder.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Pläne von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen im Detail aussehen.

Wie viel Hilfe die Kinder von Hartz-IV-Empfängern künftig zusätzlich bekommen werden und in welcher Form das sein wird, steht derzeit noch nicht fest. Folgende Pläne Ursula von der Leyens sind bereits bekannt:

Eigenständiges Basisgeld

Zunächst soll es ab Januar 2011 für Hartz-IV-Familien ein eigenständiges Basisgeld geben. Dessen Höhe wird im Herbst ermittelt, wenn neue Daten der Einkommens- und Verbrauchsstatistik vorliegen.

Familienlotse

Die gezielte Förderung hilfebedürftiger Kinder in den Bereichen Bildung und Teilhabe wird zur neuen Aufgabe für die Jobcenter. Jedes Jobcenter bekommt dafür einen Familienlotsen, der Kontakte beispielsweise zu lokalen Vereinen, Schulen und Kultureinrichtungen knüpfen soll. Auch soll er die übrigen Sachbearbeiter und Fallmanager des Jobcenters beraten und für die besonderen Belange von Kindern sensibilisieren.

Lernförderung

Hilfsbedürftige Kinder, die nach Einschätzung ihres Lehrers Unterstützung in der Schule benötigen, können beim Jobcenter Lernförderung beantragen.

Schulbasispaket

Das Jobcenter soll im Rahmen des neuen Schulbasispakets künftig auch die Kosten für eintägige Schulausflüge übernehmen. Wie schon im bisherigen Schulbedarfspaket bezuschusst das Jobcenter auch weiterhin die Anschaffung von Schreibwaren, Schulranzen und Büchern. 70 Prozent des dafür vorgesehenen Geldes werden zum Schuljahresbeginn, der Rest zum Halbjahr ausbezahlt.

Mittagessen

Wenn erforderlich, übernimmt das Jobcenter auch die Kosten für die Teilnahme an einem gemeinsamen Mittagessen in Schule oder Kita.

Kultur und Sport

Auch die Teilnahme bedürftiger Kinder an Kultur- oder Freizeitangeboten wird vom Jobcenter unterstützt, zum Beispiel die Mitgliedschaft in einem Sportverein oder Kurse an der örtlichen Musikschule.

Bildungskarte

Ab 2012 soll für die Förderung der Teilhabe Kindern eine Bildungskarte eingeführt werden. 2011 soll es dafür zunächst Pilotversuche in unterschiedlichen Regionen geben, im Jahr darauf dann ein flächendeckendes Angebot. Auf der Karte werden zweck- und personengebundene Guthaben gespeichert, die dann für Bildungs-, Kultur- oder Freizeitangebote genutzt werden können. Die Karte soll so gestaltet werden, dass sie auch mit bereits bestehenden örtlichen Angeboten verknüpft werden kann.

Karte für alle

Langfristig soll die Bildungskarte auch für weitere Kinder einkommensschwacher Familien angeboten werden, später möglicherweise sogar für alle Kinder. Das möchte auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, wie er im Interview mit sueddeutsche.de sagte. Ausgestaltung und Finanzierung sind hierfür aber noch offen. Auch ist das Vorhaben insgesamt umstritten. Politiker aus Union und FDP kritisieren eine Bevormundung der Eltern.

© Reuters, AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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