Haushaltsstreit:Amerika taumelt am Abgrund

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In wenigen Stunden greifen die Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen der "Fiskalklippe". Experten fürchten verheerende Folgen für die US-Wirtschaft. Der Senat vertagte in der Nacht die Verhandlungen erneut, damit bleiben den Abgeordneten nur noch wenige Stunden. Jetzt soll eine alte Freundschaft von Vizepräsident Biden helfen.

Erstmals seit über vier Jahrzehnten kommt der US-Kongress am Silvestertag zu einer Sitzung zusammen, um in den letzten Stunden des Jahres noch eine Einigung im Haushaltsstreit zu erreichen. "Es bleibt noch Zeit, um eine Einigung zu erreichen, und wir haben vor, die Verhandlungen fortzusetzen", sagte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, am Sonntagabend vor der Kongresskammer, deren Mitglieder er für heute um 11.00 Uhr Ortszeit (17.00 Uhr MEZ) erneut zusammenrief. Für eine Einigung könnte es nun auf persönliche Freundschaften ankommen.

Das zähe Ringen um einen Kompromiss im US-Haushaltsdrama blieb bisher ergebnislos. Einen Tag vor Fristablauf rückte eine Einigung in weite Ferne - und die sogenannte Fiskalklippe bedrohlich näher. Die Parteispitzen der Republikaner und Demokraten im Senat verzettelten sich während ihrer nächtlichen Verhandlungen in Fragen über Einkommensgrenzen für höhere Steuersätze und Erbschaftsabgaben. Präsident Barack Obama gab die Schuld schon einmal den Republikanern für den Fall, dass die Verhandlungen endgültig scheitern sollten. Der republikanische Präsident des Repräsentantenhauses, John Boehner, warf im Gegenzug dem Staatschef Führungsschwäche vor.

"Die Stimmung ist entmutigend", sagte der parteilose Senator Joe Lieberman aus Connecticut. "Die Parteien sind weiter voneinander entfernt, als ich bisher geglaubt habe."

Während die Demokraten auf Steuererhöhungen insbesondere für Reiche pochen, wollen die Republikaner hauptsächlich Ausgaben kürzen. Die Abgeordneten beider Parteien stehen unter massivem Druck von Wählergruppen und Lobbyverbänden.Falls bis Montagnacht keine Lösung gefunden wird, greifen an Neujahr automatische Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Diese automatischen Haushaltsmaßnahmen haben einen Umfang von etwa 600 Milliarden Dollar. Wegen der Folgen für die konsumabhängige amerikanische Wirtschaft wird in den USA von der "fiscal cliff" gesprochen. Volkswirtschafter befürchten, das Land könnte über die so genannte Fiskalklippe in eine Rezession stürzen.

Abstimmung über Notfallplan möglich

Beginnt die mächtigste Nation der Erde das neue Jahr also ohne funktionierenden Haushalt, mit eine Politikerelite, die einmal mehr Starrköpfigkeit und Unfähigkeit zum Kompromiss demonstriert hat? In der Hoffnung auf einen Ausweg wandte sich der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell nach eigenen Angaben an Vizepräsident Joe Biden. Beide sind alte Freunde, sie saßen fast 25 Jahre zusammen im Senat. McConnell telefonierte in der Nacht wiederholt mit Biden. "Ich will das schaffen", beteuerte McConnell. "Aber ich brauche einen Partner, um tanzen zu können."

"Etwas läuft furchtbar falsch, wenn der amerikanische Kongress zur größten Bedrohung für die amerikanische Wirtschaft geworden ist", sagte der demokratische Senator Joe Manchin zu den Verhandlungen. Sollte keine Einigung gelingen, will Präsident Barack Obama den Kongress über seinen Notfallplan abstimmen lassen. Dieser sieht eine Fortschreibung der Steuererleichterungen für Familien mit einem Jahreseinkommen unter 250.000 Dollar, und die Arbeitslosenversicherung für etwa zwei Millionen Amerikaner soll beibehalten werden. Die Republikaner haben eingestanden, dass dies eine Option sein könnte.

In Washington wird nun spekuliert, dass eine Einigung womöglich erst im neuen Jahr zustande kommen wird. Dann könnten die Abgeordneten versuchen, die Maßnahmen als neue Steuerkürzungen darzustellen. Die Gespräche werden inzwischen hauptsächlich im Senat geführt, obwohl eigentlich das Repräsentantenhaus bei Haushaltsfragen das Vorrecht hat. Dort hatten jedoch viele Mitglieder der republikanischen Mehrheit ihrem Verhandlungsführer die Gefolgschaft verweigert.

Ein Gesetz müsste in den verbliebenen Stunden vom gesamten Kongress verabschiedet werden. Allerdings könnte jeder der 100 Senatoren ein schnelles Verfahren in der Kammer verhindern.

© Süddeutsche.de/dapd/Reuters/AFP/kjan - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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