Freihandelsabkommen mit den USA:Gabriel plädiert für ständigen TTIP-Gerichtshof

Gabriel besucht Magdeburger Flüchtlingsunterkunft

Wirtschaftsminister Gabriel schwebt ein europäisch-amerikanischer Handelsgerichtshof vor.

(Foto: dpa)
  • Bundeswirtschaftsminister Gabriel schlägt im Streit um das Freihandelsabkommen TTIP die Gründung eines europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshofs vor.
  • Ein entsprechender Vertragsentwurf liegt der SZ vor. Bislang sind für Streitigkeiten zwischen Konzernen und Staaten im Rahmen des TTIP-Abkommens ad-hoc-Schiedsstellen vorgesehen.
  • Die Streitschlichtung durch Schiedsstellen gehört zu den umstrittensten Punkten des geplanten Freihandelsabkommens.
  • Nicht alle EU-Staaten teilen die Skepsis gegen die Schiedsstellen. Es gibt aber Anzeichen, dass sich auch die EU-Kommission für die Schaffung eines ständigen Gerichts einsetzen könnte.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP mit einem eigenen Konzept zum Streitthema Investorenschutz retten. Es sieht die Gründung eines europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshofs vor, der bei Konflikten zwischen Konzernen und Regierungen tätig wird. Statt vor wenig transparenten Schiedsstellen sollten Streitigkeiten "ausschließlich von einem ständigen bilateralen internationalen Gericht" entschieden werden, heißt es in dem Vertragsentwurf, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die bisher geplanten Schiedsgerichte zählen zu den größten Streitpunkten in den Verhandlungen. Konzerne, so die Befürchtung, könnten künftig unter Berufung auf TTIP Schadenersatz für unliebsame Gesetze verlangen und damit indirekt Druck auf EU-Regierungen ausüben. Ein Beispiel dafür ist aus Sicht der Kritiker der schwedische Vattenfall-Konzern: Er hat vor einem Schiedsgericht Klage gegen Deutschland erhoben, weil er wegen des hiesigen Atomausstiegs seine Meiler früher stilllegen musste als geplant.

Vom deutschen Staat fordert Vattenfall deshalb 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz - und beruft sich dabei auf den sogenannten Energiecharta-Vertrag, der einst zwischen den EU- und den früheren Ostblockstaaten geschlossen wurde und wie viele andere Handelsabkommen solche Schiedsstellen vorsieht. Die Gerichte tagen meist nichtöffentlich, die "Richter" sind nicht selten Rechtsanwälte, die sich die Streitparteien aussuchen konnten. Allein am Widerstand gegen diese Art der Streitbeilegung könnte TTIP hierzulande scheitern.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sucht seit Wochen nach einer Lösung

Das Modell, das der Erlanger Völkerrechtler Markus Krajewski für das Wirtschaftsministerium entwickelt hat, könnte diese Probleme umschiffen. Danach würden feste Richter ernannt, die über alle Streitigkeiten zu befinden hätten - ein Drittel von der EU und ihren Mitgliedstaaten, ein Drittel von den USA, ein Drittel gemeinsam. Jede Kammer soll aus drei ordentlichen Richtern bestehen, die ihre Unabhängigkeit und Unbefangenheit nachweisen müssen. Die Verfahren sollen öffentlich stattfinden, jeder kann hinkommen. "Was wir damit schaffen, ist kein Schiedsgericht mehr", sagt Krajewski, "sondern ein ganz normales Gericht".

Auch müsse das TTIP-Abkommen klipp und klar festschreiben, dass ausländische Investoren keinen besseren Schutz vor staatlichen Eingriffen erhalten als inländische auch. Gabriel hat den 30-seitigen Entwurf für den Passus schon EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zukommen lassen. Auch sie zerbricht sich seit Wochen den Kopf über die sogenannten ISDS-Verfahren zwischen Staaten und Investoren, kommende Woche will sie eigene Eckpunkte dazu vorlegen.

Noch sind sich nicht einmal die Europäer über die Schiedsgerichte einig

Zuvor hatte die EU monatelang Interessengruppen konsultiert - und nach fast 150 000 Einwendungen Skepsis vor allem gegen diese ISDS-Regelungen diagnostiziert. Auch vermissten viele der Kritiker seinerzeit eine Berufungsinstanz. Gabriels Vorstoß sieht dafür nun eine Berufungskammer vor: Sie soll aus fünf Richtern bestehen, gemeinsam ernannt von den USA und der Europäischen Union.

Zunächst aber müssen nun die anderen EU-Staaten auf den deutschen Vorstoß einschwenken. Viele halten die Schiedsgerichte bis heute für nicht weiter problematisch. Immerhin sieben Staaten, alle mit sozialdemokratischen Handelsministern, haben sich dagegen schon für ein bilaterales Handelsgericht ausgesprochen.

Auch EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero ließ kürzlich durchblicken, Berlin und Brüssel bewegten sich in dieser Frage offenkundig in eine ähnliche Richtung. "Ohne ein rechtsstaatliches Verfahren zur Streitbeilegung jenseits von Schiedsgerichten wird es nur schwer gelingen, Akzeptanz zu schaffen und die Europäer zu überzeugen", sagt der für Handelspolitik zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Matthias Machnig (SPD). "Das weiß auch die Kommission." Das Gutachten zeige die Richtung auf, wie dies umgesetzt werden könne.

Auch für das Freihandelsabkommen mit Kanada könnte der Vorschlag relevant sein

Allerdings bleibt eine Frage ungelöst: Was bedeutet das für den Handelsvertrag mit Kanada? Auch im sogenannten Ceta-Abkommen sollen Schiedsgerichte verankert werden, doch anders als bei TTIP sind die EU und Kanada schon weitgehend einig. Derzeit läuft noch eine juristische Prüfung, theoretisch ließe sich der Gerichtshof noch als "technische Anpassung" einschleusen. Bislang wollen aber weder Brüssel noch Ottawa grundlegende Änderungen am Vertragstext - aus Angst, dann könnten auch andere Einigungen im Abkommen plötzlich zur Disposition stehen. Aber eine kleine Anpassung?

Nächste Woche tritt in Brüssel der EU-Handelsministerrat zusammen, dann soll auch der Vorschlag aus Deutschland zum ersten Mal offiziell auf dem Tisch liegen. "Wenn diese Idee durchkommt", sagt Krajewski, "dann schüfe das eine neue Qualität internationaler Investitionsschutzabkommen."

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