Guatemala:Ein Land wie ein Dampfkessel

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EIne Gruppe von Demonstranten am Plaza de la Constitucion Guatemala City. (Foto: dpa)
  • Nach Jahren offener Korruption und Straflosigkeit regt sich in Guatemala Protest gegen die Regierung.
  • Präsident Pérez Molina klammert sich an sein Amt, aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis er gehen muss.
  • Hinter dem Druck auf die guatemaltekische Regierung stehen wohl die USA.
  • Bislang ist der Protest noch friedlich, doch das könnte sich bald ändern.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wer seinen Staat nur als Raubtier kennt, die Politiker nur als Taschendiebe und die Richter nur als Erfüllungsgehilfen der herrschenden Eliten, der stumpft irgendwann ab.

Nicht anders ist zu erklären, dass es in Guatemala in den vergangenen Jahren relativ ruhig war auf den Straßen. Denn das meiste, was seit einigen Wochen das Land erschüttert, war ja hinlänglich bekannt. Dass es sich um einen der gefährlichsten Flecken der Erde handelt, um einen "Ozean der Korruption und der Straflosigkeit", wie es in einem aktuellen Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt.

Die Guatemalteken aber schienen das Aufbegehren verlernt zu haben. Der Alltag musste ja weitergehen. Irgendwie. Und plötzlich, in diesem Frühsommer, geht es doch nicht mehr einfach so weiter.

Überraschender Kampfgeist der Ermittler

Vermutlich hat es am 16. April angefangen. An dem Tag wurden in einer konzertierten Aktion von Polizei, Staatsanwaltschaft und der UN-Kommission gegen Straflosigkeit (Cicig) zwanzig hochrangige Staatsfunktionäre verhaftet. Sie hatten ein Netzwerk von systematischem Zoll- und Steuerbetrug organisiert. Grundsätzlich nichts Neues in Guatemala, überraschend war eher der Kampfgeist der Ermittler. Er inspirierte offenbar eine unzufriedene, aber lange Zeit wie gelähmt wirkende Mittelschicht.

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Seit zwei Monaten finden sich in den großen Städten jedes Wochenende Zehntausende zu Samstagsmärschen zusammen. Protestiert wird gegen unfassbar dreiste Korruption und gegen den konservativen Staatspräsidenten Otto Pérez Molina. Dass er von alldem nichts gewusst hat, glaubt offenbar nur noch er selbst.

Präsident Pérez Molina klammert sich an sein Amt

Seine Vizepräsidentin Roxana Baldetti musste inzwischen zurücktreten, genau wie der Innenminister, die Umweltministerin und der Energieminister. Pérez Molina klammert sich bislang an sein Amt, aber er wackelt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun entscheiden, ob er seine Immunität verliert. Dann wären seine Tage als Präsident wohl gezählt. Für den 64-Jährigen geht es jetzt darum, bis zu den Wahlen im September durchzuhalten und die Macht im Januar 2016 ordnungsgemäß zu übergeben. Nur dann hätte er Anspruch auf einen Sitz im Zentralamerikanischen Parlament (Parlacen). Genau das wollen die Demonstranten verhindern, denn Pérez wäre dann einstweilen unantastbar.

Der deutsche Menschenrechtsanwalt Michael Mörth, 62, der seit 20 Jahren in Guatemala als Jurist arbeitet, sagt: "Das Parlacen dient einzig und allein dem Zweck, ehemaligen Präsidenten und Vizepräsidenten Zentralamerikas Straffreiheit zu bieten." Allerdings zweifelt nicht nur Mörth daran, dass Pérez den Wettlauf mit der Zeit gewinnt. Dieser tritt dieser Tage nicht mehr wie ein Präsident auf, sondern eher wie eine Marionette derjenigen, die das Machtvakuum im Staat ausfüllen. Dazu gehören der einflussreiche Unternehmerverband Casif sowie die US-Botschaft in Guatemala-Stadt. "Auch wenn das dementiert wird, die USA spielen eine große Rolle in dieser Situation", sagt Mörth.

Hinter den Kulissen geht es darum, wie die Zeit nach Otto Pérez aussehen könnte

Spätestens seit US-Vizepräsident Joe Biden bei seinem jüngsten Guatemala-Besuch Pérez (gegen dessen erklärten Willen) dazu zwang, das Mandat der UN-Kommission Cisig zu verlängern, ist klar, wer hier am Steuer sitzt. Die Cisig hat entscheidenden Anteil an den Ermittlungen gegen die Regierung Pérez. Formell stützen die Amerikaner den Präsidenten noch, der ohnehin absehbare Regierungswechsel darf schließlich nicht wie ein in Washington orchestrierter Putsch aussehen. Hinter den Kulissen scheint es aber längst darum zu gehen, wie die Zeit nach Präsident Pérez aussehen könnte.

Der derzeit aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaftswahl am 6. September heißt Manuel Baldizón. Mit seinem populistischen Programm findet er bei der vorwiegend armen Landbevölkerung großen Zuspruch. Nach Meinung der urbanen Protestbewegung aber ist seine Partei "Lider" ebenfalls bis ins Mark korruptionsverseucht, sie fordert eine Verschiebung der Abstimmung.

Protestler wollen Reform des Wahl- und Parteiengesetzes

Auch Mörth sagt: "In der gegenwärtigen Situation wären Wahlen wenig hilfreich." Sie würden aus seiner Sicht bloß das gegenwärtige System für die kommenden vier Jahre legitimieren. Mörth hält es stattdessen mit jenen Protestlern, die zunächst eine Reform des Wahl- und Parteiengesetzes wollen. Es wurden mehrere runde Tische ins Leben gerufen, aber ob deren Gesetzesvorschläge noch vor der Wahl in Kraft treten, hängt nicht zuletzt auch vom Einfluss der USA ab.

Auf den Straßen wachsen jedenfalls Wut und Ungeduld. "Das ist ein Dampfkessel", sagt Mörth. Er arbeitete unter anderem aufseiten der Anklage im Kriegsverbrecherprozess gegen Guatemalas Ex-Diktator Efraín Ríos Montt. Das Verfahren wird seit Monaten verschleppt, auch weil der ehemalige General Pérez wenig Interesse an Aufklärung hat. Bislang haben sich die Guatemalteken auch das bieten lassen. Bislang. Vor wenigen Tagen wurde der Anwalt Francisco Palomo auf offener Straße erschossen. Er war der Verteidiger von Ríos Montt. Für Mörth ist das ein Zeichen, "dass es hier jeden Moment rund gehen kann", wenn es nicht endlich echte Reformen gibt.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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