Große Koalition:Greift die SPD zu früh an, nützt das nur der Kanzlerin

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Auch wenn es zurzeit Nickligkeiten zwischen Union und SPD gibt: Die Abgesänge auf die große Koalition kommen zu früh. (Foto: REUTERS)

Der Ton in der Koalition wird ruppiger, die SPD würde sich vor der Bundestagswahl 2017 gern ein wenig von der Kanzlerin absetzen. Doch die Sozialdemokraten werden sich hüten, jetzt den Wahlkampf zu beginnen.

Von Christoph Hickmann

Noch keine acht Monate war die Bundesregierung im Amt, als der Spiegel einen Appell formulierte: "Aufhören!" So prangte es Mitte Juni 2010 in gelben Buchstaben vor schwarzem Hintergrund auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins. Darunter hockten Guido Westerwelle und Angela Merkel auf der Regierungsbank und erinnerten stark an zwei Eheleute während der letzten, eigentlich bereits überflüssigen Sitzung bei einem allmählich selbst therapiebedürftigen Paartherapeuten.

Dabei handelte es sich keineswegs um eine unzulässige journalistische Zuspitzung. Stattdessen entsprach die Titelzeile nach Monaten des Krachs, des Intrigierens und der Stümperei einer breiten Stimmungslage gegenüber der schwarz-gelben Bundesregierung - jener vermeintlichen Wunschkoalition, für die beide Parteien so lange gekämpft hatten. Und es waren noch mehr als drei Jahre bis zur nächsten Wahl.

Finten und Gemeinheiten

Das sollte man sich, einschließlich des damals üblichen Tonfalls ("Wildsau", "Gurkentruppe"), noch einmal in Erinnerung rufen, wenn dieser Tage die ersten Abgesänge auf die große Koalition angestimmt werden. Sie kommen viel zu früh.

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Schon richtig, es geht seit einiger Zeit ruppiger zu unter den Partnern, mit taktischen Finten, Gemeinheiten und offener Obstruktion. Eine für den SPD-Vorstand erstellte Studie legt der Partei nahe, auch mal den Konflikt mit der Union zu suchen - und allein vergangene Woche wurden Streitigkeiten in der Familienpolitik sowie beim Solidaritätszuschlag öffentlich. Die SPD versucht, sich mit Ideen für ein Einwanderungsgesetz zu profilieren und so die Union zu spalten. Die Union mäkelt weiter am längst beschlossenen Mindestlohn herum. Aber das sind Kinkerlitzchen im Vergleich zu den Dingen, auf die sich diese Koalition bereits geeinigt hat.

Der Mindestlohn ist, Ausnahmen hin oder her, ebenso von historischer Dimension wie der Einstieg in die Frauenquote. Es gibt die Mietpreisbremse und, mal unabhängig davon, wie man es bewertet, das Rentenpaket. Auch in Bereichen, die nicht so breit wahrgenommen werden, tut sich einiges - etwa bei der Bundeswehrreform, die Ursula von der Leyen sanft nachbessern will, nachdem ihr Vorgänger ähnlich unnachgiebig auch an Details festgehalten hatte wie einst Franz Müntefering an den Einzelheiten der Agenda 2010. Nebenbei hat die Koalition fürs Erste die Affäre um Sebastian Edathy überstanden, samt Rücktritt eines CSU-Ministers, ausgelöst vom SPD-Fraktionschef. Wer all das im Wahlkampf 2013 vorausgesagt hätte, wäre ausgelacht worden.

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Während die SPD damals das Bild einer Republik kurz vor dem sozialen Kollaps entwarf, gab es der Union zufolge eigentlich nichts zu verbessern, mal abgesehen von einer Pkw-Maut für Ausländer. Natürlich muss es da im Regierungsalltag mal haken, natürlich müssen alle Seiten immer wieder deutlich machen, dass sie manches gern anders machen würden. Alles andere wäre politischer Selbstmord.

Die Frage, welche Wähler man ansprechen will

Die jüngsten Nickeligkeiten bedeuten aber keineswegs, dass nun der Wahlkampf 2017 beginnt - zumal die Sozialdemokraten wissen, dass zu früh eröffnete Konflikte am Ende nur der Kanzlerin nützen. Trotzdem bleibt nicht viel mehr Zeit als dieses Jahr, um sich etwa über Stromtrassen und Werkverträge zu einigen oder bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern voranzukommen. Im nächsten Jahr wird unter anderem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. Dann wird man sich auch im Bund nichts mehr schenken.

Die eigentliche Herausforderung allerdings wird für SPD wie CDU in den nächsten Jahren nicht der politische Kampf gegeneinander sein - sondern erst einmal die interne Auseinandersetzung darüber, welche Wähler man eigentlich ansprechen, welche Partei man sein will. Soll die CDU dauerhaft eine Art Sozialdemokratie im Lodenmantel geben? Oder doch wieder konservativer in gesellschaftlichen und liberaler in wirtschaftlichen Fragen auftreten? Der Konflikt schwelt, bräche aber wohl nur dann vor 2017 aus, wenn Angela Merkel nicht noch einmal anträte und damit der Machtverlust möglich würde. Dafür gibt es derzeit keine Anzeichen.

Anders sieht es bei den Sozialdemokraten aus. Die haben sich noch immer nicht damit auseinandergesetzt, warum sie 2013 zum zweiten Mal in Folge deutlich unter 30 Prozent gelandet sind - trotz oder gerade wegen ihres dezidiert linken Wahlprogramms? Beantwortet man diese Frage, gibt man zumindest die grobe Richtung für den nächsten Wahlkampf vor. Das hätte dann irgendwann auch Auswirkungen auf das innerkoalitionäre Klima. Legt man aber zugrunde, wie lange die SPD sich nun schon um diese Frage herumdrückt, dürfte das noch dauern. Lang genug, um noch ein bisschen zu regieren.

© SZ vom 09.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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