Großbritannien und der Irakkrieg:Ausschussware

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Tony Blair muss in einem Untersuchungsausschuss erklären, wie es zum Irakkrieg kam. Reine Zeitverschwendung: Die Mitglieder sind alles andere als unabhängig.

Wolfgang Koydl

Jede Regierung der Welt ist mit dem Prinzip vertraut: Wenn man Skandale, Peinlichkeiten oder unangenehme Wahrheiten vertuschen, verschieben oder einfach nur zerreden will, gibt es keine bessere Möglichkeit als die, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Denn die Arbeit solcher Gremien verliert sich meist in nicht mehr nachvollziehbaren Details und zieht sich so lange hin, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Berichts der letzte Funke an Interesse in der Öffentlichkeit erloschen ist.

Der frühere britische Premierminister Tony Blair muss in einem Untersuchungsausschuss erklären, wie es zum Irakkrieg kam. (Foto: Foto: AFP)

Großbritannien hat vielleicht mehr Erfahrungen mit solchen Ausschüssen als andere Länder. Das wohl abschreckendste Beispiel ist die sogenannte Saville Inquiry, welche die Hintergründe des Blutsonntages im nordirischen Derry untersuchen soll. Das Ereignis fand 1972 statt, die Kommission wurde 1998 eingesetzt und hat bislang 200 Millionen Pfund verschlungen; berichten soll sie nun - vielleicht - im März kommenden Jahres.

"Keine Persilscheine"

Mit einem entsprechend hohen Maß an Skepsis sieht denn auch die britische Öffentlichkeit dem Untersuchungsausschuss um die Hintergründe und Folgen des Irak-Krieges entgegen, der nun in London seine Arbeit aufnimmt. Zwar hat sein Vorsitzender, der pensionierte Spitzenbeamte Sir John Chilcot, "volle und aufschlussreiche" Aufklärung versprochen, zwar will er auch Verantwortliche wie den früheren Premierminister Tony Blair vorladen und "keine Persilscheine" ausstellen; doch zugleich hat er klargestellt, dass sein Gremium kein Tribunal sei, das Schuld herausfinden und zuweisen soll.

Das ist auch nicht zu erwarten. Dafür hat schon die Regierung unter Gordon Brown gesorgt, die den Ausschuss auf massiven öffentlichen Druck hin im vergangenen Sommer eingerichtet hatte - und damit der Bildung einer wirklich unabhängigen Kommission zuvorgekommen war. Damals bestimmte die Regierung auch die Mitglieder des Ausschusses und garantierte so gleichsam ein unverfängliches Ergebnis der Nachforschungen.

Die fünf Männer und Frauen stehen nicht im Ruf, kritische oder widerspenstige Geister zu sein: Die Historiker Martin Gilbert und Lawrence Freedman haben die Invasion begrüßt und verteidigt. Der Ex-Diplomat Roderic Lyne berät heute die US-Investmentbank JP Morgan und den Ölmulti British Petroleum, beide verfolgen Geschäftsinteressen im Irak. Und Chilcot, der Vorsitzende, gehörte bereits dem Butler-Ausschuss an, der 2004 die Pannen und Fehlinformationen der Geheimdienste über angeblich im Irak lagernde Massenvernichtungswaffen aufklären sollte und einen schönfärberischen Bericht produzierte.

Gleichgültiges Achselzucken

Chilcot ist zuversichtlich, dass er "schon" Ende 2010 einen Bericht vorlegen werde. Dennoch ist das Tempo der Kommission eher betulich. Spitzenpolitiker sollen Anfang kommenden Jahres befragt werden, danach verordnet sich der Ausschuss eine lange Pause - für die Dauer des Wahlkampfes und der Unterhauswahlen, die spätestens im nächsten Juni abgehalten werden müssen. Auch die Auswahl der Zeugen geriet selektiv. So ist es beispielsweise nicht sicher, ob Sir Richard Dearlove, der in den Monaten vor dem Einmarsch als Chef des Auslandsgeheimdienstes MI6 für irreführende Dossiers über Saddam Husseins Arsenale verantwortlich war, geladen werden soll.

In der britischen Öffentlichkeit lösen all diese Mängel keine große Kritik aus, wie überhaupt die Aufregung über das Irak-Abenteuer mit dem Abtritt Blairs vom Amt des Premierministers und dem Abzug des letzten britischen Soldaten aus Basra erloschen ist. Die Briten sind ohnehin schon lange in der zynischen Gewissheit vereint, dass die Regierung sie einst hinters Licht geführt und belogen hatte. Sollte ein Ausschuss dies irgendwann bestätigen, wird auch das nur eine Reaktion auslösen: gleichgültiges Achselzucken.

© SZ vom 24.11.2009/rasa/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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