Großbritannien:"Sie war eine Naturgewalt"

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Trauernde legen am Parliament Square in London Blumen nieder und zünden Kerzen an. (Foto: AFP)
  • Großbritannien trauert angesichts der Ermordung der Labour-Politikerin Jo Cox.
  • Sie engagierte sich für Flüchtlinge und ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien.
  • "Ihre große Leidenschaft für Politik hat den ärmsten Menschen dieser Welt geholfen", sagt der Politiker Andrew Mitchell, mit dem Cox befreundet war.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Jo Cox war eine Frau, die "an eine bessere Welt glaubte und sie kämpfte jeden Tag ihres Lebens dafür mit einer Energie und einer Begeisterung, die die meisten Menschen auslaugen würde". Mit diesen bewegenden Worten beschreibt Ehemann Brendan Cox seine Frau, die nach wenigen Stunden ihren Schussverletzungen erlag. Sie war das vielleicht größte Versprechen der britischen Labour-Partei. Eine Frau, die über Parteilinien hinweg dachte und sich allein ihren Idealen verpflichtet fühlte.

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Bei ihrer wöchentlichen Sprechstunde wird die Abgeordnete Jo Cox attackiert und stirbt. Die 41-Jährige galt als große Hoffnung der Labour Party.

Von Christian Zaschke

Jo Cox wurde am Mittwoch erst angeschossen, dann mit einem Messer attackiert. Ihr Tod erschüttert die Briten. Und er kommt inmitten einer hitzig geführten Debatte über den weiteren Verbleib des Landes in der EU.

Große Befürworterin der EU-Mitgliedschaft

Mehrere britische Medien berufen sich auf einen Zeugen, demzufolge der Täter gerufen haben soll: "Britain first", Großbritannien zuerst. Das könnte sich auf das in der kommenden Woche anstehende Referendum beziehen: Jo Cox war eine große Befürworterin der britischen EU-Mitgliedschaft.

Jo Cox studierte in Cambridge, und war doch eine Frau aus der Arbeiterklasse. Sie wuchs in der Stadt Heckmondwike auf, in West Yorkshire. Eine Gegend, die sie selbst als "typically independent, no-nonsense and proud" beschrieb. Unabhängig, ohne Schnickschnack, stolz. Ihr Vater arbeitete in einer Fabrik, die Zahnpasta und Haarspray herstellte, ihre Mutter war Sekretärin in einer Schule.

Ein Jahrzehnt humanitäre Hilfsarbeit

Cox war die Erste in ihrer Familie, die einen Universitätsabschluss erlangte. Im Interview mit der Lokalzeitung Yorkshire Post sagte sie kürzlich: "Ich bin nie politisch geprägt aufgewachsen oder als Labour-Anhängerin."

Die Zeit in Cambridge habe sie geformt. An der Universität habe sie erfahren, wie sehr es darauf ankomme, welche Menschen man kenne und wie man sich artikuliere. "Um ehrlich zu sein, meine Erfahrungen in Cambridge haben mich für fünf Jahre zurückgeworfen."

Seit mehr als zehn Jahren engagierte sich Cox in der humanitären Hilfe. Sie arbeitete für den Freedom Fund, eine Organisation, die sich für das Ende moderner Sklaverei einsetzt; später war sie in führender Position bei der Hilfsorganisation Oxfam tätig. Es waren diese Jahre, die ihre Ideale prägten. In ihrer Arbeit kämpfte sie auch dafür, die hohe Zahl von Müttern, die während oder kurz nach der Geburt ihres Kindes sterben, zu reduzieren.

Sie setzte sich für ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien ein

"Ich habe ein paar entsetzliche Situationen erlebt, mit Frauen, die in Darfur mehrfach vergewaltigt wurden. Ich habe mich mit Kindersoldaten in Uganda getroffen, denen man Kalaschnikows gegeben hat, um ihre Familienmitglieder umzubringen", sagte Cox der Yorkshire Post. Sie hat daraus gelernt: Wer Probleme ignoriere, verschlimmere sie bloß.

Eines von Cox' politischen Hauptthemen war deshalb ihr Kampf für ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien. Großbritannien, als Mitglied des UN-Sicherheitsrates, verfüge über ausreichend Gewicht, um Einfluss zu nehmen. Davon war Cox überzeugt. Sie gründete eine überparteiliche Arbeitsgruppe im britischen Parlament, die sich mit Syrien beschäftigte.

Über den Syrien-Konflikt schrieb sie in einem Gastbeitrag für den Guardian, er sei ein Musterbeispiel dafür, wie man sich in Krisen nicht verhalten sollte: "Die internationale Gemeinschaft hat versagt." Etwas später heißt es: "Über vier Jahre lang hat die Welt Syrien abwechselnd ignoriert, verzweifelt die Hände gerungen oder es als Pfand in einem zynischen Machtspiel behandelt." Sie sprach sich für einen Einsatz des Militärs aus - und verstieß damit gegen die offizielle Linie der Partei.

Sie schrieb den Beitrag gemeinsam mit Andrew Mitchell, einem konservativen Politiker, den sie offensichtlich stark beeindruckt hat. "Jo Cox war eine Naturgewalt", schreibt er in einem bewegenden Nachruf auf der Online-Seite des Telegraph. "Ihre große Leidenschaft für Politik hat den ärmsten Menschen dieser Welt geholfen."

Cox lobte die Vorteile der Migration

In ihrer ersten Rede im Parlament sprach Cox über die Vorteile von Migration. "Unser Zusammenleben wurde durch Migration geprägt. Seien das irische Katholiken oder Muslime, die aus Gujarat in Indien, oder aus Kashmir in Pakistan gekommen sind. Wir feiern unsere Vielfalt - und es überrascht mich immer wieder, dass es viel mehr Dinge gibt, die uns einen als uns trennen."

Cox setzte sich vehement dafür ein, dass Großbritannien mehr Flüchtlingskinder aufnimmt. Jeder Politiker, sagte sie im Parlament, "der die Verzweiflung und Angst in den Gesichtern der Kinder gesehen hat, die in unwirtlichen Lagern gefangen sind, sieht sich veranlasst, zu handeln."

Justin Forsythe, Vizepräsident von Unicef, verschaffte Cox ihren ersten großen Job bei Oxfam. Im Interview mit Channel 4 beschreibt er die ermordete Frau: "Sie war die Beste der Besten." Kurz darauf bricht seine Stimme. "In ihrem Herzen war sie die gütigste Person. Sie war ein echter Menschenfreund. Sie hat nicht nur Kampagnen für humanitäre Anlässe geführt, sie hat ihr Leben dementsprechend gelebt. Sie brachte Menschen zusammen, aus allen sozialen Schichten." Es sind Reaktionen wie diese, die nun in ganz Großbritannien zu hören sind.

Jo Cox wurde 41 Jahre alt. Sie war Mutter von zwei Kindern.

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