Glaube in Konflikten:"Religion ist nie allein die Ursache"

Glaube in Konflikten: Nach Konflikten zwischen der mehrheitlich muslimischen Rebellengruppe "Séléka" und christlichen "Anti-Balaka"-Kämpfern in der Zentralafrikanischen Republik suchen Moslems in der Kirche St. Pierre in Boali Schutz.

Nach Konflikten zwischen der mehrheitlich muslimischen Rebellengruppe "Séléka" und christlichen "Anti-Balaka"-Kämpfern in der Zentralafrikanischen Republik suchen Moslems in der Kirche St. Pierre in Boali Schutz.

(Foto: AP)

Christen gegen Muslime, Schiiten gegen Sunniten, Buddhisten gegen Muslime: Statt Frieden zu stiften, scheinen Religionen oft tief zu spalten. Welche Rolle spielen sie tatsächlich in Konflikten? Ein Interview mit Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit.

Von Isabel Stettin

In vielen aktuellen Konflikten sind Spannungen zwischen religiösen Gruppen zu beobachten. In der Zentralafrikanischen Republik, wo sich Christen und Muslime bekriegen, in Syrien zwischen Sunniten und Schiiten. Doch Religion ist immer nur eine Ursache unter mehreren - und kann auch Teil der Konfliktlösung werden, sagt Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit und Professor für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg.

SZ.de: Angesichts aktueller Konflikte von Syrien bis Zentralafrika verstärkt sich der Eindruck, dass immer häufiger die Religion schuld ist an Kriegen und gewaltsamen Zusammenstößen. Stimmt das?

Heiner Bielefeldt: In der Tat erleben wir, dass derzeit in vielen Ländern schwierige politische Selbstfindungsprozesse stattfinden, die manchmal chaotisch verlaufen und in politische Hysterie abgleiten können. Aggressive religiöse Deutungsangebote finden unter solchen Bedingungen oft eine größere Resonanz. Und das Konfliktrisiko wächst. Gewalt gegen religiöse Minderheiten hat - gerade in einigen Staaten des Nahen Ostens, aber auch in Sri Lanka und Myanmar - leider deutlich zugenommen. Das schlimmste Beispiel bietet aktuell vielleicht Syrien. Es zeigt aber auch, dass das Schlagwort "religiöser Konflikt" der Lage nicht gerecht wird.

Werden so die tatsächlichen Ursachen verkannt?

Die Lage in Syrien lässt sich nicht ungebrochen als religiöser Konflikt bezeichnen. Vor drei Jahren ging es zunächst um den Kampf gegen eine Diktatur - unbewaffnete Demonstranten gegen einen bis unter die Zähne bewaffneten Despoten. Irgendwann waren dann die Demonstranten auch bewaffnet, der Konflikt wurde immer mehr in Kategorien des Bürgerkriegs beschrieben und obendrein zum Stellvertreterkonflikt großer, regionaler Gruppen. Und auf einmal war es in der öffentlichen Wahrnehmung dann nur noch der Kampf der Sunniten gegen Schiiten, mit den Christen irgendwo dazwischen. Religion ist zweifellos oft ein Faktor von Eskalation. Doch Religion ist nie allein die Ursache. Aktuell sehe ich sie in keinem einzigen Konflikt eindeutig als der entscheidende Auslöser. Weder in Syrien noch anderswo.

Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Professor für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg

Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Professor für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg

(Foto: Cornelius Wachinger)

In der Zentralafrikanischen Republik ist die Rede vom Kampf zwischen Muslimen und Christen. Zu einfach?

Vom Konflikt der Christen gegen Muslime zu sprechen ist einerseits richtig, jedoch geht es meist nicht um christliche oder islamische Inhalte, sondern um Gruppenzugehörigkeiten. Identitäten werden oft religiös definiert und die Religion wird ihrerseits als Kriterium von Identität instrumentalisiert. In einer Situation des politischen Zerfalls wie in Zentralafrika zählt nur eine Botschaft: Wir sind anders als die. Die anderen sind böse. Sie haben meinen Vater umgebracht, sie haben meine Kinder bedroht oder vergewaltigen unsere Frauen. Das hat nichts mit unterschiedlichen Offenbarungsbekenntnissen, heiligen Büchern, Propheten oder anderen substanziellen Inhalten der Religionen zu tun.

Aber dennoch steht Religion im Zentrum?

Auch wenn es so erscheint: In vielen Konflikten - im subsaharischen Afrika und anderswo -, geht es im Kern um etwas anderes: um Staatsversagen, um Vertrauensverlust. Menschen glauben nicht mehr daran, dass die staatliche Ordnung funktioniert und dass man sich auf die öffentlichen Institutionen verlassen kann.

Und die Religion ist das Ersatzsystem, das Sicherheit verspricht?

Wenn der Staat durch und durch korrupt ist und nur die Interessen bestimmter Klientel bedient, müssen viele Menschen ihr Leben selbst organisieren und sich auf ihre eigenen Netzwerke verlassen. Was bleibt ihnen sonst übrig? Das kann dazu führen, dass der Blick eng nach innen gerichtet wird und vertrauensvolle Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gruppen teilweise oder vollständig zusammenbricht. In extremen Fällen entsteht so ein Klima äußerster politischer Nervosität oder gar Paranoia. Religion kann ein Faktor solcher Paranoia werden, aber sie kann im Gegenteil auch dazu beitragen, Brücken zu bauen und neues Vertrauen zu schaffen. Gerade weil sie Identitäten so stark prägt, kann Religion in Krisensituationen sehr ambivalent wirken. Dann reagieren orientierungslos gewordene Menschen zum Beispiel positiv auf Hasspredigten.

Das klingt paradox: Die Politik sorgt für Vertrauensverlust, die Menschen suchen ihre Identität in der Religion, doch die Religion wird wiederum für Konflikte politisch aufgeladen.

Ja. Politische Machtkämpfe werden so scheinbar zu Konfessionskriegen. Wir sollten mit diesem Etikett vorsichtig umgehen. Denn die Ursachen unheilvoller Dynamiken sind meist vielfältig und lassen sich nicht einfach aus religiöser Differenz ableiten. Vieles hängt an Bildung und Aufklärungsprozessen, an Perspektiven für die Jugend, Korruption oder Nicht-Korruption. Immerhin gibt es aber auch Beispiele dafür, dass sich Religionsgemeinschaften erfolgreich gegen Eskalationstendenzen zur Wehr setzen.

Schildern Sie eines.

Ich war im vergangenen Jahr beispielsweise in Sierra Leone. Es war sehr bewegend zu hören, wie sich dort die Religionsgemeinschaften aus der ganz fürchterlichen Konfliktdynamik dieses Bürgerkriegs [1991 bis 2002, Anm. d. Red.] heraushalten konnten. Der Krieg war schrecklich, es gab Kannibalismus, Kindersoldaten. Aber Religion war nie Bestandteil des Konflikts in diesem Land, in dem eine Mehrheit von Muslimen mit einer stattlichen Minderheit von Christen seit Menschengedenken friedlich zusammenlebt. Im Prozess des Wiederaufbaus spielt der Interreligiöse Rat des Landes eine entscheidende Rolle.

"Der Schlüssel ist Vertrauen"

Inwiefern?

Die Religionsgemeinschaften sind jetzt tragende Kräfte, ein wichtiger Faktor bei der Versöhnung. Nicht nur zwischen Christen und Muslimen, auch zwischen unterschiedlichen islamischen Gruppen gibt es keine Probleme. Sunniten arbeiten zum Beispiel als Lehrer an einer Schule, die von der Ahmadiyya-Gemeinde betrieben wird - und andersherum. Manche Schulkinder stammen aus christlichen Familien. Das ist ein ganz anderes Erfahrungsfeld von Religion in einem nach wie vor sehr schwierigen Land.

Genau diese Konflikte innerhalb des Islams sind gerade ein großes Thema, vom Nahen Osten bis nach Pakistan. Wo liegt die Besonderheit dieser Auseinandersetzungen?

Wir können einiges erklären, wenn wir über Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten sprechen. Doch das, was wir etwa in Syrien erleben, hat substanziell überhaupt nichts mit der Ermordung des Kalifen Ali im Jahr 661 [Auslöser für die Teilung des Islam in Schiiten und Sunniten, d. Red.] zu tun. Das wäre geradezu absurd.

Worum geht es denn?

Manchmal werden zentrale Figuren der Religionsgeschichte - sunnitische Kalifen oder schiitische Imame - von der jeweils anderen Seite delegitimiert. Das kann provozieren. Aber in aller Regel geht es eher um Familiengeschichten, identitätsstiftende Erzählungen aus jüngerer Zeit, die Militarisierung von Identitäten. Die inhaltlichen Differenzen der unterschiedlichen Richtungen des Islam selbst tragen nicht allzu viel zur Erklärung bei. Eher läuft es andersherum, wenn nämlich aktuelle Auseinandersetzungen in die Vergangenheit verlängert und damit weiter dramatisiert werden. So entsteht der Eindruck, als handele es sich um gleichsam ewige Feindschaften, an deren Gründen man sowieso nicht ran kommt, weil sie historisch so weit weg liegen. Solche Bilder sollten wir niemals einfach übernehmen.

Wenn wir in die Geschichte blicken: Gibt es bewährte Lösungsstrategien für Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen, die auf Glaubensfragen beruhen?

Es gibt Erfolgsbeispiele. Der Nordirlandkonflikt ist nach ein, zwei Generationen einigermaßen befriedet - auch wenn hin und wieder etwas aufflackert. Es geht darum, die andere Seite zu entdämonisieren. Entscheidend sind immer Akteure vor Ort und die Annäherung. Der Schlüssel ist Vertrauen, Vertrauen wirkt gegen Angst. Die Religionsgemeinschaften haben hier sowohl Möglichkeiten als auch Verantwortung. Doch Religion ist weder der alleinige Schlüssel zur Ursache noch zur Lösung politischer Konflikte.

Wie können Konflikt überhaupt befriedet werden?

Es gibt nicht überall Menschen von der Größe und Weisheit eines Nelson Mandela, die eine zerrissene Gesellschaft heilen können. Es ist oft ungeheuer schwierig, Vertrauen aufzubauen. Händeschütteln reicht nicht. Manchmal kann Moderation von außen hilfreich sein, zum Beispiel auch durch die Vereinten Nationen. Als Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit halte ich den Aufbau von öffentlichen und verlässlichen Institutionen für zentral. Am wichtigsten aber sind Begegnungen und Austausch auf Augenhöhe über vermeintliche Gruppengrenzen hinweg. Verantwortlich sind letztlich nicht die Religionen, sondern wir Menschen.

Linktipps: Im aktuellen Report von 2013 berichtet Heiner Bielefeldt über seine Aktivitäten als UN-Berichterstatter. Volker Rittberger und Andreas Hasenclever, Friedens- und Konfliktforscher, über "Religionen in Konflikten". Im SZ-Interview spricht Günther Schlee vom Max-Planck-Institut (MPI) für ethnologische Forschung über Konflikt- und Kriegsursachen.

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