Geleaktes Gespräch über Militäreinsatz:Wie Erdoğans Regierung im Konflikt mit Syrien provozieren will

Turkish Prime Minister Recep Tayyip Erdogan attends election camp

Es gehe um die Innere Sicherheit der Türkei: Premier Erdoğan reagierte auf das veröffentlichte Gespräch wütend.

(Foto: dpa)

Die Türkei hat syrische Rebellengruppen bislang gewähren lassen. Nun sind die Zweifel an dieser Strategie so groß geworden, dass die Regierung offenbar im Konflikt mit dem Nachbarn über eine gezielte Eskalation nachdenkt - das zeigt der jüngste Leak. Wie nervös Ankara ist, belegt der Umgang mit der Presse.

Von Luisa Seeling und Hakan Tanriverdi

Zwei Tage vor den Kommunalwahlen in der Türkei spitzt sich nicht nur der Konflikt zwischen Premierminister Erdoğan und seinen Gegnern zu. In der Bevölkerung wächst auch die Angst davor, dass die angespannte Situation an der türkisch-syrischen Grenze eskalieren könnte. Diese Sorgen haben neue Nahrung erhalten: Am Mittwoch wurden auf Youtube Audio-Mitschnitte veröffentlicht, auf denen angeblich der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu im Gespräch mit ranghohen Militärs und Geheimdienstlern zu hören sind.

Eine Stimme, die Geheimdienstchef Hakan Fidan gehören soll, schlägt eine bewaffnete Provokation in Syrien vor, um ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. Agenten sollten von Syrien aus Raketen auf türkisches Brachland abfeuern. Weitere Stimmen sollen Vize-Armeechef Yaşar Güler und Unterstaatssekretär Feridun Hadi Sinirlioğlu gehören. Kurz nach diesem Leak wurde die Video-Plattform gesperrt.

Das hat die Opposition alarmiert: Der stellvertretende Vorsitzende der republikanischen Volkspartei CHP, Gürsel Tekin, sagte, die Regierung plane eine "Provokation" in Syrien, die nun über die sozialen Medien aufgedeckt worden sei. "Nun haben sie Youtube verboten, um zu verhindern, dass die Welt davon erfährt. Sie wissen, dass sie zu Kriegsverbrechern würden", wird er von Today's Zaman zitiert. Erdoğan hingegen nannte die Veröffentlichung der Aufnahmen schändlich und feige. Außenminister Davutoğlu bezeichnete die Aktion als "eine Kriegserklärung an die türkische Republik".

Um zu verstehen, wie brisant die Aufnahmen sind, hilft es, dem Journalisten Kadri Gürsel zuzuhören. Gürsel sitzt in einer Talkshow im Fernsehen, ausgestrahlt auf CNN Türk, er nimmt ein Blatt in die Hand und sagt: "Was ich jetzt vorlesen werde, das unterstütze ich inhaltlich". Danach gibt er ein Statement für die Pressefreiheit wieder. In ihm fallen Worte wie "lachhaft" und "Verzweiflung", das Vorlesen dauert drei Minuten. Kaum ist er fertig, sagt ein weiterer Gast, sichtlich aufgebracht: "Dadurch, dass du diesen Text im Fernsehen vorgelesen hast, hast du das Berichterstattungs-Verbot effektiv ausgehöhlt." Gürsel wird von der Dame anschließend als Vaterlandsverräter bezeichnet.

Weitere Sperrungen drohen

Das Berichterstattungs-Verbot ist eine Maßnahme, die der obersten Regulierungsbehörde für Funk und Fernsehen in der Türkei (RTÜK) zusteht. Wird ein Verbot ausgesprochen, darf in diesen beiden Medien nicht mehr über ein Thema berichtet werden. Im aktuellen Fall hat der stellvertretende Regierungschef Bülent Arinc bei der RTÜK ein solches Verbot für die Audioaufnahmen angefragt und als Grund angegeben, dass dieses Thema die nationale Sicherheit des Landes gefährde. Seither ist das Verbot in Kraft.

Gürsel ist das offensichtlich egal, er setzt sich darüber hinweg. Auf juristischer Ebene könnte das eine Sperrung oder eine Strafe für den Sender nach sich ziehen.

Auch die türkische Tageszeitung Cumhuriyet muss mit der Sperrung ihrer Webseite rechnen. Das Statement, das Gürsel vorgelesen hat, kommt von der Zeitung. Cumhuriyet hat auf ihrer Internetseite auf die Videos verlinkt - laut Beschluss der Telekommunikationsbehörde ist das untersagt. Eine Aufforderung, die Links zu entfernen, hat die Zeitung ignoriert und lieber das Statement verfasst.

Der Kerngedanke lautet: "In einer demokratischen Gesellschaft ist die Hauptaufgabe der Presse nicht, die Regierung zu schützen, sondern das Volk mit Informationen zu versorgen. Wir werden unsere Berichterstattung fortsetzen. Systeme, in denen nur die von der Regierung freigegebenen Informationen weitergegeben werden, kann man nicht als demokratisch bewerten. Eine Presse in diesem System kann man nicht als frei bezeichnen."

Teilweise verfälscht

Das türkische Außenministerium hat inzwischen eine Erklärung abgegeben, in der es ein entsprechendes Treffen der genannten Personen bestätigt. Auch die Echtheit der Aussagen wird bestätigt, es wird jedoch angemerkt, dass die Aufnahme teilweise verfälscht sei. Bei dem Treffen sei es um einen Notfallplan gegangen für den Fall, dass das Grab von Süleyman Şah angegriffen werden sollte. In dem türkischen Mausoleum auf syrischem Boden ist der Großvater von Osman I. begraben, Gründer des Osmanischen Reiches. Das Grab wird bis heute von einem kleinen türkischen Truppenkontingent bewacht. Das Arrangement geht auf einen Vertrag aus dem Jahre 1921 zwischen der Kolonialmacht Frankreich und dem türkischen Parlament zurück.

In dem Gebiet um das Mausoleum kämpften zuletzt verschiedene Rebellengruppen gegeneinander, darunter auch die Gruppe "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" (ISIL - oder auch ISIS, wenn es statt Levante Syrien heißt). Sie hatte in einer Video-Botschaft Ankara gedroht, das bewachte Grabmal anzugreifen. Türkische Regierungsmitglieder hatten daraufhin erklärt, man werde das Land verteidigen. Das Grab Süleyman Şahs gilt als türkisches Staatsgebiet. Die Opposition äußerte sich besorgt: Die Regierung dürfe sich nicht in ein militärisches "Abenteuer" in Syrien hineinziehen lassen.

Immer mehr "Zwischenfälle"

Die Drohungen zwischen Islamisten und türkischer Regierung zeigen, dass sich der Bürgerkrieg im Nachbarland immer mehr auch auf die Türkei auswirkt. Bisher war Ankara vor allem an einem baldigen Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad interessiert. Deshalb ließ die türkische Regierung die Islamisten, die in Syrien gegen das Regime kämpfen, weitgehend in Ruhe. Über die Türkei konnten sie dort einreisen. Beobachter gehen davon aus, dass sie aus der Türkei auch mit Waffen versorgt wurden.

Diese Strategie entwickelt sich aber offenbar immer mehr zum Bumerang. Inzwischen scheinen sich Teile dieser Kräfte gegen den Nato-Staat und westlichen Bündnispartner Türkei zu wenden. Am 20. März überfielen drei Männer einen Kontrollpunkt der türkischen Polizei in der Provinz Niğde, drei Menschen starben. Die Männer gehörten zu ISIL, berichteten Medien.

An der syrisch-türkischen Grenze ist es bereits mehrfach zu Zwischenfällen gekommen - mit Islamisten, aber auch mit Assads regulären Soldaten. Am Sonntag schoss die türkische Luftwaffe einen syrischen Kampfjet ab. Die Maschine soll türkischen Luftraum verletzt haben. Sie ging auf syrischem Gebiet in der Provinz Latakia nieder, wo seit Tagen Rebellen und die syrische Armee um einen Grenzübergang bei Kassab kämpfen.

Im September 2013 hatte die Türkei einen syrischen Militärhubschrauber abgeschossen. Er habe die türkische Grenze überflogen und sei mehrfach gewarnt worden, hatte Ankara erklärt. Im Jahr zuvor hatte die syrische Luftverteidigung über dem Mittelmeer ein türkisches Kampfflugzeug abgeschossen.

Davutoğlu sagte am Mittwoch in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP, er rate keiner syrischen Bewegung und auch nicht der Regierung in Damaskus, die Entschlossenheit Ankaras auf die Probe zu stellen. Um die nationale Sicherheit zu schützen, schloss der türkische Außenminister auch Militäraktionen jenseits der Grenze nicht aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: