Gaza-Streifen:Weihnachten in Gaza: Die stillste Nacht

Lesezeit: 4 min

Weihnachtsgottesdienst in einer Kirche in Gaza-Stadt. (Foto: Ali Ali/dpa)

Christen in Gaza feiern im Verborgenen. Die Hamas hat ihnen Schutz versprochen, doch die Angst vor den Islamisten ist groß.

Von Peter Münch, Gaza-Stadt

Santa Claus spielt Saxofon, und leise rieselt der Kunstschnee in einer aufblasbaren Plastikkugel auf die Winterwunderwelt. Das Blumengeschäft Solitaire will seinen Kunden mit dieser Dekoration wohl einmal etwas ganz Besonderes bieten, doch der Ansturm hält sich in engen Grenzen. Denn erstens lässt sich im islamistisch regierten Gazastreifen mit dem Christen-Kitsch kaum ein Geschäft machen, und zweitens gibt es hier ohnehin nur etwas zu feiern, wenn die Hamas mal wieder mit Pauken und Raketen einen Jahrestag begeht.

Weihnachten ist hier tatsächlich ein sehr stilles Fest, fast totenstill. Und wer wirklich nach adventlicher Besinnlichkeit sucht in Gaza, der muss in einer Seitenstraße durch ein Eisentor treten in eine andere Welt.

Hier liegt die Kirche Heilige Familie, ein schmucker Bau in hellem Stein, gekrönt von einem Betonkreuz. Den Glockenturm hat man sich sparen können, weil kein Glockenklang die Muezzine stören soll. Hinter diesen hohen Mauern hat die katholische Gemeinde von Gaza ihr Refugium gefunden.

Im Innern der Kirche steht der künstliche Tannenbaum schon in voller Pracht, daneben hat man aus braunem Packpapier eine mannshohe Grotte geformt, in der Maria und Josef, die Heiligen Drei Könige und natürlich auch Ochs und Esel vor der leeren Krippen warten. "Das ist alles handgemacht", sagt George Anton. "Der Baby-Jesus wird am Heiligen Abend in einer feierlichen Zeremonie dazugelegt."

"Das Land ist heilig für uns. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir seit 2000 Jahren hier sind."

Als Gemeindevorsteher der Heiligen Familie hat George Anton alle Hände voll zu tun in diesen Tagen. "Zur Christmette erwarten wir 500 Leute", kündigt er an. Das klingt nach Weihnachtswunder, schließlich hat die katholische Gemeinde hier nur noch 120 Mitglieder. Doch am 24. Dezember, erklärt Anton, kämen auch viele der griechisch-orthodoxen Glaubensbrüder. "Wir sind alle Christen und machen da keinen Unterschied", sagt der 35-Jährige, "und die Orthodoxen feiern ja sowieso erst zwei Wochen später Weihnachten."

Die Christen müssen zusammenhalten im Gazastreifen. Als die Hamas 2007 die Macht übernahm, lebten hier noch 5000 Christen. Heute sind es 1300, bei einer Bevölkerung von knapp zwei Millionen liegt ihr Anteil im Promillebereich - und wer kann, der sucht das Weite. "Wir können es keinem übel nehmen, wenn er geht", meint George Anton, "aber wir ermutigen sie alle, hierzubleiben, denn das ist ihre Heimat. Das Land ist heilig für uns, und wir dürfen nicht vergessen, dass wir schon seit 2000 Jahren hier sind." Er zeigt auf Maria und Josef in der Krippe und sagt: "Auf der Flucht nach Ägypten sind auch sie durch Gaza gekommen, es gibt keinen anderen Weg. Deshalb heißt unsere Kirche auch Heilige Familie."

Gaza-Streifen
:Lieder im Verborgenen

Wie Christen im Gaza-Streifen das Weihnachtsfest feiern.

Warum die Christen weggehen aus Gaza, darüber jedoch will niemand offen reden. "Wir sind gar keine Minderheit, wir sind ja Palästinenser", verkündet George Anton tapfer. "Früher hat auch niemand zwischen Christen und Muslimen unterschieden." Zum Beleg erzählt er von seiner eigenen Familie, die 1994 mit Jassir Arafat nach den Osloer Friedensvertragen nach Gaza zurückgekehrt sei, aus dem Exil in Libanon. "Mein Vater war ein Fatah-Mann der ersten Stunde", sagt er stolz.

Doch die Zeiten haben sich geändert, spätestens, seitdem die Hamas 2007 in einem blutigen Putsch die Fatah verdrängt hat. Im selben Jahr hatte ein Mord die Gemeinde erschüttert, der Besitzer eines christlichen Buchladens war von Salafisten entführt, gefoltert und getötet worden - unter dem Vorwurf der Missionierung von Muslimen. Die Hamas hatte damals den Christen zwar Schutz versprochen, doch die Angst ist geblieben, und sie leben ihren Glauben lieber im Stillen, zurückgezogen hinter der Kirchenmauer oder in den eigenen vier Wänden.

Das Wohnzimmer der Familie Michael verströmt eine fast barocke Gemütlichkeit, gegenüber vom Eingang hängt ein Kreuz, schwere Polstermöbel füllen das Wohnzimmer, und der Hausherr hat es sich vor einem Wandteppich bequem gemacht, der den Heiligen Georg beim Drachentöten zeigt. Zur Christenverfolgung hätte dieser Schutzheilige gewiss einiges zu sagen, als Märtyrer ist er zu Beginn des 4. Jahrhunderts gestorben.

Doch auch Suher Michael hebt als Erstes hervor, dass Christen und Muslime in Gaza "wie Brüder" zusammenlebten. "Wir teilen hier das Elend", sagt der 51-Jährige, "wir leben und leiden alle unter denselben Bedingungen." Von der Blockade berichtet er und dem wirtschaftlichen Niedergang, der alle gleichermaßen treffe. Und vom jüngsten Krieg im Sommer 2014, als bei ihm zu Hause die Fenster und Türen aus der Verankerung flogen, weil die Nachbarschaft bombardiert wurde. Sein Urteil: "Israel macht auch keinen Unterschied zwischen Muslimen und Christen."

UN-Bericht
:Gazastreifen droht unbewohnbar zu werden

Ein UN-Bericht warnt: Israelische Militäroffensiven und die Blockade haben zu einer katastrophalen Lage in dem Palästinensergebiet geführt.

Dennoch räumt auch er ein, dass sich das Leben verändert habe in den vergangenen Jahren. So haben die frommen Herrscher der Hamas zum Beispiel ein rigides Alkoholverbot verhängt, und wenn seine Frau Amal nach draußen geht jenseits der engen Grenzen ihres Viertels, dann ist auch sie darauf bedacht, sich zu verschleiern, um nicht aufzufallen. Ein Job in der öffentlichen Verwaltung ist für Christen ohnehin nicht zu finden, die Stellen werden von der Hamas nur an Gefolgsleute vergeben.

Suher Michael kann sich glücklich schätzen, dass er als Pharmazeut Arbeit gefunden hat bei einer christlichen Hilfsorganisation, die im Gazastreifen tätig sein darf. Aber große Sorgen bereitet ihm die Zukunft seiner drei Söhne, die bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von mehr als 50 Prozent kaum Chancen auf dem Markt haben - und das gilt für Arbeitsstellen ebenso wie dafür, eine Frau zu finden.

Er selbst würde mit seiner Familie am liebsten emigrieren. Doch die Grenzen sind zu

"Der Druck ist groß", sagt er. Er weiß von Christen, die in den vergangenen Jahren zum Islam konvertiert sind. Er selbst würde mit seiner Familie lieber heute als morgen emigrieren - doch angesichts der geschlossenen Grenzen nach Israel und Ägypten führt für Christen kaum ein Weg hinaus aus Gaza. Denn auch bei einer Umsiedlung ins palästinensische Westjordanland, wo immerhin noch ein paar Zehntausend Christen leben, müssen die israelischen Behörden zustimmen. "Junge Männer zwischen 16 und 35 bekommen aber nie eine Erlaubnis", sagt Suher Michael. Er müsste also die beiden älteren Söhne zurücklassen. "Ausgeschlossen", sagt er.

Nicht einmal zu einem Weihnachtsbesuch darf die gesamte Familie ins gerade einmal 60 Kilometer entfernt im Westjordanland gelegene Bethlehem fahren - das schmerzt besonders. "Die Feiern dort sind einzigartig", sagt Suher Michael, "Christen aus der ganzen Welt kommen zusammen, es ist wie Karneval in Brasilien, nur heiliger." 2008 sind sie zum letzen Mal dort gewesen, gleich danach begann am 27. Dezember der erste Gaza-Krieg. In diesem Jahr fühlen sie sich dem Geburtsort Jesu wieder ferner als alle andern Christen auf der Welt. "Ich habe eine muslimische Freundin in Belgien", sagt Amal Michael, "die feiert Weihnachten schöner als wir."

Doch bevor sich allzu viel Trübnis ausbreitet im Wohnzimmer der Familie Michael, ergreift der Hausherr wieder das Wort. "An Weihnachten geht es um Frieden, das haben wir hier seit 1948 nicht mehr gehabt", sagt er. "Aber die Hoffnung darauf gebe ich nicht auf. Frieden ist ja das, was unsere Religion uns verspricht."

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gaza ein Jahr nach Kriegsbeginn
:Ruinen des Krieges

"Die Hölle ist aufgestoßen worden": Ein Jahr nach Kriegsbeginn in Gaza zeigt sich das ganze Ausmaß der Zerstörung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: