Gaza-Konflikt:Im Dickicht der Kleinstädte

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Israelische Panzer fahren an der Grenze auf, Reservisten werden einberufen - aber selbst mit einer Bodenoffensive könnte Israel nur begrenzte Ziele erreichen: Warum es für die israelische Armee höchst riskant wäre, tief in den Gaza-Streifen mit seinen 1,7 Millionen feindlich gesinnten Bewohnern, seinen Bunkersystemen, Geheimgängen und Panzerfallen vorzudringen.

Tomas Avenarius

Palästinensische Kinder streifen durch eine von den Israelis zerstörte Moschee im nördlichen Gazastreifen. (Foto: AP)

Der Besuch war kurz, aber spektakulär - und das Ergebnis lässt auf sich warten. Ägyptens Premierminister Hischam Kandil reiste am Freitag für wenige Stunden in den Gaza-Streifen, um einen Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Hamas im letzten Moment zu verhindern. Die Israelis hatten Ägypten signalisiert, dass sie dem Vermittlungsversuch eine Chance geben wollten: Denn die Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht, ist eine Schwesterorganisation der in Kairo regierenden Muslimbrüder. Deren Einfluss ist beträchtlich.

Ziel der Kandil-Mission konnte trotz der scharfen Worte von Staatschef Mohammed Mursi ("wir lassen die Palästinenser nicht allein, das ist ein Angriff auf die Menschlichkeit") daher nur sein: eine Waffenruhe, später ein Waffenstillstandsabkommen. Doch selbst wenn Kairo die Hamas zur Vernunft bringen sollte, ist nichts gewonnen. Die Islamistengruppe hat Widersacher im Gaza-Streifen, die eigene Raketen über die Grenze schießen; sie wollen Israel, der Hamas und sogar den Muslimbrüdern in Kairo schaden.

Israels Möglichkeiten, alle Islamistengruppen im Gaza-Streifen auszuschalten, sind begrenzt. Mit Luftangriffen alleine ist dies nicht zu schaffen. Der nur 350 Quadratkilometer große Gaza-Streifen zählt zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde; jeder Bombenangriff gefährdet das Leben von Zivilisten, zwischen denen sich die Untergrundkämpfer frei bewegen, von deren Wohnvierteln aus sie ihre weitreichenden Raketen abfeuern.

Schon im Gaza-Krieg 2007 konnte die israelische Armee den militärischen Arm der Hamas trotz ihrer dreiwöchigen, mit größter Rücksichtslosigkeit durchgeführten Luft- und Bodenoperation "Gegossenes Blei" nicht ausschalten. Nicht einmal alle Raketen und Waffenlager konnte sie zerstören; und seit 2011 sind aus Libyen und Sudan Tausende noch gefährlichere Geschosse in das Mittelmeer-Küstengebiet gelangt.

Seit zwei Tagen fahren nun israelische Panzer an der Grenze auf, Zehntausende Reservisten werden einberufen. Aber selbst eine Bodenoffensive könnte nur begrenzte Ziele erreichen. Die Besetzung eines Gebiets mit 1,7 Millionen feindlich gesinnten Bewohnern würde eine gewaltige Militäroperation erfordern. Aufgrund der instabilen Lage an Israels anderen Landesgrenzen ist ein solcher Einsatz schwer vorstellbar: Im Libanon wartet die Hisbollah, auf den besetzten Golan-Höhen rückt der syrische Bürgerkrieg immer näher.

Pufferzone als höchstes Ziel

Das Beste, was der sich offenbar schon im Wahlkampf wähnende Premier Benjamin Netanjahu erreichen könnte, wäre eine Pufferzone an der Grenze. Dies würde den Abschuss von im Gaza-Streifen zusammengeschweißten Kurzstreckenraketen vom Typ Qassam, Quds oder Nasser erschweren; deren Reichweite liegt zwischen fünf und zehn Kilometern.

Nur wenige der gut ein Dutzend verschiedenen militanten Gruppen im Gaza-Streifen verfügen offenbar über weiter reichende Fajr-3 oder Fajr-5, Flugkörper iranischer Bauart, die mit Reichweiten von 60 Kilometern Tel Aviv treffen können. Sie wurden für den Einsatz in Gaza entwickelt: Laut einem Wikileaks-Bericht über eine Note zwischen Jerusalem und Washington können die Fajr-Geschosse "in vier Einzelteile zerlegt und so durch die geheimen Tunnel zwischen Ägypten und Gaza transportiert werden".

Ein tiefer Einmarsch bis in die Städte und "Flüchtlingslager" wie Dschabalija wäre für Israels Armee schwierig: Es handelt sich um Kleinstädte, überbevölkert und dicht bebaut. Hier sind die Militanten besonders stark. Hier hat nicht nur die Hamas Bunkersysteme, Geheimgänge und Panzerfallen in Wohngebieten angelegt. Und hier können die Militanten gegen die Israelis eher bestehen als in offenem Gelände, wo sie den Jets, Panzern und Helikoptern wenig entgegenzusetzen haben.

Radikaler als die Hamas

Israels Luftwaffe könnte die Gaza-Palästinenser erneut in Not, Armut und Verzweiflung bomben. Aber trotz seiner Drohgesten hat Netanjahu außer Friedensverhandlungen am Ende wenig Möglichkeiten, sein Gaza-Problem zu lösen. Der Waffenstillstand, den ihm die Ägypter möglicherweise vermitteln können, muss aber die Zustimmung aller Gaza-Militanten finden. Einige der Gruppen wie der von Iran finanzierte "Islamische Dschihad" oder die "Komitees des Volkswiderstands" sind weit radikaler als die Hamas. Sie werfen den Hamas-Regenten vor, sich auf "sinnlose Gespräche" mit dem Feind einzulassen. Ihr Ziel ist die Vernichtung Israels.

Hamas erkennt den Judenstaat zwar auch nicht an, hat aber politischen Spielraum signalisiert, wenn es um eine Verhandlungslösung geht. Wenig Einfluss haben die regierenden Islamisten daher auf die Radikalsten unter den Radikalen: Dschihadistische Salafisten, die im Heiligen Krieg gegen Israel ihre einzige Aufgabe sehen. Sie wollen aus dem Gaza-Streifen ein "Islamisches Emirat" machen und werfen der Hamas vor, den Scharia-Staat noch nicht eingeführt zu haben. Dass der Ägypter Kandil mit der Hamas zu einer für Netanjahu akzeptablen Lösung kommt, ist vorstellbar: keine Raketen aus Israel mehr, dafür aber vielleicht offene Grenzen zu Ägypten. Mit den Ultra-Radikalen vom Islamischen Dschihad oder den Dschihadisten sind solche Kompromisse schwer vorstellbar.

© SZ vom 17.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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