Frankreich:Macron übt sich in Demut

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Demut im Königsschloss: Präsident Macron reagiert auf sinkende Zustimmungswerte und will mit einer Rede in Schloss Versailles Vertrauen zurückgewinnen. (Foto: AFP)
  • Bereits zum zweiten Mal in seiner Amtszeit ruft Frankreichs Präsident Macron den Kongress zusammen.
  • Mit einer Grundsatzrede versucht er, Vertrauen seiner Wähler zurückzugewinnen.
  • Er verteidigt seine wirtschaftsliberalen Reformen - und sichert zu, bald Korrekturen vornehmen zu wollen.

Von Leo Klimm, Paris

Emmanuel Macron glaubt an Autoritäten - und nicht zuletzt an seine eigene. Was könnte besser geeignet sein als der Prunk von Versailles, wo Macron am Montag beide Abgeordnetenkammern zum sogenannten Kongress versammelt hat, um die Autorität des Präsidenten zu unterstreichen? Im Glanz des Königsschlosses von Ludwig XIV. ermessen Parlamentarier und das Volk sofort, was es bedeutet, dass die Verfassung den Staatschef zu einer Art demokratischen Monarchen macht.

Es ist schon das zweite Mal in seiner kurzen Amtszeit, dass der Präsident den Kongress zusammenruft, was unter den Vorgängern ein seltenes Ereignis war. Macron hat seine Gründe: Er glaubt nicht nur an seine Macht. Er verspürt vor allem die dringende Notwendigkeit, Vertrauen zurückzugewinnen, um diese Macht zu stabilisieren. Und den Zauber neu zu beleben, den der junge Präsident mit seiner Wahl vor etwas mehr als einem Jahr entfacht hatte. Vor dem Kongress hält er am Montag deshalb eine Grundsatzrede - die manche aus der Opposition als unzeitgemäße Thronrede belächeln. "Ich weiß nicht alles, und mir gelingt nicht alles", versucht sich Macron gleich zu Beginn in ungewohnter Demut.

Der Staatschef nutzt den Rahmen, um die vielen wirtschaftsliberalen Reformen der vergangenen Monate zu verteidigen. Vor allem aber macht er klar, dass er im zweiten Amtsjahr soziale Korrekturen vornehmen will. "Wir müssen einen neuen Wohlfahrtsstaat bauen", sagt er, das sei nun die Priorität. Nach dem ersten Jahr haftet ihm der Ruf an, er sei "der Präsident der Reichen". Die Abschaffung der Vermögensteuer, die Lockerung des Arbeitsrechts oder die Liberalisierung des Bahnverkehrs ist keine Politik für die kleinen Leute. Im Netz kursiert zudem ein Video, in dem er ätzt, die Sozialhilfe koste "irre viel Kohle". Zuletzt sanken seine Zustimmungswerte deutlich. Eine Mehrheit der Franzosen ist der Meinung, die Politik des Staatschefs sei weder gerecht noch wirksam. Tatsächlich sinkt die Arbeitslosigkeit nur langsam. "Es braucht Zeit, bis die Dinge in der Realität des Landes ankommen", rechtfertigt sich Macron am Montag. Und die Steuersenkungen seien nicht Geschenke an Reiche, sondern dienten Investitionen ins Gemeinwohl, seien gleichsam Sozialpolitik.

Drei Viertel der Franzosen finden, der Staatschef übe sein Amt zu einsam aus

Der eigentliche Plan des Präsidenten für ein sozial gerechteres Frankreich folgt dann dem liberalen Credo, dass der Staat für Chancengleichheit zu sorgen habe und jeder Bürger nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber dem Sozialsystem habe. Für September kündigt er eine Strategie zur Armutsbekämpfung an. Anfang 2019 startet eine große Rentenreform, mit der mehr als 40 verschiedene Ruhestandsregelungen aufgelöst und Menschen mit lückenhaften Erwerbsbiografien bessergestellt werden sollen, verspricht Macron. Eine echte Neuigkeit ist das nicht, er hatte die Reform schon früher angekündigt. Doch der Präsident macht klar, dass er an diesem politisch vielleicht heikelsten Projekt seiner Amtszeit festhält. Es dürfte wie die Reform des Staatsdienstes auf Widerstand stoßen. Oder wie ein nun angekündigter Plan, um "Frankreichs Ausgaben dauerhaft zu senken".

Macron spricht noch über kulturelle Ängste, streift das Thema Europa und die Einwanderungspolitik. Frankreich werde niemals "Deportationen" von Flüchtlingen quer durch Europa akzeptieren. Dann verlässt Macron Versailles. Er nennt seinen Auftritt einen Rechenschaftsbericht. Doch die Regularien sehen keine Debatte mit ihm vor. Die anschließende Aussprache findet nur unter den Parlamentariern statt. Aus der Opposition boykottieren daher einige Republikaner und die Abgeordneten der Linkspartei Macrons Rede. Das trifft die Stimmung im Land. Einer Umfrage zufolge finden drei Viertel der Franzosen, der Präsident übe sein Amt zu einsam aus.

Der Präsident zeigt am Montag Verständnis für das Befremden: Er werde, kündigt er an, die Verfassung so ändern lassen, dass er bei der Kongresssitzung in einem Jahr an der Debatte teilnehmen dürfe. Die Autorität dazu hat er.

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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