Frankreich:"Fraternité" soll aus französischer Verfassung verschwinden

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Liberté, Egalité, Fraternité: Das Motto Frankreichs an einem ramponierten Eingangsschild zu einem Rathaus in Lyon. (Foto: AFP)
  • Am Mittwoch hat der Haut Conseil neun Vorschläge unterbreitet, wie die französische Verfassung weniger männlich daherkommen könnte.
  • Das Wort Brüderlichkeit soll verschwinden und "droits de l'homme" durch "droits humains" ersetzt werden - Menschenrechte also statt Rechte des Mannes.

Von Nadia Pantel, Paris

Kulturhistorisch wird dem Bruder mehr Respekt entgegengebracht als der Schwester. Ersterer wurde von Friedrich Schiller in der Ode "An die Freude" zum Symbol menschlicher Solidarität erhoben. Letztere wurde am prominentesten vom Rödelheim Hartreim Projekt besungen. Damals, 1995, als deutscher Hitparaden-Rap noch nicht antisemitisch, sondern nur schlecht war: "Schwester, Schwester, du bist für mich die Sahnetorte". Für das neutrale Geschwister sieht es auch nicht viel besser aus. Es findet lediglich in den Texten einer Ruhrpott-Band Erwähnung: "Deine Eltern sind Geschwister", diagnostiziert Emscherkurve 77.

Doch die Begeisterung für den Bruder ebbt ab. Ausgerechnet in dem Land, das die "Fraternité" zum Leitgedanken seines Handelns erhebt. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" - der Dreiklang der Republik steht an jedem französischen Rathaus. Wenn es nach dem Hohen Rat für die Gleichstellung von Mann und Frau geht, sollte man langsam mal darüber nachdenken, ob dort nicht lieber "Solidarität" stehen könnte.

Am Mittwoch hat der Haut Conseil, der Frankreichs Premierminister Édouard Philippe untersteht, neun Vorschläge unterbreitet, wie die Verfassung weniger männlich daherkommen könnte. Frankreichs Abgeordnete müssen durch die Reformpläne von Präsident Emmanuel Macron ohnehin über eine neue Verfassung diskutieren. Die Gleichstellungsbeauftragten würden diesen Anlass gerne nutzen, um Folgendes in der Staatsordnung festzuhalten: Frauen haben das Recht, zu verhüten und abzutreiben. Außerdem soll das Wort Brüderlichkeit verschwinden und "droits de l'homme" durch "droits humains" ersetzt werden. Menschenrechte also statt Rechte des Mannes.

Sprachpuristen treten nun, aller Erfahrung nach, vor Zorn die Adern hervor. "Homme" kommt schließlich von "Homo", lateinisch für Mensch. Hat denn niemand mehr die Fähigkeit, Begriffe in ihrem historischen Kontext zu bewerten?

Der historische Kontext geht so: Als Ludwig XVI. im Frühjahr 1789 seine Untertanen aufrief, Beschwerdehefte anzulegen, notierten auch Frauen ihre Sorgen. In den erhaltenen Heften schreiben sie, ihre Erziehung werde sehr vernachlässigt. Töchter würden "einzig aus dem Grund, dass sie als Mädchen zur Welt gekommen sind, von ihren Eltern verschmäht". In der Ehe "ist der eine alles und die andere nichts!" Doch in der Erklärung der Menschenrechte vom August 1789 kommen ihre Nöte nicht mehr vor. Den Zeitgenossinnen war sehr bewusst, dass mit dem Grundsatz "die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren" nicht sie gemeint waren. Und so verfasste die Revolutionärin Olympe de Gouges 1790 als Ergänzung die "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin". Es sollten noch 154 Jahre vergehen, bis ihre Forderung 1944 erfüllt wurde und Frauen in Frankreich das Wahlrecht erhielten.

Mit der Französischen Revolution begann nicht nur das Zeitalter der Bürger, sondern auch das Zeitalter der Männer. Heute sind 87 Prozent der französischen Bürgermeister Männer. Unter den Präsidenten der 18 Regionen finden sich nur vier Frauen. Und noch nie hat eine Frau das Land regiert. Wo Bruder draufsteht, ist auch Bruder gemeint.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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