Flüchtlingspolitik:Warum Hamburger eher gegen Flüchtlingsheime klagen als Münchner

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In Hamburg-Blankenese erreichten Anwohner einer geplanten Flüchtlingsunterkunft kurzfristig einen Baustopp. (Foto: dpa)

Die Hamburger sind besonders klagefreudig, die Ostdeutschen treibt es auf die Straße, die Münchner sind die Könige der Willkommenskultur. Stimmen diese Eindrücke?

Interview: Hannah Beitzer, Hamburg

Der vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung nutzt seit 15 Jahren für seine Forschungen das Modell der gesellschaftlichen Milieus in deutschen Städten und Kommunen. Forschungsleiter Bernd Hallenberg erklärt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, wie diese Milieus zu Flüchtlingen stehen - und wo es besonders viel Widerstand gibt.

SZ: Herr Hallenberg, immer wieder gehen in Hamburg Anwohner gerichtlich gegen Flüchtlingsunterkünfte vor. Sind die Hamburger klagefreudiger als andere Deutsche?

Bernd Hallenberg: Es stimmt, dass sich der Umgang mit Flüchtlingen von Region zu Region unterscheidet. Das hat viel damit zu tun, welche Milieus in welcher Zahl wo leben. In Hamburg haben wir das in Zusammenarbeit mit der Zeit analysiert, indem wir uns angeguckt haben, wer in der Umgebung besonders umstrittener Projekte lebt. Ähnliche Berichte wie aus Hamburg erreichen mich aber auch aus Essen oder Köln, um nur einige Beispiele zu nennen.

Welches Bild hat sich in Hamburg ergeben?

In der Umgebung von besonders umstrittenen Projekten fanden wir häufig ein konservativ-etabliertes Milieu. Blankenese ist dafür typisch. Dieses Milieu ist in Hamburg stärker ausgeprägt als in anderen Großstädten. Außerdem gibt es dort viele Performer - also gesellschaftliche Aufsteiger. Beispiele dafür sind Finanzberater oder Consultants. Beide Milieus sind, wenn man sie ganz allgemein fragt, Flüchtlingen gegenüber positiv gestimmt; das gebietet die Moral. Aber das dreht sich schnell, wenn es um die eigene Nachbarschaft geht. Dann nutzen diese einflussreichen Milieus häufig ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Kontakt zu Gerichten oder in die Verwaltung, um eine Verschlechterung ihrer eigenen Umgebung zu verhindern. Teilweise mit weit hergeholten Begründungen.

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Von Hannah Beitzer

Warum wählen sie gerade diese Form?

Tatsächlich entwickeln unterschiedliche Milieus sehr unterschiedliche Protestmuster. Bei den Konservativ-Etablierten und den Performern gibt es einen Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Haltung gegenüber Flüchtlingen und dem Verhalten in der eigenen Nachbarschaft.

Das ist übrigens nicht nur in der Flüchtlingsfrage so. Denken sie zum Beispiel an junge Gutverdiener, die nach Berlin-Kreuzberg ziehen, weil sie eigentlich eine vielfältige Umgebung schätzen. Sobald sie aber dort leben, wollen sie die Umgebung nach ihren Vorstellungen gestalten. Daraus entwickelt sich eine Preisspirale mit Verdrängung der angestammten Bewohner - auch wenn die Performer das ursprünglich gar nicht unbedingt beabsichtigt haben.

Sind sich die Leute dieser Widersprüche bewusst?

Was die Flüchtlinge angeht, ist den beiden Milieus der Widerspruch zwischen Moral und ihrem eigenen Handeln durchaus bewusst. Daher üben sie sehr subtile Formen des Protests aus. Andere, eher bürgerliche oder prekäre Milieus, sind in ihrer Einstellung viel stringenter. Sie lehnen grundsätzlich das Fremde ab - und verhalten sich auch in ihrer Umgebung entsprechend. Der Protest ist dann oft weniger subtil, spielt sich auch auf der Straße ab.

Gerade Städte in Ostdeutschland geraten so immer wieder in die Schlagzeilen ...

Genau. In Ostdeutschland haben wir ein bürgerliches Milieu, das vor allem unbehelligt und in Ruhe leben möchte und sich wehrt, wenn es diese Lebensform in Gefahr sieht. Auch die mangelnde konfessionelle Bindung scheint eine Rolle für das Verhalten gegenüber Flüchtlingen zu spielen. In Regionen mit einer starken christlichen Prägung fällt der Widerstand gegen Flüchtlinge geringer aus. In Süddeutschland ergibt sich zum Beispiel eine ganz andere Gemengelage als in Ostdeutschland. Skepsis und Hilfsbereitschaft halten sich mehr die Waage. Das hat vielleicht damit zu tun, dass die Leute dort mehr gesellschaftlichen Halt als in Ostdeutschland verspüren, wo sie eher vereinzelt sind.

Als Hauptstadt der Willkommenskultur galt im vergangenen Jahr München, die Bilder vom Hauptbahnhof gingen um die Welt. Warum?

In München haben wir ein sehr starkes liberal-intellektuelles Milieu. Auf der Metaebene ist das das aufnahmefreudigste Milieu überhaupt. Toleranz und Offenheit sind prägend für das Weltbild dieser Leute. Zwar sind sie wie die Konservativ-Etablierten manchmal skeptisch gegenüber Flüchtlingen in der eigenen Nachbarschaft. Doch Widerstand wäre mit ihrem Weltbild kaum zu vereinen. Daher werden sie eher selbst aktiv, um zu helfen oder wenn sie befürchten, es könnte etwas schiefgehen. Sie fragen: Was kann ich machen, um die Situation zur Zufriedenheit aller zu gestalten?

Welche Rolle spielt es für die Haltung gegenüber Flüchtlingen, ob jemand arm oder reich ist?

Gruppen mit geringem Einkommen sind stärker direkt vom Zuzug der Flüchtlinge betroffen als solche mit höherem Einkommen - zum Beispiel, weil sie mit den Flüchtlingen um günstige Wohnungen konkurrieren. Daraus kann Ablehnung entstehen. Das heißt aber nicht, dass automatisch Menschen mit geringem Einkommen skeptischer gegenüber Flüchtlingen sind. Wir haben zum Beispiel in vielen Großstädten das Milieu der Experimentalisten, also junger, kreativer Menschen. Die leben zwar was das Einkommen angeht im unteren Drittel der Gesellschaft, sind aber gleichzeitig Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen und gesellschaftlich sehr engagiert.

Was können denn die Städte und Kommunen tun, wenn sie auf Widerstand treffen?

Gerade Milieus, wie man sie in Hamburg findet, können meiner Meinung nach oft durch Kompromisse gewonnen werden. Viele Städte schöpfen da die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung noch nicht voll aus. Sie machen zwar Informationsveranstaltungen, es gibt aber oft nur wenige Möglichkeiten für die Bürger, aktiv mitzugestalten. Bürger nehmen solche Veranstaltungen aber nur dann ernst, wenn sie das Gefühl haben, dass sie auch Einfluss nehmen können. Kompromisse funktionieren allerdings auch nicht immer. Manche Leute haben ganz klare Grenzen und sagen: Bis hierhin und nicht weiter.

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