Flüchtlinge in Europa:Merkels Deal mit der Türkei ist angreifbar, aber es gibt keinen besseren Vorschlag

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Flüchtlinge in der Türkei: Die Abschiebungen haben begonnen. (Foto: AFP)

Dass das Verfahren den völkerrechtlichen Bestimmungen zum Umgang mit Flüchtlingen womöglich nicht entspricht, stört außerhalb Deutschlands die Wenigsten.

Kommentar von Stefan Kornelius

So wie die Ankunft der vielen Tausend Flüchtlinge in Europa durch eine sehr nationale Brille beäugt wurde, so wird die Abschiebung der ersten paar Hundert zurück in die Türkei von ähnlich nationalem Interesse und vor allem Desinteresse begleitet. Europa hat sich nie gemeinschaftlich in der Verantwortung gefühlt. "Kümmere sich, wer mag", hieß die Losung, weshalb am Ende vor allem Deutschland als Kümmerer übrig blieb.

Nun gibt es eine sogenannte europäische Lösung, die vor allem darin besteht, möglichst viele Schlepper abzuschrecken, ein paar Menschen aufzunehmen und ansonsten darauf zu hoffen, dass die diversen Fluchtursachen möglichst bald verschwinden mögen. Der Menschen-Ringtausch mit der Türkei löst kein Wohlbehagen aus. Verfahren und Konditionen entsprechen nicht der deutschen Verwaltungsordnung und womöglich auch nicht den einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen zum Umgang mit Flüchtlingen, was aber außerhalb Deutschlands die Wenigsten stört.

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Wer aus dem Brüssler Ratsbeschluss vom 18. März eine saubere Lösung für dieses humanitäre Großproblem erwartet hat, der bekommt nun in den Stacheldraht-Lagern von Lesbos und an der türkischen Küste Nachhilfe in praktischer Lebenskunde. Die griechische Bürokratie ist - trotz der europäischen Hilfe - überfordert. Und nach welchen Kriterien die türkischen Behörden arbeiten, entzieht sich weitgehend der Kontrolle.

Umgekehrt gilt aber auch: Wären weiterhin Tausende Menschen täglich in Deutschland und anderswo in Europa gestrandet, dann wären weiterhin die Heime in Flammen aufgegangen, wäre das Schengen-Abkommen zerbrochen und die Hysterie gestiegen. Man hätte mit Grauen auf die nächsten Wahlen gewartet.

Ein Flüchtling kann abgeschoben werden, die Verantwortung nicht

Mit der ersten Abschiebefähre in die Türkei ist das Dilemma nun also per Bewegtbild zu betrachten: Entweder nimmt Europa, nimmt Deutschland Menschen bedingungslos auf, überprüft und versorgt sie, und schickt sie gegebenenfalls eines Tages wieder zurück. Oder es schottet sich ab, im Zweifel mit Gewalt, weil es um den Zusammenhalt seiner eigenen Gesellschaften fürchtet oder um die nicht mehr zu kontrollierende Sogwirkung der Migration.

Irgendwo dazwischen liegt der von Angela Merkel propagierte Deal mit Bargeldunterstützung, wie er nun mit der Türkei praktiziert wird. Auch diese Varianten des Umgangs mit Flüchtlingen ist angreifbar. Bislang hat sich aber noch keiner mit einem besseren Vorschlag gemeldet.

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Wer die humanitäre Not nicht lösen und sein Gewissen nicht am Lagerzaun von Lesbos ablegen kann, dem bleibt nur eine enorme Anstrengung in der Kunst des Möglichen. Möglich ist es zum Beispiel, die vereinbarten Verfahrensregeln für die Abweisung der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln einzuhalten. Dazu müssen sich EU und Griechenland noch viel mehr anstrengen. Möglich ist eine abermalige Anstrengung bei der humanitären Hilfe. Es ist beschämend, wie Desinteresse (vieler EU-Staaten) und nationaler Eigensinn (Griechenlands) ein Zeltlager mit Klospülung unmöglich machen, das in jeder Erdbebenregion schnell errichtet gewesen wäre.

Möglich ist nun auch die intensive Einwirkung auf die Türkei. Das EU-Türkei-Abkommen kennt zwei Vertragspartner. Hier schuldet sich keiner eine Gefälligkeit, hier geht es um Interessen. Die Türkei hat dabei mehr zu verlieren. Ihre Rolle im Kreis der westlichen Demokratien steht auf dem Spiel. Europa muss die Türkei aber auch an seiner Seite halten, weil es auf die Stabilität im Südosten angewiesen ist. Auch wenn die Staatsführung in Ankara kein Lieblingspartner ist: Sie hat Hilfe verdient. Die erste Fähre zurück ist Symbol dieser schicksalhaften Verbindung.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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