Farc-Verhandlungen in Oslo:Frieden wäre der Sieg

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Seit einem halben Jahrhundert tobt in Kolumbien der Bürgerkrieg. In Oslo wollen die kolumbianische Regierung und die Guerillabewegung Farc den anachronistischen Konflikt nun beilegen. Vor zehn Jahren haben sie sich das letzte Mal ohne Waffen gegenübergestanden.

Peter Burghardt

Für Friedensgespräche kommen die kolumbianische Regierung und Anführer der Guerillagruppe Farc in Oslo zusammen. (Foto: dpa)

Es war für beide Seiten ein weiter Weg aus Kolumbien nach Norwegen. Zehntausend Kilometer trennen Bogotá von Oslo, wo am Donnerstag die Friedensmission der kolumbianischen Regierung und der Guerillabewegung Farc beginnen soll. Es hat außerdem lange gedauert, bis es zu dem Treffen kommen konnte. Der Bürgerkrieg tobt seit einem halben Jahrhundert, und die letzte Begegnung ohne Waffen liegt zehn Jahre zurück. Für die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos ist dieser Vorstoß ein mutiger Schritt. Doch die komplizierteste Anreise hatten die Rebellen.

Viele von ihnen kommen aus dem Urwald und werden weltweit gesucht. Gegen die Mitglieder ihrer Delegation sind Hunderte Strafverfahren anhängig, Kolumbiens Justiz musste erst freies Geleit versprechen. Verhandlungsleiter Iván Márquez überquere gerade einen reißenden Fluss, berichtete Farc-Anführer Timoleón "Timochenko" Jiménez noch zu Wochenbeginn in einem Interview.

Márquez, der in Wirklichkeit Luciano Martín Arango heißt, versteckte sich im Grenzgebiet zu Venezuela, genauso wie Farc-Sprecher Ricardo Téllez alias Rodrigo Granda. Gegen sie alle liegen internationale Haftbefehl vor, ebenso gegen Tanja Nijmeijer, die exotischste Insurgentin. Die Niederländerin Nijmeijer schloss sich vor einem Jahrzehnt den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens an und trägt Kampfnamen wie Alexandra und Eileen. Inzwischen ist sie 34 und die einzige Europäerin auf der norwegischen Farc-Liste.

Das führte zu weiteren Verzögerungen, weil seit der Entführung dreier US-Amerikaner durch die Farc vor allem Washington hinter ihr her ist. Wegen der diplomatischen Verwicklungen wird Tanja Nijmeijer frühestens in Havanna am Tisch sitzen. Auf Kuba führen beide Lager seit eineinhalb Jahren geheime Vorgespräche, dort soll demnächst die zweite Phase der Kontakte stattfinden.

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Sie begannen als militärischer Arm der kolumbianischen Kommunisten - doch ihr Kampf scheint kaum noch politisch motiviert. Mit Drogenhandel und Entführungen versetzten die Farc-Rebellen in den vergangenen Jahren viele Kolumbianer in Angst. Nun verhandeln sie erneut mit der Regierung. Für eine Lösung des blutigen Konfliktes fehlt vor allem eines: Vertrauen.

Erste Gespräche in Oslo

Schauplatz der ersten Sitzungen aber ist Oslo. Nach Wetterkapriolen und juristischen Zweifeln geht es jetzt offenbar los. Der Regierungsvertreter Humberto de la Calle ist "gemäßigt optimistisch". Er glaubt, "dass wir gute Nachrichten nach Kolumbien bringen." Die Umstände sind günstig, einerseits. Das älteste Aufständischen-Heer der Welt ist müde. Seit 1964 ziehen die Farc gegen das Establishment zu Felde, als Folge des kubanischen Umsturzes von 1959. Ihre Revolution indes ist längst Utopie. Wegen der sozialen Ungerechtigkeiten haben die Guerilleros in der Provinz zwar noch eine Basis. Von ihren marxistischen Wurzeln sind allerdings nur Fragmente geblieben. Wie andere Banden verdienen die Farc mit Drogen und Erpressung. Von ursprünglich fast 20 000 Männern und Frauen ist kaum mehr die Hälfte im Einsatz. Der Staat hat sie in die Enge getrieben - und ahnt dennoch, dass die Schlacht nicht zu gewinnen ist.

Andererseits suchte man bisher dreimal einen Ausweg, dreimal ging es schief. Das dritte Experiment scheiterte zwischen 1998 und 2002 in der Wildnis. Der damalige Präsident Andrés Pastrana ließ für die Farc ein Gebiet von der Größe der Schweiz vom Militär räumen. Pastrana traf den legendären Farc-Gründer Manuel Marulanda alias Tirofijo (Blattschuss), beim zweiten Gipfel ließ Marulana ihn sitzen. Die Farc nützten die Waffenruhe, um aufzurüsten. Auch hatte Kolumbiens Armee seinerzeit kein Interesse an einem Ende des Konflikts. Nach Pastranas missglückter Initiative gewann der Hardliner Álvaro Uribe die Wahl und schickte mit US-Hilfe noch mehr Soldaten in die Schlacht. Gleichzeitig wurden rechtsextreme Todesschwadronen immer mächtiger.

Die Farc verschleppten Politiker, darunter Íngrid Betancourt. 2008 wurde sie befreit, und es fiel ein Farc-Kommandant nach dem anderen. Marulanda erlag einem Herzinfarkt, Mitstreiter wie Raúl Reyes und zuletzt Alfonso Cano wurden getötet, andere liefen über. Der aktuelle Farc-Befehlshaber Timochenko und Staatschef Santos suchen nun nach einer Lösung. Er habe den Schlüssel für die Tür des Friedens in seiner Hosentasche, verkündete Santos bei seinem Amtsantritt 2010. "Der Sieg ist der Frieden." Er setzt den militärischen Druck fort, aber bemüht sich gleichzeitig um Ansätze von Landrückgabe und Wiedergutmachung. Anders als Uribe glaubt Santos nicht, die Farc mit Gewalt bezwingen zu können.

Íngrid Betancourt war jahrelang in der Gewalt der Farc. (Foto: dapd)

Besprochen werden sollen in Norwegen und Kuba vor allem vier Themen. Es geht erstens um ländliche Entwicklung. Zweitens um die politische Teilnahme der vormaligen Kämpfer. Drittens wird der Rauschgifthandel erörtert, viertens die Entschädigung der Opfer. Im Detail wird es kompliziert. Außer den Farc gibt es noch die Guerilla ELN. Und dann sind da die Erben der Paramilitärs, die Großgrundbesitzer vor diesen Guerillas schützen sollten, und die selbst zu Drogengangs wurden. Uribe brüstete sich, er habe sie entwaffnet, aber viele Milizen machen weiter. Dazu wüten die Nachfolger der Kartelle von Medellín und Cali, nach wie vor produziert Kolumbien Hunderte Tonnen von Kokain. Obendrein führt Uribe die Opposition gegen die Friedenspläne seines Nachfolgers Santos an. Er nennt das Projekt "eine Ohrfeige für die Demokratie".

Der Widerstand reaktionärer Kreise ist groß. In der Vergangenheit wurden Kolumbiens demobilisierte Umstürzler in Massen ermordet. Trotzdem spricht Farc-Boss Timochenko vom "Adiós den Waffen". Die meisten Kolumbianer hoffen, dass es diesmal gelingt. Santos hat die Unterstützung von Militär und Polizei, deren frühere Chefs sitzen in der Friedenskommission. Ausländische Vermittler helfen. Norwegen und Kuba sowie Chile und Venezuela begleiten die Debatten. Besonders der venezolanische Präsident Hugo Chávez und sein kubanischer Kollege Raúl Castro gelten dank guter Beziehungen zu den Farc als wertvolle Vermittler. Die Friedenssuche wird Monate dauern, ein Waffenstillstand ist erst geplant, wenn die Tinte unter den Verträgen trocken ist. Der Krieg geht solange weiter. Zuletzt meldete Kolumbiens Armee in der Region Antioquia wieder acht tote Guerilleros, die Farc sprengte in Arauco zwei Menschen aus dem Leben.

© SZ vom 18.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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