Europawahl:Europa kann wählen - nur wenige gehen hin

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Die Polen bleiben den Wahlen zum EU-Parlament fern: Nach den ersten Stunden lag die Wahlbeteiligung landesweit bei 6,65 Prozent - auch in Deutschland fällt die Wahlbeteiligung zunächst schwach aus.

Die Mitgliedsländer der Europäischen Union wählen seit Donnerstag die Abgeordneten des Europaparlaments - in Deutschland und 18 weiteren Mitgliedsstaaten wird an diesem Sonntag abgestimmt. Erst nach Schließung der italienischen Wahllokale um 22.00 Uhr werden in Brüssel die ersten EU-weiten Ergebnisse bekannt gegeben.

Wahl zum Europaparlament: Die Beteiligung bleibt mancherorts hinter den Erwartungen zurück (Foto: Foto: AFP)

Letzte Umfragen hatten eine niedrige Wahlbeteiligung in Deutschland prognostiziert, was sich mit dem Wahlauftakt deckt: In Polen hatten bis zwölf Uhr lediglich 6,65 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, teilte die Staatliche Wahlkommission PKW in Warschau mit.

2004 lag die Beteiligung insgesamt nur bei 20,9 Prozent. Niedrige Wahlbeteiligung sei eine "nationale Eigenschaft" der Polen, sagte Ministerpräsident Donald Tusk bei der Stimmabgabe in Sopot bei Danzig. Seine Landleute sollten vielleicht lernen, "damit zu leben", so Tusk.

In Deutschland ist die Wahlbeteiligung bislang schwach: In Berlin gaben beispielsweise 10,2 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab, 3,9 Prozentpunkte weniger als bei der Europawahl vor fünf Jahren. Auch in ostdeutschen Ländern war die Beteiligung rückläufig.

In Nordrhein-Westfalen haben bis Mittag in acht ausgewählten Kreisen 18 Prozent der Bürger abgestimmt, teilte die Landeswahlleiterin mit. Vor fünf Jahren war der Zwischenstand in diesen Kreisen erst um 14 Uhr ermittelt worden und lag bei knapp 25 Prozent.

In größeren Städten Bayerns berichteten Wahlleiter dagegen von Zwischenergebnissen, die meist leicht über den Vergleichswerten von 2004 lagen. Außerdem nahmen überall deutlich mehr Bürger an der Briefwahl teil als noch vor fünf Jahren.

In München lag die Beteiligung einschließlich Briefwahl um zwölf Uhr bei 23,4 Prozent - und damit um rund fünf Punkte höher als beim Europa-Urnengang davor. Regensburg kam zur selben Zeit auf etwa einen Prozentpunkt mehr.

In Nürnberg hatten bis Mittag knapp 15 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Das war nach Angaben des Wahlamtes knapp ein Prozent mehr als zuvor. Im verregneten Würzburg zog es bis dahin jedoch lediglich 7,2 Prozent der Bürger in die Wahllokale. 2004 waren es dort 9,8 Prozent. Eine weitere Ausnahme machte Augsburg mit einem Minus von etwa zwei Punkten auf 9,9 Prozent ohne Briefwähler.

Auch in Deutschland wird der Entscheidung dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl am 27. September bundespolitische Bedeutung eingeräumt. Für die 99 deutschen Mandate in Straßburg und Brüssel bewarben sich 1196 Kandidaten aus 32 Parteien und Gruppierungen, wovon 30 Bundeslisten aufgestellt haben.

Der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU) rechnete mit keiner allzu hohen Wahlbeteiligung: "Ich glaube, dass die Leute Europa wollen, auch wenn sich das in der Wahlbeteiligung noch nicht ausdrückt", sagte Deutschlands höchstrangiger Europapolitiker am Sonntag bei der Stimmabgabe in seiner Heimatstadt Bad Iburg.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) befürchtet ein abermaliges Absinken der Wahlbeteiligung bei der Europawahl. Der 49-Jährige und seine Frau Bettina gaben am Vormittag in ihrem Wohnort Großburgwedel ihre Stimme für das neue Europäische Parlament ab.

Amtliche Ergebnisse um 22 Uhr

Bei der größten übernationalen Wahl aller Zeiten sind mehr als 375 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Letzte Umfragen vor der Wahl versprachen der konservativ-liberalen Fraktion eine erneute Mehrheit. Für diesen Fall gilt eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dessen Mandat im November endet, als wahrscheinlich. Die Sozialdemokraten hatten dagegen angekündigt, dies verhindern zu wollen.

In einigen der 27 Mitgliedsländer sind die Wahllokale noch bis zum späten Sonntagabend geöffnet. Amtliche Ergebnisse dürfen erst nach Schließung der europaweit letzten Wahllokale um 22 Uhr bekanntgegeben werden. Die Niederlande hielten sich nicht daran. Am Freitag meldete die Nachrichtenagentur ANP, Geert Wilders EU- feindliche Partei für Freiheit (PVV) sei zur zweitstärksten Kraft in Holland geworden. Sie erhielt vier der 25 niederländischen Mandate im Europaparlament, nur einen Sitz weniger als die Christdemokraten.

Auf Malta hatten nach ersten inoffiziellen Ergebnissen die oppositionellen Sozialisten den Sieg davongetragen. Demnach entfielen auf die Sozialisten knapp 55 Prozent der Stimmen. In Zypern profitierten nach ersten Meldungen die beiden Parteien, die sich für eine Wiedervereinigung der geteilten Insel einsetzen. In Irland kommt die Partei von Ministerpräsident Cowen auf rund 23 Prozent, berichtete das Wahlforschungsinstitut Lansdowne. Damit ist sie erstmals nicht stärkste Kraft im Land. Die Oppositionspartei Fine Gael erhielt 30 Prozent. Beobachter sehen darin jedoch nicht ein Aufflackern anti-europäischer Stimmungen. Irland ist besonders stark von der Finanzkrise betroffen.

In Großbritannien gilt das Votum vom Donnerstag als möglicherweise entscheidender Test für die im Spesenskandal unter immensen Druck geratene Regierung. In den vergangenen Tagen traten reihenweise Kabinettsmitglieder zurück. Premierminister Brown wehrte sich jedoch bis zum Sonntag erfolgreich gegen Forderungen auch aus seiner eigenen Labour-Partei, er solle sein Amt niederlegen.

Fälle von Stimmenkauf

In Bulgarien wurden neue Fälle von Stimmenkauf gemeldet. Dabei soll eine Wählerstimme bis zu 40 Lewa (20 Euro) gekostet haben, berichtete der bulgarische Staatsrundfunk aus dem Süden des Landes.

Einen Erfolg konnte die slowakische Regierungspartei Smer-Sozialdemokratie von Ministerpräsident Robert Fico verbuchen. Sie erhielt nach inoffiziellen vorläufigen Ergebnissen 30 Prozent der Stimmen - doppelt so viele wie die stärkste Oppositionspartei.

In der EU gibt es zum Teil sehr unterschiedliche Wahltraditionen. Das ist auch ein Grund, warum an verschiedenen Tagen gewählt wurde. Europaweit ging die Beteiligung nach 62 Prozent bei der ersten Direktwahl des EU-Parlaments 1979 seitdem kontinuierlich zurück. Gemeinsam mit der EU-Kommission und dem EU-Ministerrat ist das Europaparlament eine Schlüsselinstitution der Europäischen Union. Das Abgeordnetenhaus hat weitreichende Rechte bei der EU-Gesetzgebung.

Der Vertrag von Nizza sieht 99 der 736 Sitze im Europaparlament für Deutschland vor. Das ist die größte nationale Abordnung in Straßburg.

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