EU-Parlament:Präsident nach der vierten Runde

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  • Der konservative Italiener Antonio Tajani wird neuer Präsident des EU-Parlaments. Im vierten Wahlgang erhält er die notwendige einfache Mehrheit.
  • Möglich geworden war sein Sieg durch die Unterstützung der liberalen Fraktion.
  • Tajani folgt auf Martin Schulz - der deutsche Sozialdemokrat wechselt in die Bundespolitik.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Straßburg

Die SMS kam pünktlich zum Abendessen. Um 20.34 Uhr erhielten die 217 Abgeordneten der Europäischen Volkspartei am Montag Nachricht, dass sie sich am Morgen um acht Uhr zu einer außerordentlichen Fraktionssitzung einfinden sollten. Vielen war spätestens da klar, dass der Tag der Entscheidung im Machtkampf um die Nachfolge von Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) mit einer Überraschung beginnen würde. Und wer gehört hatte, dass auch die 68 Liberalen sich versammeln, für den war es dann nicht einmal mehr eine richtige Überraschung.

Die große Koalition mit den Sozialdemokraten ist tot. Es gibt jetzt einen "Pakt der Ergebnisse"

"Europa steckt in der Krise", lautet der erste Satz eines zweiseitigen Papiers, das EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) am Morgen schließlich seinen Leuten präsentiert und zunächst einmal ihn selbst aus einer Krisensituation befreit. Es handelt sich um eine Vereinbarung zwischen seiner EVP und den Liberalen, die eine Menge politischer Forderungen enthält. Im Kern bedeutet sie vor allem: Der umtriebige Liberale Guy Verhofstadt zieht seine Kandidatur für das Amt des Parlamentspräsidenten zurück. Stattdessen sollen seine Fraktionsmitglieder den EVP-Mann Antonio Tajani wählen. Für die in den ersten Wahlgängen nötige absolute Mehrheit reicht das nicht - für viel Optimismus, dass Tajani sich am Ende gegen den Sozialdemokraten Gianni Pittella durchsetzen wird, aber schon. Die große Koalition mit den Sozialdemokraten ist tot. An deren Stelle tritt, wie Weber verkündet, ein "Pakt der Ergebnisse" mit den Liberalen.

Und dieser Pakt hält, zumindest an diesem Tag: Im vierten Wahlgang bekommt der frühere EU-Industriekommissar Tajani am Abend 351 Stimmen; sein italienischer Landsmann Pittella bringt es in dieser Stichwahl auf 282. Als das Ergebnis bekannt wird, fallen sich beide, der Sieger und der Verlierer, im Straßburger Parlamentssaal in die Arme, fast eine Minute lang. Dann bittet Schulz Tajani, sich auf seinen Präsidentensessel zu setzen. Webers Strategie war erfolgreich. An der Spitze der europäischen Institutionen steht nun ein christdemokratisches Dreigestirn: Neben Tajani zählen dazu EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk. Grundlage für Tajanis Sieg ist der Schwenk der Liberalen. Als Dank hat Verhofstadt ihnen zwei Vizepräsidentenposten gesichert sowie den Vorsitz in der Konferenz der Ausschussvorsitzenden - einen Posten, den intern einige für wichtig halten. Auch in der EU-Kommission hat man ihnen nach eigener Aussage eine Aufwertung versprochen. Dafür sollen die Liberalen wiederum zugesagt haben, eine weitere Amtszeit von Tusk als Ratspräsident zu unterstützen.

Für die Öffentlichkeit soll aber vor allem die Abmachung mit der EVP betont werden, in der von vielerlei Reformen für die EU die Rede ist. "Wir brauchen Führung, die Zukunft wartet nicht", heißt es. Die Rede ist auch von der "Möglichkeit eines Konvents", einer Konferenz zur Änderung der EU-Verträge, die aber viele Staats- und Regierungschefs rundheraus ablehnen. Auch von Wachstum, Umwelt und Werten ist in der Vereinbarung die Rede. Der Text sei so gehalten, dass auch Sozialdemokraten und Grüne zustimmen könnten, sagt Weber: "Diese Vereinbarung lädt ein."

Der italienische Christdemokrat Antonio Tajani wird nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten von Abgeordneten des Europaparlaments umarmt. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Letztlich geht es darum, ob die beiden größten Fraktionen wieder zusammenfinden können nach dem Bruch. Den Sozialdemokraten wirft Weber vor, dass "sie das Erbe von Martin Schulz mit Füßen treten". Zum Erbe von Schulz gehört freilich auch, dass er trotz einer anderslautenden schriftlichen Vereinbarung mit Weber gerne Parlamentschef geblieben wäre. Nachdem Schulz seinen Wechsel nach Berlin verkündet hatte, fühlte sich Pittella an die Vereinbarung nicht mehr gebunden, kündigte die große Koalition und trat selbst an.

Die schillerndste Rolle spielte Verhofstadt. Auch er hatte die Vereinbarung zwischen Schulz und Weber mitgezeichnet, dass die EVP in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode den Parlamentspräsidenten stellt. Dennoch wollte er zunächst selbst die Schulz-Nachfolge antreten und peilte dafür gar ein Bündnis mit den Euro-Kritikern des italienischen Ex-Komikers Beppe Grillo an. Als er damit bei den eigenen Leuten nicht durchkam, suchte er sein Heil im Pakt mit Weber. "Ich befürchte, das wird unser Image nicht verbessern", sagt seine Fraktionskollegin Sylvie Goulard. Die Französin wollte auch kandidieren, hatte aber zu wenig Unterstützer.

Besonders erbittert reagieren die Sozialdemokraten. Man habe Verhofstadt kürzlich einen "klaren pro-europäischen Deal" vorgeschlagen, schimpft eine Fraktionssprecherin, doch der Liberale habe seine Fraktion über das Angebot nicht einmal informiert. Stattdessen sei er "nach rechts gesprungen", in die Arme von "Berlusconis Mann in Brüssel", Tajani. Man möge bei den Tatsachen bleiben, schießen die Liberalen zurück: Es habe keinen "ernsthaften Vorschlag" seitens Pittellas gegeben, das angekündigte Telefonat sei ausgeblieben.

Am Nachmittag zeichnet sich ab, dass die Wahl trotz der Absprache zwischen Christdemokraten und Liberalen zu einer zähen Angelegenheit wird. Die Politiker verbringen die Zeit mit Schwätzchen an der Bar, von "wilden Angeboten" ist auf den Gängen die Rede. Entscheidend ist nach dem dritten Wahlgang, wie sich die Fraktion der Konservativen und Reformer (ECR), zu der auch britische Tories und die polnischen Pis-Abgeordneten zählen, verhält. Auf ihre Stimmen ist Tajani angewiesen. EVP-Mann Weber umwirbt sie daher, macht ihnen allerlei Versprechungen. Auch von Pittellas Sozialdemokraten kommen Avancen. Klarheit bringt erst die letzte Runde. In der Stichwahl genügt die einfache Mehrheit. Kurz zuvor hat sich die ECR-Gruppe dazu überreden lassen, für Tajani zu stimmen. Der Rest ist Formsache.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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