Eritrea:"Keine Ahnung, was Sie meinen"

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Zehntausende fliehen aus dem Land. Der Informationsminister des Regimes sagt im Gespräch, es gebe weder Folter noch politische Häftlinge.

Interview von Stefan Klein

Yemane Ghebremeskel, 63, studierte in der eritreischen Hauptstadt Asmara und danach in London Mathematik, ehe er sich 1978 dem Befreiungskrieg Eritreas gegen Äthiopien anschloss. Für die Eritrean People's Liberation Front (EPLF) nahm er 13 Jahre lang diplomatische Funktionen in Rom, Paris, Brüssel und London wahr. Nach der Befreiung 1991 arbeitete Yemane Ghebremeskel jahrelang als Vertrauter an der Seite von Präsident Isayas Afewerki. Seit Anfang dieses Jahres ist er Informationsminister. Er gilt als einflussreich. Zur Begrüßung sagt er: "Machen Sie sich hier Ihr eigenes Programm." Bespitzelt wird der Reporter trotzdem, und ohnehin gilt der Freiraum nur bis zur Stadtgrenze von Asmara. Für jede Reise ins Landesinnere muss ein Antrag gestellt werden. Für das Interview in seinem Büro in Asmara nimmt er sich anderthalb Stunden Zeit.

SZ: Herr Minister, warum fliehen so viele Eritreer aus ihrer Heimat?

Yemane Ghebremeskel: Weil Europa sie einlädt. Eritreer bekommen in Europa fast automatisch Asyl, das ist ein großer Anreiz.

Ist es nicht vielmehr so, dass viele Eritreer die Zustände in ihrem Land unerträglich finden?

Wir hatten einen Krieg mit Äthiopien, das immer noch Teile unseres Territoriums besetzt hält. Das hat uns gezwungen, den National Service zu verlängern, der eine Bürde ist für viele junge Leute.

Es ist doch kein Wunder, dass Leute fliehen, wenn sie diesen Frondienst leisten müssen, der oft viele Jahre dauert und so miserabel bezahlt ist, dass keiner davon leben kann.

Ja, der National Service ist beschwerlich, aber dies ist keine Politik unserer Wahl. Sie wurde uns aufgezwungen durch eine existenzielle Bedrohung.

Sie machen es sich einfach, Sie schieben alles auf den Konflikt mit Äthiopien. Aus dem Land getrieben werden Eritreer doch auch durch die schweren Menschenrechtsverletzungen. Kommen sie in Europa an, erzählen sie von Willkür und Folter.

Das müssen sie doch, sonst bekommen sie kein Asyl. Sie müssten mal sehen, wie viele Tausend Eritreer jeden Sommer aus Europa zu Besuch kommen, darunter viele, denen man Asyl gegeben hat . Glauben Sie im Ernst, die kämen her, wenn sie vor Verfolgung geflohen wären?

Sie wollen behaupten, in Eritrea gebe es keine Folter, keine Verhaftungen ohne Gerichtsurteil, keine Unterdrückung grundlegender Freiheiten?

Eritrea ist nicht Guantanamo. Folter ist bei uns gesetzlich verboten.

Und dies Gesetz wird auch befolgt?

Ich gehe davon aus.

Demnach wäre der fast 500 Seiten lange Bericht der Vereinten Nationen, der solche Menschenrechtsverletzungen auflistet, ein Märchen?

Ja, der ist ein Märchen. Der wurde von Leuten geschrieben, die nie im Land waren.

Weil man sie nicht ins Land gelassen hat. Ist Eritrea nicht auch ein hochgerüsteter Militärstaat, der dreimal mehr für die Armee ausgibt als für die Gesundheitsversorgung?

Falsch, gerade in den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Bewässerung haben wir enorm investiert. Was die Armee betrifft, so sorgen wir für ihren Unterhalt. Mehr können wir uns gar nicht leisten, außerdem haben die UN ein Waffenembargo gegen uns verhängt.

Haben Sie nicht eine Armee von mehr als 200 000 Mann bei einer Bevölkerung von etwa drei Millionen?

Nein, nein.

Noch mal zu den Flüchtlingen: Was tun Sie, um sie zum Bleiben zu bewegen? Oder ist Ihnen die Flucht ganz recht, weil sie dann mit noch mehr Rücküberweisungen aus der Diaspora rechnen können als Sie ohnehin schon bekommen?

Fast ein Viertel der Bevölkerung Eritreas soll geflohen sein: Straßenszene in der Hauptstadt Asmara. (Foto: Jacek Malipan/ddp)

Eritrea ist ein stolzes Land. Vergessen Sie die Überweisungen, wir wollen ja noch nicht mal Entwicklungshilfe. Um es klar zu sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Leute gehen, es ist ein Blutverlust, der uns weh tut. Aber es gibt natürlich auch die, die ihren Master im Ausland machen wollen . . .

Ich rede von denen, die sich heimlich nachts über die Grenze absetzen.

Wer dies tut, handelt illegal. Wer erwischt wird, wird bestraft mit zwei, drei Monaten Haft.

Nur zwei, drei Monate?

Normalerweise. Vielleicht sogar weniger. Es geht darum, die Fluchtwilligen zu entmutigen. Entscheidend aber ist, dass Europa aufhört, Eritreern automatisch Asyl zu gewähren. Und dass Äthiopien unser Land freigibt und aufhört, die Kriegstrommel zu schlagen und uns zu destabilisieren. Wir könnten den National Service sofort wieder auf 18 Monate beschränken, wenn Äthiopien uns nicht mehr bedrohen würde.

Schon wieder Äthiopien...

Ich glaube, Sie unterschätzen, was wir durchgemacht haben. Im Befreiungskrieg haben wir 60 000 Mann verloren, später im Grenzkrieg mit Äthiopien noch mal 20 000 Mann. Jede Familie hier hat Tote zu beklagen. Wir wollen nicht noch einen Krieg, aber wir müssen vorbereitet sein.

Eritrea hat ein furchtbar schlechtes Image. Was tun Sie, um es zu verbessern? Warum lassen Sie nicht mehr Journalisten ins Land?

Wir hatten hier eine Präsenz von internationalen Reportern, aber dann kamen so viele negative Berichte voller Vorurteile, dass wir Beschränkungen eingeführt haben. Es ist nicht hilfreich, wenn Leute mit bestimmten Absichten herkommen.

Journalisten sind nicht dazu da, hilfreich zu sein.

Ich will ja nur, dass korrekt berichtet wird. Wer hierher kommt, weil er glaubt, Eritrea sei das Nordkorea von Afrika, ein Land der Dämonen, der wird natürlich Leute finden, die ihm das bestätigen.

Aber sprechen die Fakten nicht für sich? Ihr eigener Vorgänger ist geflohen, Fußballnationalspieler sind von Auswärtsspielen nicht zurückgekehrt.

Ja, weil man sie mit falschen Versprechungen gelockt hat.

Wären die Spieler glücklich und zufrieden in Eritrea gewesen, hätten vermutlich die schönsten Versprechungen nichts genützt. Und was ist mit Ihrem Vorgänger Ali Abdu?

Das ist eine politische Sache.

Er soll ein enges Verhältnis zu Präsident Isayas Afewerki gehabt haben, trotzdem ist er geflohen.

Lassen wir das.

Herr Minister, hat Ihre Regierung etwas zu verbergen?

Nein.

Warum darf dann das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) die diversen Lager nicht besuchen, wo Menschen gefangen gehalten werden?

Weil das IKRK kein Mandat dafür hat.

Das sieht das IKRK anders. Aber würden Sie es denn Amnesty International erlauben?

Vermutlich gehören Sie auch zu denen, die glauben, es gebe in Eritrea 10 000 politische Gefangene. Ich sage Ihnen, wir leben hier in einem Rechtsstaat. Das erste Gewohnheitsrecht in Eritrea wurde 1492 aufgeschrieben. Da wurde Amerika gerade erst von Columbus entdeckt.

Würden Sie Amnesty erlauben, eritreische Gefangene zu besuchen?

"Märchen" sind Yemane Ghebremeskel zufolge Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Eritrea unter Präsident Afewerki. Ghebremeskel ist Informationsminister. (Foto: oh)

Wir werden Amnesty nicht rufen, weil wir mit denen ein Problem haben. Aber wenn sich die Frage stellen sollte, ob eine dritte Partei Anschuldigungen nachgeht, die erhoben wurden, dann sage ich, wir sind offen dafür.

Gibt es politische Gefangene in Eritrea?

Wir haben keine politischen Gefangenen, aber wir haben Politiker, die in Haft sind.

Auch Journalisten?

Ja, aber da geht es um komplizierte Vorgänge, die lange zurückliegen.

2001, die "Gruppe der 15", die in einem offenen Brief Missstände angeprangert hat...

Das waren unsere Genossen, unsere Helden, die zu Verrätern wurden.

Konnten sie sich in einem ordentlichen Gerichtsverfahren verteidigen?

Ihr Fall wurde in der Nationalversammlung verhandelt...

...wo nur die Staatspartei vertreten war.

Es war eine Art Impeachment mit dem Ergebnis, dass sie inhaftiert wurden.

Sie sind immer noch in Haft?

Ja.

Leben sie noch?

Das weiß ich nicht.

Gibt es weitere politische Gefangene?

Hören Sie, in diesem Land kann jeder seine Meinung über die Regierung sagen, ohne befürchten zu müssen, dass er verhaftet wird.

Warum haben dann so viele Menschen Angst, mit einem ausländischen Journalisten zu reden?

Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen. Ich lebe in dieser Stadt, ich sehe doch, wie Menschen in den Bars sitzen und über tausend und eine Sache reden, ohne jede Zurückhaltung.

Die Menschen in Eritrea haben das Recht, ihre Meinung zu sagen, wann immer und wo immer sie wollen?

Ja, das tun sie. Ich kenne niemanden, der eingesperrt worden wäre, weil er mit einem Fremden gesprochen hat.

Ist Eritrea eine Demokratie?

Das ist eine Frage der Definition. Wir haben keine Opposition, keine privaten Medien, und wir haben auch keine Verfassung, weil der Krieg das verhindert hat. Aber jetzt haben wir die Verfassungskommission wieder eingesetzt.

Und was wird dabei herauskommen?

Wir denken, dass es politische Parteien braucht, denn die Gesellschaft sollte nicht monolithisch sein.

Und dann wird es auch Wahlen geben?

Wenn unsere Verfassung steht, ja natürlich.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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