Einwanderungsgesetz:Quoten, Punkte, Sensationen

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Vor 14 Jahren hätte Deutschland fast ein zukunftsweisendes Einwanderungsrecht bekommen. Doch es scheiterte - an Kanzlerin Merkel und einem Machtspiel im Bundesrat.

Von Heribert Prantl

Vor 15 Jahren, zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung also, wurde vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die große überparteiliche Zuwanderungskommission eingesetzt. Den Vorsitz hatte die langjährige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU.

Einundzwanzig Leute aus Industrie und Handwerk, Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler, berieten fast ein Jahr lang. Sie legten dann im Juli 2001, vor ziemlich genau 14 Jahren, ein großes Konzept vor, als Grundlage für ein Einwanderungsgesetz, das damals, um die CDU/CSU nicht zu sehr zu erschrecken, "Zuwanderungsgesetz" genannt wurde. "Zuwanderung gestalten, Integration fördern" hieß es. Und es stehen dort alle Vorschläge, über die heute noch immer diskutiert wird.

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Strategie für eine aktive Beschäftigungspolitik

Es finden sich auf den 300 Seiten Regeln für die Einwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland. Es findet sich dort eine Strategie für eine aktive Beschäftigungspolitik. Es findet sich, fein geordnet, alles, was heute, noch einigermaßen ungeordnet und unfertig, erneut aufgetischt werden muss: eine Quotenregelung für die Einwanderung, ein Punktesystem für Einwanderer.

Die Kriterien für dieses Punktesystem waren Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Qualifikation und Deutschkenntnisse; Sonderpunkte gab es für beruflich qualifizierte Ehepartner und für Kinder; auf maximal hundert Punkte konnte der Einwanderungskandidat kommen. Jugendliche Flüchtlinge sollten eine Arbeitserlaubnis erhalten, damit sie eine Ausbildung absolvieren können. Auch bereits in Deutschland lebende Ausländer, denen nur ein befristeter Aufenthalt gewährt wurde, sollten sich an dem Verfahren für einen dauernden Aufenthalt bewerben können.

Bundestag und Bundesrat sollten, so der Plan, über die jährliche Einwanderungsquote entscheiden, ein "Zuwanderungsrat" sollte dafür Empfehlungen geben. Denn spätestens von 2010 an, so prognostizierte die Süssmuth-Kommission, würde "ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften herrschen".

Die CDU/CSU verhinderte ein Konzept zur Migration

So sollte ein System entstehen, das das Asylverfahren entlastet, das Mobilität ermöglicht und das den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland deckt. Entstanden ist dann leider - nichts. Die Arbeit der überparteilichen Einwanderungskommission und ihrer Chefin Rita Süssmuth wurde von ihrer eigenen Partei blockiert. Die CDU/CSU hat damals ein ziemlich ausgeklügeltes gesetzliches Konzept zur Migration verhindert.

Das Gesetz hätte die Schwierigkeiten, in denen sich Deutschland heute angesichts stark steigender Flüchtlingszahlen befindet, mindern können. Es hätte einigermaßen rechtzeitig die Weichen richtig gestellt und das Asylverfahren (mit Regelungen unter anderem für die Bürgerkriegsflüchtlinge) und das Einwanderungsverfahren (mit klar umrissenen Auswahlkriterien) auf verschiedene Gleise geleitet.

Auf der Basis des Berichts der Süssmuth-Kommission schrieb damals Bundesinnenminister Schily den Entwurf eines Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes, der sich radikal vom alten Ausländerrecht verabschiedete. Das neue Recht sollte kein ausladendes, sondern ein einladendes Recht sein, kein Polizeirecht mehr, sondern ein Bürgerrecht für Ausländer und künftige Neubürger. Der Gesetzwurf wollte eine Phase des kalten bürokratischen Kriegs in der deutschen Innenpolitik beenden. Aber dazu kam es dann nicht.

Richard von Weizsäcker, CDU, der ehemalige Bundespräsident, beschwor die Union vergeblich, das Gesetz gemeinsam mit der rot-grünen Regierung zu verabschieden. Das Zuwanderungsgesetz bedeute für die Innenpolitik, was die Ostverträge einst für die Außenpolitik bedeutet hatten, sagte er damals. Seinerzeit hatte Weizsäcker partiell erfolgreich bei seiner Partei um eine Zustimmung zur Brandtschen Ostpolitik geworben. Nun, dreißig Jahre später, gelang ihm das bei der Einwanderungspolitik nicht mehr.

Peter Müller, damals CDU-Ministerpräsident des Saarlandes und heute Bundesverfassungsrichter, hatte zwar für die CDU selbst ein aufgeschlossenes Konzept zur Einwanderung geschrieben, dem die Parteichefin Angela Merkel auch zustimmte. Aber Merkel applaudierte zugleich der Strategie der Unionsministerpräsidenten. Die lehnten, angeführt von Roland Koch und Edmund Stoiber, das Süssmuth/Schily-Gesetz rigoros ab. Merkel und Müller schwenkten schließlich auf diese Linie ein.

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Das Land votierte geteilt

Am 22.März 2002 kam es dann zum Showdown im Bundesrat. Das Schicksal des Gesetzes hing angesichts der Kräfteverhältnisse dort am seidenen Faden, an der Zustimmung des Landes Brandenburg. Das Land votierte geteilt: Ministerpräsident Manfred Stolpe von der SPD stimmte mit Ja; sein Stellvertreter, der Innenminister Jörg Schönbohm von der CDU, stimmte mit Nein. Der Bundesratspräsident, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, wertete das als Zustimmung, weil nach dem Grundgesetz ein Land im Bundesrat nur einheitlich abstimmen darf.

Damit standen 35 Ja-Stimmen gegen 34 Nein-Stimmen und Enthaltungen. Der frühere hessische SPD-Ministerpräsident Holger Börner sagte damals der Süddeutschen Zeitung: "Ich hätte den Minister Schönbohm noch in der Sitzung und vor laufender Kamera entlassen."

Die CDU-Ministerpräsidenten inszenierten einen Eklat, CDU-Ministerpräsident Müller gab später zu, dass es sich um ein zuvor abgesprochenes Theater gehandelt habe. Aber das Bundesverfassungsgericht akzeptierte in seinem Urteil vom 18. Dezember 2002 die Stimmen Brandenburgs nicht. Mangels Mehrheit konnte das Zuwanderungsgesetz daher nicht, wie geplant, zum 1. Januar 2003 in Kraft treten.

Bundesinnenminister Schily musste daraufhin ein sehr reduziertes Zuwanderungsgesetz vorlegen, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Von geregelter Einwanderung, von einem Punktesystem, von all den Neuerungen, die die Süssmuth-Kommission dem Land bringen wollte, ist darin nicht mehr die Rede. Darum geht die Diskussion darüber bis heute weiter.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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