Neue Regierung in Tunesien:Islamisten und Säkulare teilen sich die Ämter

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Tunesiens stärkste Parteien haben sich über die Besetzung der obersten Posten im Staat verständigt: Präsident wird Moncef Marzouki. Das Amt des Premiers übernimmt der Generalsekretär der gemäßigt islamistischen En-Nahda-Partei.

Rudolph Chimelli

Tunesiens stärkste Parteien haben sich über die Besetzung der obersten Posten im Staat geeinigt. Präsident der Republik wird der 66-jährige Arzt Moncef Marzouki, der durch seinen langjährigen Kampf für die Menschenrechte unter dem gestürzten Diktator Zine el-Abidine Ben Ali bekannt ist. Seine Gruppierung, der links stehende und laizistische Kongress für die Republik (CPR), hat bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung vor einem Monat 29 der 217 Mandate erhalten.

Der linksliberale Arzt und Menschenrechtler Moncef Marzouki wird Präsident Tunesiens. (Foto: AFP)

Premierminister wird erwartungsgemäß der Generalsekretär der gemäßigt islamistischen En-Nahda-Partei (89 Mandate), der 62-jährige Ingenieur Hamadi Jebali. Als Parlamentsvorsitzender ist Mustafa Ben Jaafar von der sozialdemokratischen Ekatakol-Gruppe (20 Mandate) vorgesehen.

Die verfassungsgebende Versammlung traf sich am Dienstag zu ihrer konstituierenden Sitzung im Bardo-Palast des früheren Beys von Tunis. Von ihr wurde die Bestätigung der informellen Einigung der Koalitionspartner erwartet.

Heftig umkämpft ist indessen noch die Besetzung der einzelnen Ministerien. So beansprucht Marzoukis Kongress das Innenministerium. En-Nahda will jener Partei in diesem Schlüsselministerium jedoch nicht einmal den Staatssekretär zugestehen. Die linke "Demokratische Fortschrittspartei PDP" (16 Mandate) und der linke "Demokratisch-moderne Pol PDM" (fünf Mandate) stehen in der Opposition. Ungeklärt ist die politische Zukunft der bis zur Wahl unbekannten "Volkspetition al-Aridha" (26 Mandate). Sie war erst kurz zuvor von dem in London lebenden Millionär Hechmi Hamdi gegründet worden.

Während sich der Vorsitzende von En-Nahda, Rachid Ghannouchi, immer bemühte, von seiner Bewegung ein tolerantes, fortschrittliches Bild zu präsentieren, erregte Hamadi Jebali noch Mitte November auf einer Massenversammlung in Sousse Aufsehen. In einer Rede schwärmte er von der Möglichkeit, das Kalifat könne neu erstehen. In Anwesenheit eines Vertreters der palästinensischen Hamas sagte Jebali, der zum Nachfolger Ghannouchis vorgesehen ist, ferner: "So Gott will, wird von hier die Wiedereroberung Jerusalems ausgehen." Um die erregten Laizisten zu beruhigen, die En-Nahda zutiefst misstrauen, ruderte Jebali alsbald zurück. Er stehe voll auf dem Boden der Republik, beteuerte er. Bei seinen Äußerungen habe es sich um rhetorische Floskeln gehandelt.

Auch Marzouki, der unter Ben Ali im Gefängnis war, bemüht sich um Versöhnlichkeit. "Nein, nein, En-Nahda ist nicht der Teufel. Man soll ihre Mitglieder nicht als die Taliban Tunesiens darstellen", sagte er kürzlich in einem Interview. "Sie stellen eine gemäßigte Fraktion des Islam dar. Islamist ist nicht gleichbedeutend mit Terrorist." In Tunesien sei der Islamismus eine konservative Bewegung mit religiöser Färbung.

Seinen laizistischen Anhängern, die ihn wegen der Zusammenarbeit mit den Islamisten kritisieren, hielt Marzouki während des Wahlkampfs entgegen: "Die alte, übertrieben laizistische und französisch-sprechende Linke hat völlig den Kontakt mit den wahren Problemen der tunesischen Gesellschaft verloren." Marzouki hat lange im französischen Exil gelebt und kehrte erst nach dem Sturz Ben Alis in die Heimat zurück. Mit den Islamisten verbindet ihn heute, dass er die arabisch-islamische Identität Tunesiens anerkennt. Sie haben ihn im Wahlkampf unterstützt.

Auch die 26 Abgeordneten der Volkspetition gehören laut Marzouki zum Volk, und er will deshalb mit ihnen als Präsident zusammenarbeiten, nicht aber mit ihrem Chef Hechmi Hamdi. Marzouki betont, er wolle einen "entschiedenen Staat" und werde in Sachen der Menschenrechte sowie der Rechte von Frauen und Kindern keine Kompromisse eingehen.

© SZ vom 23.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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