Eigene Wohnungen für Flüchtlinge:Home Sweet Home

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Kongolo Twite lernt Deutsch - und wohnt in den eigenen vier Wänden. (Foto: N/A)
  • Nur wenige Kommunen bemühen sich, Flüchtlinge aus überfüllten Wohnheimen in private Wohnungen zu bringen.
  • Der Einzug in die eigenen vier Wände könnte dem Sozialsystem viel Geld sparen - wenn es genug billige Wohnungen gibt.

Von Jannis Brühl, Köln

Ihre erste Nacht in Deutschland verbrachte Kongolo Twite in einer Zelle. "Das war schrecklich. Ich bin zur Polizei und die sagten, dass ich bei ihnen übernachten müsse." Weil Sonntag war, konnten sie keine andere Unterkunft für die junge Frau aus dem Kongo auftreiben. Das war vor drei Jahren, Twites erste Erfahrung mit dem öffentlichen Wohnsystem für Flüchtlinge hierzulande. Danach wurde es kaum besser in den Gemeinschaftsunterkünften, durch die sie zwei Jahre lang geschleust wurde. In dem System ist es nicht vorgesehen, die Neuankömmlinge, die vor Krieg, Gewalt oder Armut fliehen, dorthin zu bringen, wo jeder Mensch hinwill: in die eigenen vier Wände. Es sei denn, jemand hilft ihnen.

Twite wurde geholfen. Heute wohnt die 27-Jährige in Köln, in einer Wohnung der katholischen Kirche, mit einer Aufenthaltserlaubnis für mindestens drei Jahre. Vermittelt wurde ihr die Wohnung in einem Kölner Hinterhof - ganz seriös. Dort sitzt das so genannte Auszugsmanagement der Caritas. Sozialarbeiter Massimo Marcone vermittelt Flüchtlinge, die als aufenthaltsberechtigt oder "geduldet" gelten, aus den überlasteten Heimen in private Wohnungen. Er kümmert sich um Wohnberechtigungsscheine, Schufa-Einträge und begleitet die Flüchtlinge zu Besichtigungen. Sein Job ist es, sich mit der Sozialbürokratie herumzuschlagen, die schon mal keine Miete übernehmen will, wenn eine Wohnung drei Quadratmeter größer ist als die vorgeschriebene Höchstgröße für einen Flüchtling. Marcone sagt: "Ich habe denen ein Fax geschrieben und sie gefragt, ob sie denn keine Zeitung lesen." Die Heime seien schließlich überfüllt.

Er muss auch gegen Vorurteile von Vermietern kämpfen, die besonders Roma träfen. Allgemein gelte, dass Flüchtling nicht gleich Flüchtling sei: "Die Leute sind ganz scharf auf syrische Christen." Die anderen Gruppen gerieten da manchmal in Vergessenheit.

"Der Hausmeister war nicht gut zu mir"

In Marcones Büro sitzt Twite, die Frau mit den vielen schwarzen Zöpfen, und erzählt, was sie in den Wohnheimen erleben musste. Im ersten lebte sie mit 20 Menschen in einem Raum. Männer und Frauen gemeinsam, es wurde geraucht. In einem anderen hatte sie zwar ein eigenes Zimmer, aber: "Der Hausmeister war nicht gut zu mir." Was das bedeutet? Obwohl sie schon gut Deutsch kann, sagt Twite es lieber auf Französisch und lässt es von der Übersetzerin auf Deutsch wiederholen: "Der war hinter Röcken her." Jetzt hat Twite, die im Kongo Tiermedizin studierte, endlich eine Wohnung, endlich Ruhe. Dort kann sie sich auf ihren Deutschkurs konzentrieren. Dann will sie Chemielaborantin werden. Und was macht sie zur Entspannung am Liebsten in der Wohnung? Sie grinst verlegen: "Computer spielen."

Dass sich jemand darum kümmert, Flüchtlinge in Wohnungen zu bringen, ist die Ausnahme, nicht die Regel. Dabei löst es zwei Probleme: Es entlastet die überfüllten Unterkünfte. Selbst die ständig eröffneten Notunterkünfte reichen in vielen Städten nicht mehr aus, die Zahl der Erstanträge auf Asyl ist in diesem Jahr um mehr als die Hälfte gestiegen. In Köln leben Flüchtlinge in alten Hotels, einer Turnhalle, bald in einem Baumarkt. Zweitens ermöglicht das Auszugsmanagement Flüchtlingen anzukommen: Eine eigene Wohnung bedeutet, unter Deutschen zu leben, nicht kaserniert als Außenseiter.

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Dass alle Flüchtlinge erstmal in Heimen landen, ist gesetzlich gewollt: Wer auf die Bewilligung seines Asylantrages wartet, soll "in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden", steht im Asylverfahrensgesetz. Von eigenen Wohnungen steht da nichts. Oder wie es die Organisation Pro Asyl in einer Studie zum Thema Unterbringung trocken formuliert: "Flüchtlinge sind Objekte der Verwaltung. Bei der Wahl des Wohnsitzes und der Unterbringungsform haben sie kein Mitspracherecht."

Jedes Bundesland, jede Kommune agiert anders. Es liegt also immer am Engagement der Kommunen und anderer Träger, die Menschen in Wohnungen zu vermitteln. Einige Städte wie Bremen oder Köln kümmern sich, als vorbildlich gilt auch das "Leverkusener Modell". In Kölns Nachbarstadt am Rhein kamen seit 2002 durch ein Auszugsmanagement viele Flüchtlinge in Wohnungen. Aber es sind nur wenige Städte, die sich gezielt bemühen. Dazu kommt die Wohnungsnot an vielen Orten. Wenn gebaut wird, dann oft teure Eigentumswohnungen. Die sind für Flüchtlinge und andere sozial schwache Gruppen unbezahlbar.

In den Heimen gibt es genug Probleme: "Schimmel und Kakerlaken sind Standardthemen", erzählt Doris Kölsch, Leiterin des Projektes Auszugsmanagement. Zudem beäugten sich verschiedene Flüchtlingsgruppen misstrauisch. In Unterkünften in Burbach und Bad Berleburg herrschten noch im Sommer chaotische Zustände, Sicherheitsleute misshandelten Bewohner. Und gerade wurde bekannt, dass sich Windpocken in Kölner Heimen ausbreiten.

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Solchen Zuständen sollen weniger Menschen ausgesetzt werden. 162 Personen kamen seit 2011 über das Projekt in Wohnungen, zuvor hatten sie in Heimen gelebt - teils sehr lange. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer waren vier Jahre und zwei Monate, ein Flüchtling hatte gar 24 Jahre in einer Unterkunft gelebt.

In Köln hat auch Wasam H. mit Hilfe von Massimo Marcone endlich eine Wohnung für seine Frau und seine vier Kinder gefunden. In Bagdad verkaufte der heute 46-Jährige Iraker Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs in seinem Mini-Markt. Dann wurden die Viertel gesäubert: Hier durften nur noch Schiiten leben, dort nur noch Sunniten, erzählt er. "Für uns Christen ist da kein Platz mehr", sagt Wasam. Er wurde zum Ziel: "Erst drohen sie dir. Dann schicken sie dir einen Brief. Darin sind zwei Kugeln. Dann weißt du, dass es Zeit ist, zu gehen."

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Wenn Wasam H. auf Arabisch erzählt, schiebt er immer wieder ein deutsches Wort ein: "Heim." Diese Unterkünfte warteten in Deutschland auf ihn. Es gab zwar Zimmer für ihn und seine Familie, aber sie hatten keine Türen. Und dann die Gemeinschaftsduschen: "Wenn jemand badete, musste ein anderer Wache halten, weil die Tür nicht zuging." Der Lärm setzte ihm zu: "Dort konnte man nicht zur Ruhe kommen." Im neuen Zuhause hat Wasam genug Ruhe, die Zukunft zu planen. Die Kinder, heute zwischen einem und 17 Jahre alt, sollen studieren, aber es geht nicht nur um sie. Wasam grinst und sagt leise: "Ich habe einen Traum. Ein eigenes Restaurant. Meine Frau und ich kochen, arabisch und griechisch."

Wer sich den humanitären Gründen verschließt, Flüchtlinge in Wohnungen leben zu lassen wie den Rest des Landes, dem rechnet Doris Kölsch die finanziellen Vorteile vor: Wären alle Asylbewerber, die als Teil des Projektes in Wohnungen kamen, in Heimen geblieben, hätte das die Stadt 1,1 Millionen Euro gekostet. In Privatwohnungen war es weniger als die Hälfte der Kosten, die den Sozialämtern und Job-Centern entstehen: Heimleitung, Sozialberatung und die in Verruf geratenen Sicherheitsdienste für die betroffenen Flüchtlinge fielen weg.

Ein Problem hat Wasam H. allerdings mit seiner neuen Wohnung: Der Tiefgaragenplatz muss bezahlt werden, obwohl er gar kein Auto hat. Typisch deutsche Mietersorgen. Endlich.

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