Die Dauerkrise der FDP:Wenn die Krise zum Normalzustand wird

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Die FDP bekommt von der Union endlich die lang erbettelten Steuersenkungen und liebäugelt just in diesem Augenblick mit der SPD. Helfen wird das alles nicht. Um endlich aus der Krise zu kommen, müssten sich die Liberalen neu erfinden.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Liberalen haben gebettelt und gefleht, sich erniedrigen und beschimpfen lassen. Nach zwei Jahren der Schmach, des politischen Niedergangs, gibt Kanzlerin Angela Merkel der ausgebluteten Partei wonach sie lechzt: Runter mit den Steuern! Mehr Netto vom Brutto. Noch ist das nur ein Strohhalm, an den sich die FDP klammern kann. Ein Grundsatzbeschluss ist gefasst. Vom 1. Januar 2013 an sollen Klein- und Mittelverdiener weniger Steuern zahlen und die Sozialabgaben gesenkt werden. So ist zumindest der grobe Plan. Umfang und Systematik sind noch nicht festgelegt.

Die FDP scheint ratlos: Wie bringt man den Menschen liberale Politik näher? Eine schlüssige Antwort hat die Partei zur Zeit nicht. (Foto: AFP)

Die FDP ist also gut beraten, die Einigung nicht als Sieg zu verkaufen.

Sollten die Erleichterungen sich nur auf einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag summieren, dann dürfte das für den Einzelnen kaum spürbar sein. Und bis 2013 ist noch genug Zeit für Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Ansprüche der Liberalen herunterzuschrauben.

Außerdem geht der Plan nur auf, wenn die Länder mitspielen. Die aber finden die Idee weniger lustig. Sie haben in Zeiten der Schuldenbremse schon genug Probleme, einen verfassungskonformen Haushalt auf die Beine zu stellen.

Die Frage ist ohnehin, ob Steuersenkungen der FDP überhaupt noch nützen und endlich aus dem Umfragekeller helfen würden. Gäbe es heute eine Volksabstimmung über Steuersenkungen, die FDP würde sie krachend verlieren. Mehr als 80 Prozent der Bundesbürger wünschen nach einer aktuellen Umfrage gar keine Steuersenkungen. Sie wollen lieber, dass die Schulen saniert, die Kinderbetreuung ausgebaut und vor allem Schulden abgebaut werden.

Die Liberalen bekommen langsam Angst, dass die Krise zum Normalzustand wird. Nichts scheint zu helfen, die Menschen von liberaler Politik überzeugen. Nicht mal der Neue an der Parteispitze. Kein Wunder, dass jetzt einige die Nähe zur SPD suchen. Also könnte dort die Rettung liegen. Doch mehr als planloses Umherirren steckt nicht dahinter. Das Grundproblem der Liberalen liegt viel tiefer. Es rüttelt am liberalen Selbstverständnis.

FDP: Auf der Suche nach neuen Inhalten
:Very Libérål

Die FDP bekommt einen neuen Chef, jetzt braucht sie nur noch neue Inhalte. sueddeutsche.de hat sich liberale Parteien in Europa angesehen - und etablierte Namensvetter mit vielfältigen Programmen gefunden: Unter dem Etikett des Liberalismus werden fleißig Steuern erhöht und Migranten beschimpft.

Lena Jakat

Liefern will die FDP, so hat es Neu-Parteichef Philipp Rösler versprochen. Damit sind vor allem die bisher nicht gehaltenen Wahlversprechen gemeint. Ganz oben auf der Liste: die Steuern. Damit verbunden ist ein Begriff, um den sich alles dreht in der FDP: Freiheit. Die, das sagen sie frei nach Marius Müller-Westernhagen, sei das Einzige, was zählt.

Wenn Liberale über Freiheit reden, dann meinen sie eine gefühlte Gängelung durch den Staat. Sie fühlen sich bevormundet von Behörden und Ämtern aller Art. Sie glauben, dass es allen besser gehen würde, wenn sie nur weniger Steuern zahlen müssten.

Das ist natürlich zu wenig, um die Existenzberechtigung einer Partei zu begründen. Darum verweist auch Rösler auf die Freiheits- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR, oder auf den Arabischen Frühling, in dem Tausende junge Menschen für mehr Freiheit auf die Straße gehen. Nur: Die FDP hat es dafür nicht gebraucht.

Rösler hat in seiner Antrittsrede auf dem Rostocker Parteitag ein Zitat von Albert Schweitzer als sein liberales Lebensmotte vorgestellt: "Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheit. Ich lehne ab, mir den eigenen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen. Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt. Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen, dies ist mein Werk." Es ist das Zitat eines Mannes, der zwei Weltkriege er- und die Nazi-Diktatur überlebt hat. Als Lebensmotto taugt es gut für jene, die wie Schweitzer selbst Unfreiheit erlebt haben.

Das ist das Verstörende an den FDP-Liberalen. Die DDR ist seit mehr als 20 Jahren Geschichte. Sie leben alle in Freiheit. Niemand hindert sie, Chancen zu nutzen, selber zu denken und zu handeln. Liberale scheinen ein tiefes Gefühl der Unfreiheit in sich zu tragen. Sie wittern hinter jeder Ecke einen staatlichen Eingriff in ihre persönlichen Freiheitsrechte.

Der Veggiday in Bremen, ein Tag der Vegetarier, wird als Versuch interpretiert, den Menschen ein fleischloses Leben vorzuschreiben. Und wenn sich in Berlin-Kreuzberg die Menschen Sorgen machen, wie die Flut von Touristen ihren Stadtteil verändert, dann schrillen bei den Liberalen alle Alarmglocken, weil da angeblich Touristen ausgeschlossen werden.

Die Freiheit der anderen scheint immer auch die Freiheit der Liberalen in Frage zu stellen. Die Liberalen verkennen, dass ihr Lebensgefühl der Unfreiheit mit der Lebensrealität der meisten Menschen immer weniger zu tun hat. Manche sind mit so viel Freiheit schlicht überfordert. Sie wollen Orientierung und nicht noch mehr Wahlmöglichkeiten.

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Beispiel Gesundheitssystem: Ginge es nach der FDP, würden die privaten Krankenkassen auf Dauer das Gesundheitssystem bestimmen. Das bedeutet: hochkomplexe Versicherungsverträge lesen und verstehen zu müssen, die Arztrechnungen selbst zu bezahlen, das Geld hinterher wieder einzufordern, und sich vor allem entscheiden zu müssen zwischen mehreren Anbietern in der vagen Hoffnung, den richtigen zu finden. Manchen Menschen mag das Spaß machen. Andere empfinden so etwas als Last. Für gesetzlich Versicherte ist das dagegen eine einfache Sache. Es besteht Versicherungspflicht und der Staat sorgt mehr oder weniger gut dafür, dass alle versorgt sind.

Gefährlich wird es, wenn Liberale über den Sozialstaat sprechen und von "mitfühlendem Liberalismus" reden. Bisher gilt: Wer in diesem Land in eine soziale Notlage gerät, hat gegenüber dem Staat einen garantierten Anspruch auf Hilfe, die das Existenzminimum sichert. Die Liberalen stellen das in Frage. Ihnen schwebt ein Sozialstaat nach US-amerikanischem Vorbild vor. Philosophisch untermauert wird dieser Ansatz von Peter Sloterdijk, der den Staat ohnehin für den größten Dieb hält und in diesem Land wieder eine Kultur des Gebens derer, die geben können etablieren möchte.

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Wer dem folgt, der will keinen Sozialstaat, der will eine Charity-Republik. Die Tafel-Bewegung, die inzwischen nahezu flächendeckend die Armenspeisung im Land organisiert, ist dafür ein schönes Beispiel. Hilfsbedürftige werden zu Bittstellern bei den Schönen und Reichen. Bürger ohne Geld werden zu Bürger ohne Geld und ohne Würde.

Es dieser Liberalismus, der offensichtlich keine Chance hat in diesem Land. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen hat die FDP 2,7 Prozent geholt. In Rheinland-Pfalz ist sie aus dem Landtag geflogen genauso wie in Sachsen-Anhalt. Ein Irrglaube zu meinen, nur das nichtgehaltene Steuerversprechen sei Schuld am Niedergang oder nur ein gewisser Guido W.

Vielleicht geht ja einfach nur das Kernthema der FDP an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Freiheit ist das Einzige, was zählt. Schon richtig. Aber in einem Land, in dem die Freiheit beinahe unbegrenzt ist, haben die Menschen einfach andere Probleme. Die zu erkennen, könnte die FDP als Chance nehmen, sich eben doch neu zu erfinden.

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