Deutschlands Stellung in der Welt:Imperium aus Versehen

Die Kanzlerin gilt als mächtigste Frau der Welt und die BRD als stärkster Staat der EU: Nach deutschen Epochen unstillbarer Geltungssucht sind es nun andere, die Führung ausgerechnet aus Berlin erwarten. Doch der Glaube an Deutschlands grenzenlose Macht wird langsam zum Problem.

Daniel Brössler

In der internationalen Presse herrscht seit geraumer Zeit stilles Einvernehmen darüber, dass Angela Merkel nicht nur als CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin fungiert, sondern auch als mächtigste Frau der Welt. Diese Tatsache manifestiert sich regelmäßig in mehr oder weniger schmeichelhaften Titelbildern, die ihre angeblichen Leistungen und Fehlleistungen illustrieren.

Empfang der Preistraegerinnen und Preistraeger des 47. Bundeswettbewerbs 'Jugend forscht'

Angela Merkel: mächtigste Frau der Welt und Bild eines wirtschaftlich starken und einflussreichen Landes - zumindest in Europa.

(Foto: dapd)

So viel sich daraus schließen lässt über die beachtliche Laufbahn der Angela Merkel, so verrät es doch ebenso viel über eine noch erstaunlichere Karriere - die der Bundesrepublik Deutschland.

Wenn Außenminister Guido Westerwelle in der kommenden Woche als turnusmäßiger Vorsitzender im UN-Sicherheitsrat das Hämmerchen schwingt, tut er es namens eines Staates, der als einer der mächtigsten der Welt gesehen wird. Weniger von sich selbst als von anderen. Die britische Zeitung Guardian hat diesem "accidental empire", diesem Imperium aus Versehen, gerade erst eine ganze Serie gewidmet.

So entdeckt sich Deutschland in den Zehnern des 21. Jahrhunderts in einer ausgesprochen ungewohnten Lage. Nach deutschen Epochen unstillbarer Geltungssucht, unfassbarer Verbrechen und schließlich umfänglicher Läuterung sind es nun andere, die Führung ausgerechnet aus Berlin erwarten.

Er habe weniger Angst vor deutscher Macht als vor deutscher Passivität, hat Polens Außenminister Radoslaw Sikorski mal gesagt. Dieser Satz beschreibt die Verantwortung deutscher Politik. Sie ist dank wirtschaftlicher Stärke ausgestattet mit einem beachtlichen Motor. Die Frage ist nun, ob sie den Gebrauch von Gas und Bremse beherrscht - und wohin sie lenkt.

Ein Beispiel: Vor einigen Wochen war Kanzlerin Merkel zu Besuch in China. Sie ist dort gern gesehen. Die Chinesen haben ein beträchtliches wirtschaftliches Eigeninteresse an der Rettung des Euro, andererseits aber größte Schwierigkeiten, sich in den komplizierten Strukturen der EU zurechtzufinden.

Das Bild von der mächtigsten Frau der Welt ist indes eines, mit dem sie etwas anfangen können. Die Chinesen vertrauen auf die Kraft, die Deutschland in der EU entfalten kann. So ist die Kanzlerin zur ersten Ansprechpartnerin geworden. So wurden Regierungskonsultationen geboren, die Pekings Führung so höchstens noch mit den USA unterhält.

Aufgeschreckt durch eine bei der EU-Kommission eingereichte Klage deutscher Solarhersteller gegen chinesische Billigkonkurrenz, wollten die Gastgeber von Merkel nun wissen, ob es wirklich zu einem Anti-Dumping-Verfahren kommen müsse. Die Kanzlerin antwortete salomonisch. Man solle versuchen, das Problem durch Gespräche zu lösen und nicht immer gleich zur Waffe gerichtlicher Auseinandersetzungen greifen.

Von den Chinesen ist das sehr eifrig begrüßt worden. Noch während ihrer Reise wurde Merkel mit Dankesworten überschüttet. Als wenige Tage später die EU-Kommission das Anti-Dumping-Verfahren einleitete, konnten es die Chinesen nicht fassen. Der weltweite Irrglaube an Deutschlands grenzenlose Macht in der EU wird, wie sich da zeigt, langsam zum Problem.

Zu klein für die Welt, zu groß für Europa

Das Missverständnis freilich liegt im System. Wenn die großen Mächte der Welt Sonderbeziehungen nach Berlin unterhalten, so tun sie es, weil die tatsächliche oder vermeintliche Stärke Deutschlands für sie eine greifbare Größe ist. Sie wenden sich an Deutschland, weil die Europäische Union zu einer wirtschaftlichen Tatsache geworden ist, die sie politisch nicht zu fassen bekommen.

Das wäre auch schwer angesichts der zwergenhaften außenpolitischen Gestalt der EU. Diese aufpäppeln zu wollen, hat der deutsche Außenminister zusammen mit Kollegen eben zwar erst wieder proklamiert. Im wirklichen Leben aber sieht das ein bisschen anders aus. Diplomatisch entwickelt Deutschland zumindest quantitativ den Eifer einer Großmacht. Viel Papier ist zuletzt bedruckt worden mit "Leitlinien" und "Strategien" über Deutschlands Rolle in Lateinamerika oder Afrika, überall dort also, wo es längst Zeit wäre, europäisch aufzutreten.

Im Ungewissen bleibt derweil, worin spezifisch deutsche Aufgaben in der Weltpolitik liegen könnten. Die Bundesrepublik ist zu einer Art Auch-dabei-Macht geworden, etwa im Atomkonflikt mit Iran, wo sie sich im Format "Fünf plus eins" zu den Vetomächten gesellt. Die Teilhabe versteht sich gewissermaßen von selbst. Das ist auch im Falle Syrien so, wo aus der Ohnmacht der Welt jene Deutschlands durchaus noch besonders heraussticht.

In der diplomatischen Arbeitsteilung war es den Deutschen zugefallen, auf die Moskauer Schutzherren des Baschar al-Assad einzureden, sind sie doch in russischen Augen unschuldig in Sachen Libyen. Mit Russland überdies angeblich strategisch verbrüdert, haben die Deutschen eine Chance gesucht, die es in Wahrheit nicht gab. Präsident Wladimir Putin hat Merkel auf seinem postsowjetischen Retrokurs nichts entgegengebracht außer Spott.

Das Lied der militärischen Zurückhaltung

Ungerecht wäre es allerdings, der Berliner Außenpolitik einen eigenen Sound abzusprechen. Er klingt an, wann immer Westerwelle das Lied von der Kultur der militärischen Zurückhaltung singt. Was unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer in den Neunzigerjahren mit Einsätzen im früheren Jugoslawien begonnen hatte und nach dem 11. September 2001 in Afghanistan fortgeführt wurde, gilt unter Merkel und Westerwelle nicht länger als Schritt zur Normalität, sondern als Irrweg.

Dass Sicherheit notfalls auch künftig von außen militärisch erzwungen werden muss, stellt die Bundesregierung gar nicht in Abrede. Sie will nur deutsche Soldaten möglichst heraushalten. Merkel bezweifelt, dass sie die Bundesbürger im Ernstfall würde überzeugen können - und liegt damit vermutlich nicht falsch.

Ironie der Geschichte: Just in jenem Moment, in dem das vereinigte Deutschland sich abwendet von jener hard power, die immer noch zum Instrumentenkasten jeder großen Macht gehört, scheint es als Akteur global gefragter zu sein denn je. Das ist gut fürs Selbstbewusstsein, kann aber schlecht sein fürs Urteilsvermögen.

Deutschland wird respektiert und hofiert wegen seiner wirtschaftlichen Stärke, vielleicht auch bewundert wegen geglückter Reformen. Von Deutschland wird erwartet, der Europäischen Union jenen Schub zu geben, der sie rettet. Für sich allein aber hat es im Kreis zukünftiger Mächte keinen Platz. Schon heute wirkt es leicht lächerlich, wenn es sich neben Indien, der Milliarden-Nation, um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bemüht. Deutschland sei zu klein für die Welt und zu groß für Europa, hat Henry Kissinger gesagt. Deutschland muss sein richtiges Maß finden. Es wäre ein Beweis echter Stärke.

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