Deutschland:Heimat ist der Debattenbegriff der Zeit

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Das Gipfelkreuz auf dem Hohen Fricken, im Hintergrund die Zugspitze, Deutschlands höchster Berg. (Foto: Isabel Bernstein)

Doch jeder Versuch, dieses schöne, verklärte und oft missbrauchte Wort für andere zu deuten, spaltet die Gesellschaft.

Kommentar von Jan Heidtmann

Geraume Zeit war die Heimat ziemlich verwaist; so wie eine dieser Regionen in Ostdeutschland, aus der die Menschen weggezogen sind. Für Konservative erschöpfte sich das Gedenken an die Heimat weitgehend in schöner Selbstvergewisserung: Maibaum aufstellen, Tracht tragen, für die Ernte danken. Für die Linke hingegen war Heimat stets kontaminiert, eine Gegend wie das japanische Fukushima kurz nach dem Reaktorunglück.

Das ist jetzt anders. Seitdem viele Menschen, die ihre Heimat verloren gegeben haben, nach Deutschland gekommen sind, wird um den Begriff gerungen, vehement wie selten zuvor. Die Deutschen erhalten gerade eine Unterrichtung in Heimatkunde für Fortgeschrittene. Der Bundespräsident hat sie zum Thema gemacht und es gibt inzwischen sogar einen Bundesminister dafür. Heimat ist der Debattenbegriff der Zeit. Doch je mehr um die Deutungshoheit gerungen wird, desto mehr spaltet dies die Gesellschaft.

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Folgt man dem Diskurs der vergangenen Wochen, kann man nur staunen, was Heimat plötzlich alles sein soll. Ein Ort zum "Verstehen und Verstandenwerden", wie Frank-Walter Steinmeier sagt, ein Ort der "kulturellen Sicherheit", wie Jens Spahn meint, oder einfach "unser Zusammenleben", wie es Robert Habeck formuliert. Seine Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt ging da etwas weiter. Während der Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition wollte sie nahezu alle Inhalte unter das Rubrum "Heimat" stellen: die fehlenden Meter Glasfaserkabel genauso wie die zu schützenden Bienen oder den Christopher Street Day. Die ganz Rechten wiederum wissen vor allem, was nicht zur Heimat gehört: all das, was nicht schon immer dazugehörte. Ausländer zum Beispiel. Doch so unterschiedlich die Konzepte - dass sie ihre Heimat rückhaltlos lieben, da sind sich inzwischen alle schrecklich einig.

Nur, was ist denn nun Heimat? Das Gefühl des einzelnen Wanderers, der über die Berggipfel blickt vielleicht, wie bei Caspar David Friedrich? Die Aussicht des Mönchs auf das dunkle Meer? Heimat ist ein sehr deutsches Konzept. Kaum eine andere Sprache in Europa kennt einen vergleichbar aufgeladenen Begriff. Die Romantiker waren die Ersten, die in großem Stil versuchten, die Heimat zu fassen. In vielen Gemälden von Friedrich steckt etwas Melancholisches, ein bisschen Düsteres, das dennoch Geborgenheit stiftet. Andere, fröhlichere Deutungen lassen sich später bei Emil Nolde finden, versöhnlich auch die Definition des Schriftstellers Martin Walser: "Heimat, das ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit."

Nicht ein einziges Marterl am Wegesrand ist bedroht. Trotzdem schürt Markus Söder mit der Attitüde moderner Kreuzritterei die Angst um die Heimat

Heimaten gibt es so viele, wie es Menschen gibt. Die Erfahrung von Heimat - Gerüche, Geräusche, Stimmen, Farben - macht jeder allein. Heimat ist meist Zufall, und aus diesem Zufall wird im besten Fall der Platz, der einen Menschen bestimmt: eine Gemeinschaft, die er kennen lernt, größer als die Familie und kleiner als das viel beschworene Vaterland. Heimat heißt, tiefe Wurzeln zu schlagen. Sie ist dann ein Ort der Selbstvergewisserung: Hier komme ich her, und so bin ich. Heimat ist so individuell wie der Fingerabdruck, sie gehört zur Intimsphäre eines jeden. Noch immer ist sie oft der Platz, an dem man seine Eltern zu Grabe trägt. Auch deshalb ist es vermessen, denjenigen, die nach Deutschland geflohen sind, eine Heimat zu versprechen. Man kann ihnen ein neues Zuhause geben, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie sich ein gutes Leben aufbauen können. Vielleicht wird dann auch einmal eine Heimat daraus. Aber das braucht Zeit, manchmal generationenlang.

Wann immer die Heimat jedoch in die Mühlen der Politik gerät, tut es ihr nicht gut. Heimat ist ein verwundbares, ein anfälliges Konstrukt, ein "Schlachtfeld der Gefühle", wie der Filmemacher Edgar Reitz sagt. Denn die Sehnsucht nach ihr geht meist mit der Befürchtung einher, sie zu verlieren. Das war während der Industrialisierung so, als Arbeitsplatz und Herkunftsort erstmals für viele Menschen auseinandergerissen wurden, oder es geschah durch Kriege. Es ist auch zurzeit so, da einige Menschen in Deutschland das Gefühl haben, ihre Heimat nicht mehr wiederzuerkennen. Heimat kommt auch mit der Angst um sie. Konservative, besonders aber die extreme Rechte, waren stets gut darin, dies für ihre Zwecke auszubeuten.

Auch Grüne und Linke wollen die Hoheit über die eigene Heimat behalten

So ist der Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl auch mit dem Appell an die Heimatliebe zu erklären. "Hol dir dein Land zurück" oder "Unser Land, unsere Heimat" waren die Slogans, die den Rechtspopulisten fast 13 Prozent brachten. Doch was geschehen kann, wenn die Politik diesen Kampf aufnimmt, demonstriert gerade die CSU. Erst postuliert Heimatminister Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, dann verordnet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder das Kreuz für alle Behörden des Bundeslandes. Mit der Attitüde moderner Kreuzritterei wird so die Angst um die Heimat geschürt - obwohl nicht ein einziges Marterl am Wegesrand bedroht ist. Heimat wird so zum gefährlichen Hirngespinst.

Deshalb ist die plötzlich entdeckte Heimatliebe von Linken und Grünen eine Gratwanderung. Natürlich soll sich jeder dagegen wehren können, wenn andere die eigene Heimat umdeuten. Cem Özdemir hat das, an die AfD gewandt, in seiner viel zitierten Rede vor dem Bundestag getan, als er sagte: "Meine schwäbische Heimat lasse ich mir von Ihnen nicht kaputt machen." Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken will nicht mehr, als die Hoheit über die eigene Heimat zu behalten.

Aber es hilft nichts, den Begriff weiter auf die Dorfplätze zu zerren, die eigene Liebe dazu auf großer Bühne zu zelebrieren. Jeder Versuch, dieses schöne, verklärte und oft missbrauchte Wort für andere zu deuten, ist immer auch eine Kampfansage. Doch Heimat sollte nicht spalten, sondern Gemeinsamkeiten schaffen.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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