Der Sieg von En Marche:Revolution auf schmaler Basis

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Paris erlebt einen Austausch der Polit-Elite. Das Bündnis von Emmanuel Macron liegt weit vorne. Doch der Rückhalt bei den Wählern ist nicht so stark, wie er erscheint.

Von Christian Wernicke

Emmanuel Macron kann aller Voraussicht nach mit einer bequemen Mehrheit regieren. (Foto: Charles Platiau/AP)

Der Präsident, so tuscheln am Tag danach einige Vertraute, soll seinen Triumph "überaus gelassen" und "recht nüchtern" zur Kenntnis genommen haben. Kein lauter Jubel, keine Freudensprünge, ja nicht einmal Champagner habe es gegeben bei der kleinen Wahlparty, zu der Emmanuel Macron am Sonntagabend achtzig Freunde unter vergoldetem Stuck in den Festsaal des Élyséepalastes geladen hatte. Der Präsident hat viel gelächelt, er hat hier und da einen Weggefährten umarmt - und dann gemahnt, dass "noch nichts gewonnen" sei. Was wohl heißt: Gefeiert wird dann nächsten Sonntag. Mit Schampus.

Denn eigentlich ist die Sache klar. Frankreichs junger Präsident wird in den kommenden fünf Jahren im Parlament über eine Mehrheit verfügen, von der etliche seiner Vorgänger nicht mal träumen durften. 415, vielleicht sogar 455 Mandate dürften seine junge Partei "La République en Marche" und die verbündete Zentrumspartei "MoDem" beim zweiten Wahlgang am 18. Juni ergattern. 455 Sitze, das bedeutet: Gut drei von vier Abgeordneten (79 Prozent) der künftigen Nationalversammlung würden Frankreichs neuer Einheitspartei angehören. Paris erlebt einen Elitenaustausch. Mehr als zweihundert Parlamentarier, die aus den Reihen der Marschierer demnächst in die Hauptstadt strömen, werden politische Anfänger sein. Neulinge, die versprechen, "alles neu" zu machen.

Marine Le Pens FN schnitt viel schlechter ab als bei der Wahl im April. (Foto: Philippe Huguen/AFP)

Und doch blieben die Sieger vom Sonntag merkwürdig bescheiden. Nur sehr kurz jubelten die meist jungen Aktivisten von En Marche, als gegen 20 Uhr die ersten Hochrechnungen über die TV-Bildschirme flimmerten. Wenige Minuten später dämpfte Catherine Barbaroux, die Interims-Chefin der Marschierer, bereits die Stimmung: "So schön das Ergebnis auch ist, es mahnt uns zu Demut und Verantwortung." Jeder im Saal wusste, worauf Barbaroux anspielte, auf die mehr als 24,4 Millionen Franzosen, die sich der Abstimmung verweigert hatten. Nicht einmal jeder zweite Landsmann (48,7 Prozent) mochte sich an diesem Frühsommertag zur Stimmabgabe aufraffen - ein Negativrekord in der Geschichte der V. Republik.

Mit viel Glück können die Sozialisten vielleicht ein Zehntel ihrer Sitze verteidigen

Diese demokratische Unlust, diese Gleichgültigkeit der Citoyens, rückt Macrons Sieg in ein anderes, fades Licht. Auf den ersten Blick mögen 32,3 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang wie ein Kantersieg aussehen, zumal für eine Partei, die vor 16 Monate nicht einmal existierte. 32,3 Prozent, damit lagen die Aspiranten von En Marche in 449 der landesweit 577 Wahlkreise auf dem ersten Platz. Hinzu kommen mehr als 50 Wahlkreise, in denen entweder der rechtsextreme Front National oder die linksradikalen "Unbeugsamen" die erste Runde gewannen - und wo republikanische oder sozialistische Wähler En Marche im zweiten Wahlgang zum Sieg verhelfen dürften. Nur, 32,3 Prozent bei 51,3 Prozent Wahlverweigerung, das bedeutet auch: Nicht einmal jeder sechste wahlberechtigte Franzose hat Macrons Marschierern sein Vertrauen geschenkt. Es bleibt ein Triumph ohne Enthusiasmus, eine Revolution ohne breite Basis.

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SZ-Grafik; Quelle: Französisches Innenministerium, IPSOS

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Die Summe der prognostizierten Sitze weicht von der Gesamtzahl der Sitze im Parlament ab. SZ-Grafik; Quelle: Französisches Innenministerium, IPSOS

Macrons eigentliche Stärke an diesem Wahltag war die Schwäche seiner Gegner. Frankreichs Sozialisten sind politisch ruiniert, von 297 Sitzen bei der Wahl 2012 bleibt ihnen mit viel Glück vielleicht ein Zehntel. Nach fünf Jahren sozialdemokratischer Reförmchen-Politik unter François Hollande ist Jean-Luc Mélenchon, der radikale Unbeugsame (La France Insoumise), der Herold der Linken. Mélenchon hat gute Chancen, am kommenden Sonntag seinen Wahlkreis in Marseille zu gewinnen. Er wäre dann der wichtigste und allemal lauteste Wortführer der französischen Linken.

Sogar Macrons Skandal-Minister Richard Ferrand kann sich der Wiederwahl sicher sein

Frankreichs Bürgerlichen geht es nur wenig besser. Die Republikaner, mit 21,6 Prozent am Sonntag Zweitplatzierte, taumeln ihrer Krise samt drohendem Zerfall entgegen. Frankreichs Konservative finden keine Antwort auf Macron. Während gemäßigte Geister, allen voran Macrons Premierminister Édouard Philippe und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, die Marschierer umarmen, sucht der rechte Flügel Distanz. Allen voran Laurent Wauquiez, der so populäre wie populistische Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes, driftet so weit nach rechts, dass Strategen des Front National zu grübeln beginnen, ob sich da nicht Chancen bieten für eine neue antieuropäische, stramm nationalistische Allianz. Im zweiten Wahlgang dürfen die Republikaner auf 70 bis maximal 110 Sitze hoffen. Ob diese Abgeordneten dann eher mit ihrem Noch-Parteifreund und Premier Philippe kooperieren oder zusammen mit Marine Le Pen, die wahrscheinlich Abgeordnete wird ( siehe "Populisten ohne Wahlvolk"), heftig opponieren - das wissen diese Überlebenden von Macrons Revolution heute selbst noch nicht.

Andere wurden schon am Sonntag zu Macrons Opfern. Sein Siegeszug vertreibt viele altbekannte Gesichter aus der Nationalversammlung. Élisabeth Guigou, mehrfache Ministerin, verlor ihren Sitz im Palais Bourbon ebenso kläglich wie Jean-Christophe Cambadélis, der Parteichef und Totengräber der Sozialsten. Benoît Hamon, der PS-Präsidentschaftskandidat, ist ebenso politisch erledigt wie Hollandes Justizminister Jean-Jacques Urvoas. Das parlamentarische Elefantensterben wird am nächsten Wochenende weitergehen: Éric Woerth, mehrfacher Minister und enger Vertrauter von Nicolas Sarkozy, dürfte bei der Stichwahl sein Mandat ebenso an einen En-Marche-Kandidaten verlieren wie die linke Najat Vallaud-Belkacem, die noch vor zwei Jahren als künftiger Star am sozialistischen Himmel gesehen wurde.

Macron und seine Marschierer sind stärker denn je. Sogar Skandal-Minister Richard Ferrand, der mit einer Immobilienaffäre eine erste Kabinettskrise provoziert hatte, darf sich seiner Wiederwahl sicher sein. Unbill droht ihm nur, falls der Staatsanwalt ein formales Ermittlungsverfahren gegen ihn einleitet. Dann müsste er abtreten. "Im Parlament", so sagt es am Montag ein Macron-Vertrauter, "haben wir künftig freie Fahrt für unsere Reformen." Widerstand droht allenfalls auf der Straße, bei Demonstrationen etwa gegen die geplante Lockerung des Arbeitsrechts. Dann könnten sich auch viele Franzosen zurückmelden, die am Sonntag keine Lust mehr auf Wahlen hatten.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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