Der Dalai-Lama in Deutschland:Die Sache Tibets

Lesezeit: 3 min

Die Tibetbewegung fordert "Freiheit für Tibet", aber ohne zu sagen, was sie unter Freiheit, geschweige denn Tibet versteht. Auch die Exilbewegung und der Dalai Lama bleiben vage. Das reicht nicht mehr aus - besonders jetzt, da China sich öffnet und wahrer politischer Fortschritt möglich ist.

Stefan Kornelius

Wenn der Dalai Lama nach Deutschland reist, wird das Land neuerdings von einem kollektiven Fieber gepackt. Nach der Bundeskanzlerin entdeckt die Republik das Schicksal der Tibeter und liefert sich einen Wettlauf um die gute Sache.

Free Tibet! Aber wofür steht Freiheit - und wofür steht Tibet? (Foto: Foto: AFP)

Nur wer das geistliche Oberhaupt der Tibeter zu treffen wünscht, wird in dieser politischen Auseinandersetzung ernst genommen. Das persönliche Gespräch scheint wie ein Nachweis der edlen Absichten.

Währenddessen tritt der Dalai Lama vor Tausenden Anhängern für gutes Geld in immer ausverkauften Hallen auf, predigt seine Botschaft von Friedfertigkeit und Verständigung und vermittelt einen Hauch von Seelenfrieden, wie ihn nicht wenige im Land ersehnen.

Die Unterstützungsbewegung hat derartige Ausmaße angenommen, dass sie sich kritische Fragen gefallen lassen muss. Es reicht nicht mehr aus, dass man für die Freiheit von Tibet einzutreten vorgibt. Die Sache geht tiefer, viel tiefer, und sie handelt von einem komplexen politischen Problem - vielleicht dem schwierigsten, dessen sich dieses Land in erstaunlich kollektiver Form annimmt.

Gewaltige Widersprüche

Diese Komplexität steht im krassen Gegensatz zu der schablonenhaften Meinung, die immer wieder "Freiheit für Tibet" fordert, ohne zu sagen, was sie unter Freiheit, geschweige denn Tibet versteht - und die Kritiker der Bewegung als chinesische Hilfs-Sheriffs abstraft. Die ideologische Überhitzung des Problems ist auf tibetischer wie auf chinesischer Seite enorm, und sie verbrennt jeden, der sich zwischen den Lagern bewegt.

Diese Polarisierung macht sich inzwischen auch die deutsche Innenpolitik zunutze, denn Tibet taugt zu mehr als einer Fachdebatte über Autonomie in einer chinesischen Provinz.

Tibet wurde zur Chiffre für eine mit humanitären Motiven betriebene Außenpolitik - und Tibet ist für die Union die ideale Waffe geworden, um der Sozialdemokratie und ihrem zuständigen Minister die moralische Lufthoheit in der Außenpolitik zu nehmen. Ob es am Ende den Tibetern nutzt, ist Nebensache.

Dabei ist es schwierig bis unmöglich, von den Tibetern und ihren Interessen zu sprechen. Der Dalai Lama mag das geistliche Oberhaupt sein, eine Kristallisationsfigur für Sehnsüchte und politische Motive, aber mehr denn je stellt sich die Frage, ob er die Gruppe der Exiltibeter und die wabernde, unüberschaubare Gemeinde der Unterstützer tatsächlich repräsentieren kann.

Wer die Auseinandersetzung mit China auf ihren politischen Kern reduziert - so wie er hoffentlich in den ersten Gesprächen zwischen beiden Seiten vor einer Woche erörtert wurde -, der stößt schnell auf gewaltige Widersprüche. Freiheit, das kann Autonomie oder Eigenstaatlichkeit bedeuten, also das Recht zur Ausübung der Religion, der Kultur, der Sprache - oder eben das Recht auf einen eigenen Staat.

Jahresrückblick 2008: Olympia
:Lauf mit vielen Stolpersteinen

London, Paris, San Francisco und Buenos Aires: Der olympische Fackellauf wird im Jahr 2008 zu einer Demonstration für ein freies Tibet - und gegen China. In Bildern

In der Tibeter-Bewegung gibt es beide Vorstellungen; die radikalere gewinnt immer mehr an Boden. Vom Dalai Lama und von der Regierung der Exiltibeter gibt es bis heute keinen eindeutigen Forderungskatalog, der die Autonomie-Vorstellungen beschreibt. Selbst die Unterbegriffe Kultur und Religion lassen sich weit definieren - gerade bei einem Volk, dessen religiöser Führer Gesetzeskraft entwickelt, wenn er nur einen Lehrsatz formuliert.

Gar nicht hilfreich

Zweitens bleibt die Frage, welches Tibet eigentlich gemeint ist in der Forderung nach Autonomie. Ist es die chinesische Autonome Provinz Tibet, die in allen Karten gezeigt wird? Oder ist es das tibetische Siedlungsgebiet mit den historischen Provinzen Amdo und Kham, die nicht deckungsgleich sind mit den modernen chinesischen Nachbarprovinzen, insgesamt aber ein Viertel bis ein Drittel des gesamten chinesischen Territoriums ausmachen? Die Nervosität der Führung in Peking ist nicht ganz unverständlich, wenn man bedenkt, dass sie über die Abspaltung dieser gewaltigen Fläche nachdenken soll.

Die tibetische Exilbewegung und auch der Dalai Lama tun sich keinen Gefallen, wenn sie den Kern des politischen Problems bewusst im Ungefähren lassen. Das macht ihre Forderungen undurchsichtig, genauso wie sich die Bewegung insgesamt eher durch Intransparenz und einen Mangel an demokratischen Strukturen auszeichnet.

Gar nicht hilfreich ist es schließlich, dass sie sich finanzieren lässt von allen möglichen demokratiefördernden Instituten in den USA und Europa, darunter auch die deutsche Böll- und Naumann-Stiftung. Vielen der amerikanischen Geldgeber zumindest geht es nicht nur um Demokratie, sondern auch ein Stück weit um die Destabilisierung des globalen Rivalen China.

All das kann und soll nicht das Unrecht relativieren, das dem tibetischen Volk in China widerfährt. Die kulturelle Entrechtung hat die endgültige Unterwerfung in einer jahrtausendealten Rivalität zum Ziel.

Nun, da China sich öffnet und die Olympischen Spiele zusätzlichen Druck entfalten, besteht die Möglichkeit zu wahrem politischem Fortschritt. Die deutsche Politik kann ihren Beitrag dazu leisten - wenn sie die tibetische Exilregierung und den Dalai Lama zu mehr inhaltlicher Klarheit zwingt, wenn sie gleichzeitig von China Konzessionen einklagt, und wenn sie die Schaukämpfe beendet, die jeden Besuch des Dalai Lama begleiten.

© SZ vom 15.05.2008/woja/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: