Demoskopie:Wahlumfragen sind ein Problem für die Demokratie

Wahlplakate - Bundestagswahl 2017 - CDU - AfD

Wahlplakate der CDU und der AfD.

(Foto: dpa)

Durch Dauerumfragen wird der Unterschied zwischen Umfrage und Wahl verwischt. Das ist eine Entwertung der Wahl.

Kommentar von Heribert Prantl

In der Welt des Weins gibt es den US-Amerikaner Robert Parker; der ist ein gelernter Rechtsanwalt, Inhaber einer guten Nase und der berühmteste und einflussreichste Weinkritiker der Welt. Er verteilt Punkte für die Weine, publiziert seine Bewertungen in allen Medien und hat damit erheblichen Einfluss auf Weinabsatz, Trinkgewohnheiten und Weinwirtschaft.

In der Welt der Politik gibt es das auch. Da geht es zwar nicht um Weine, sondern um Parteien; und die werden nicht von Herrn Parker, sondern von Meinungsforschungsinstituten berochen, bemessen und bewertet: von der Forschungsgruppe Wahlen, von Infratest Dimap, Forsa, Allensbach und Emnid. Aus den von diesen ermittelten Umfragewerten wird dann ein unglaubliches Bohei gemacht, das sich, je näher die Wahl rückt, zum Crescendo, ja zur Hysterie steigert. Jede Umfrage wird zu einer Art Vor-Wahltag hochstilisiert. Es wird so lange "Was wäre, wenn am Sonntag Wahl wäre" gefragt, bis aus dem Konjunktiv dann am Wahltag ein Indikativ wird.

Man fühlt sich bei den Bewertungen der Wahlumfragen an Weinverkostungen erinnert, bei denen Experten die Augen verdrehen, bevor sie dann Bedeutsames sagen wie: "Der braucht noch Luft", "der ist schokoladig", "schmeckt nach nasser Erde" oder "ist bitter im Abgang". Es ist bezeichnend, dass einem zu solch aufgeblasenen Zuschreibungen sogleich Politiker und Parteien einfallen. Das klingt lustiger, als es ist. Die Umfragen in der Zahl, Dichte und Wucht, mit der sie publiziert werden, sind ein Problem für die Demokratie.

Keine Umfragen am Wahltag! Und was ist an den Briefwahltagen?

Man muss sich fragen, ob diese Umfragen Trends wirklich nur abbilden; der Verdacht liegt nahe, dass sie die Trends gestalten. Vordergründig tun Umfrager und Umfragen so, als gäben sie - auf Basis einer bescheidenen Zahl von Befragten - dem Willen des Wahlvolkes eine Stimme. In Wahrheit fördert diese Demoskopie die Entpolitisierung, nämlich eine Politik, die statt nach Inhalten nach Zahlen gemacht wird. Durch Dauerumfragen wird der Unterschied zwischen Umfrage und Wahl verwischt; das ist eine Entwertung der Wahl. Mittlerweile kann man vermuten, dass viele Befragte von der Rückwirkung der Umfrage auf die Meinungsbildung wissen und ihre Antworten bei Umfragen taktisch ausrichten. Kurz: Wahlumfragen beeinflussen die Wahl. Weil das Spektakel rund um Wahlumfragen immer größer wird, wird auch ihr Einfluss immer größer. Dabei dürfte der Mitläufereffekt, wonach die Wähler der lautesten Musik nachlaufen, einige Bedeutung haben.

In anderen Ländern gibt es für Umfragen Sperrfristen von einer Woche bis hin zu einem Monat vor der Wahl. In Deutschland gibt es nichts dergleichen. Geschützt sind hier nur die Stunden zwischen Öffnung und Schließung der Wahllokale. In dieser Zeit dürfen keine Umfrageergebnisse veröffentlicht werden. Angesichts der Ausweitung der Briefwahl sind Wahlumfragen noch problematischer als bisher. Müsste die Veröffentlichung von Umfragen nicht eigentlich ab dem Zeitpunkt verboten sein, ab dem die Briefwahl beginnt?

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