CSU-Abgeordneter Silberhorn zum Rettungsschirm:"Hilfe darf nicht grenzenlos gewährt werden"

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Kanzlerin Merkel hat intensiv für die Zustimmung zum erweiterten Rettungsschirm geworben. Den Bamberger CSU-Abgeordneten Thomas Silberhorn konnte sie nicht überzeugen. Hier erläutert er, warum er die Ansicht der Regierungskoalition nicht teilt.

Der Bamberger CSU-Abgeordnete Thomas Silberhorn wird der Erweiterung des Euro-Rettungsschirms am Donnerstag im Bundestag nicht zustimmen. Seine Haltung begründet er im folgenden Dokument, das sueddeutsche.de im Wortlaut wiedergibt.

Der Euro ist unsere gemeinsame Währung. Seine Stabilität zu sichern, liegt im deutschen und europäischen Interesse. Gerade unser Land als Exportnation profitiert von einem stabilen Euro. Die Europäische Union gewinnt durch die Gemeinschaftswährung an internationalem Gewicht. Die gegenwärtige Schuldenkrise einzelner Euro-Staaten muss daher so bekämpft werden, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Ganzes gestärkt daraus hervorgehen kann.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht gegen die europäische Integration gerichtet, wenn ich der Aufstockung und Erweiterung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität nicht zustimmen kann. Im Gegenteil: Eine Gefährdung des Integrationsprojekts ist dann zu befürchten, wenn die Bemühungen zur Stabilisierung des Euro nicht den erhofften Erfolg zeitigen, weil dadurch das Vertrauen in die Staaten der Eurozone geschwächt würde. Schon heute ist absehbar, dass die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität auch nach der Änderung des Rahmenvertrags nicht ausreichend wirksam sein kann, um die Eurozone zu stabilisieren. Es muss daher alles daran gesetzt werden, dauerhaft tragfähige Lösungen für die europäische Staatsschuldenkrise zu entwickeln.

Mit der Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion wurden die Grundlagen für die Geldwertstabilität des Euro gelegt: der Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und das Verbot der Schuldenübernahme. Doch wie vielfache, stets sanktionslose Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt zeigen, haben die Euro-Staaten die vorhandenen Instrumente zur Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik - unter deutscher Mitwirkung - ausgehöhlt. Im Zuge der Schuldenkrise hat die Europäische Zentralbank durch den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt ihre geldpolitischen Kompetenzen weit überdehnt und den Weg zur Vergemeinschaftung nationaler Schulden beschritten. Mit der Übernahme von Gewährleistungen für verschuldete Staaten haben die Euro-Mitglieder die Sozialisierung privater Verluste in Kauf genommen und das Verbot der Schuldenübernahme de facto ausgehebelt.

Dennoch wende ich mich nicht generell gegen Finanzhilfen. Dem ersten Hilfsprogramm für Griechenland habe ich ebenso zugestimmt wie der Errichtung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität als befristetem Rettungsschirm. In Notfällen können Finanzhilfen durchaus dazu beitragen, die Stabilität der Eurozone als Ganzes zu wahren, sofern sie als letztes Mittel (ultima ratio) unter strikten Auflagen und zeitlich befristet gewährt werden. Der dadurch erkaufte Zeitgewinn muss jedoch genutzt werden (können), um die Ursachen der Schuldenkrise zu beheben, also um die Staatsverschuldung abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wiederherzustellen.

Die Solidarität mit unseren europäischen Partnern stelle ich daher nicht in Frage. Doch Hilfe darf nicht grenzenlos gewährt werden. Sie muss zum Ziel haben, dass ein verschuldeter Mitgliedstaat der Eurozone zu einer eigenverantwortlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik zurückfindet. Handeln und Haften müssen wieder zusammengeführt werden. Werden Finanzhilfen unter Konditionen vergeben, dann darf es nicht folgenlos bleiben, wenn vereinbarte Sanierungsziele nicht erreicht werden. Hier darf die Grenze von temporären Liquiditätshilfen zu dauerhaften Transferleistungen nicht überschritten werden. Andernfalls würde ein europäischer Finanzausgleich geschaffen, der keinerlei Anreiz zur Lösung der Staatsschuldenkrise böte. Stattdessen würde die Verschuldung noch vergrößert und auf andere Euro-Staaten sowie nachfolgende Generationen abgewälzt.

Der Konstruktionsfehler der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität liegt darin, dass dieser Rettungsschirm einseitig auf die Gewährung von Finanzhilfen ausgerichtet ist. Solange aber die politische Zielsetzung aufrecht erhalten bleibt, den Zahlungsausfall eines Euro-Mitglieds unter allen Umständen zu vermeiden, wird Investoren die Möglichkeit eröffnet, weiter gegen einzelne Staaten der Eurozone zu wetten, weil das Risiko solcher Wetten die Steuerzahler tragen. Der Rettungsschirm setzt damit eine Ursache für spekulative Attacken gegen Euro-Staaten.

Das Kalkül solcher Investoren muss gezielt durchkreuzt werden, damit die Staaten nicht zum Spielball der Finanzmärkte werden. Andernfalls droht der Dominoeffekt, dass immer mehr Mitglieder der Eurozone unter den Rettungsschirm flüchten müssen - und wegen der niedrigeren Kreditzinsen auch flüchten wollen. Im Gegenzug setzen die Geberländer - und in letzter Konsequenz die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität selbst - ihre eigene Bonität aufs Spiel. Der politische Preis dieses "Euro-Rettungswesens" wird sehr hoch sein: Die Empfängerländer werden auf Jahre hinaus ihre politische Handlungsfreiheit weitgehend verlieren. Den Geberländern droht die finanzielle Überforderung (1).

Die Staaten der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion müssen ihre Gestaltungshoheit wahrnehmen und ihre Handlungsfähigkeit wiedergewinnen. Das erfordert zum Einen eine Regulierung der Finanzmärkte, die deren dienende Funktion für die volkswirtschaftliche Wertschöpfung zum Tragen bringt. Zum Anderen müssen Leistungsbilanzdefizite innerhalb der Eurozone reduziert werden, indem die nationalen Haushalte entschuldet und wettbewerbsfähige Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen geschaffen werden.

Ziel muss es sein, unter den Euro-Staaten eine gemeinsame Stabilitätskultur zu entwickeln, die im Vertrag von Maastricht angelegt ist, zu der bislang aber der politische Wille gefehlt hat. Dazu gehört die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts mit früheren und schärferen Sanktionen bei Regelverstößen, deren Ahndung allerdings politischem Ermessen entzogen werden muss. Desweiteren ist die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wiederherzustellen, indem der Ankauf von Staatsanleihen beendet wird. Schließlich ist das Verbot der Schuldenübernahme aufrechtzuerhalten, indem eine Restrukturierung überschuldeter Staaten ermöglicht wird.

Ein Sanierungsverfahren für überschuldete Staaten ist unverzichtbar (2), um die Gewährung von Finanzhilfen zu begrenzen und eine Überforderung der Geberländer zu vermeiden. Gerade wer vor den Ansteckungsgefahren eines unkontrollierten Zahlungsausfalls (3) warnt, muss ein Verfahren kontrollierter Sanierung schaffen, das rechtzeitig vor einem Zahlungsausfall eingeleitet werden kann (4). Ein solches Sanierungsverfahren muss einen Schuldenschnitt (5) einschließlich der zwingenden Haftung aller Gläubiger für die von ihnen bewusst eingegangenen Risiken, die Rekapitalisierung von Banken und ein Programm für den Wiederaufbau beinhalten. Die Feststellung mangelnder Schuldentragfähigkeit ist ohne politisches Ermessen ausschließlich anhand objektiv nachprüfbarer Kriterien zu treffen. Schließlich muss im Rahmen dieses Sanierungsverfahrens - gewissermaßen als letzter denkbarer Schritt zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit - die Mitgliedschaft des überschuldeten Staates in der Eurozone zeitweise ausgesetzt werden können, um diesem eine Abwertung zu ermöglichen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass eine solche Vorgehensweise nicht nur die sofortige Realisierung von Verlusten mit sich bringt, sondern zusätzlich den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel erfordert. Doch nachdem es eine "günstige" Lösung ohnehin nicht gibt, ist die schiere Größe der Garantiesumme und des Ausleihvolumens des Rettungsschirms sowie des deutschen Haftungsanteils zwar von hoher Bedeutung, aber nicht entscheidend. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Bemühungen zur Stabilisierung des Euro - wenn sie denn schon enorme Anstrengungen erfordern - tatsächlich greifen und nicht erneut von der Wirklichkeit überholt werden.

Eine nachhaltige Lösung der europäischen Staatsschuldenkrise erfordert Solidarität unter allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, namentlich unter den Mitgliedern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Notmaßnahmen dürfen jedoch nicht die Retter selbst in Not bringen, sondern müssen Hilfe zur Selbsthilfe bleiben. Die verschuldeten Staaten müssen mit vereinten Kräften in die Lage versetzt werden, zu eigenverantwortlichem Handeln zurückzukehren. Die vorgeschlagene Erweiterung und Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität geht darüber weit hinaus, weil sie keine wirksame Begrenzung von Finanzhilfen ermöglicht, sondern Anreize zur Sozialisierung privater Verluste und zur Vergemeinschaftung nationaler Schulden setzt. Dies kann ich nicht mit verantworten. Die wirtschafts- und finanzpolitische Handlungsfähigkeit der verschuldeten Staaten muss wiederhergestellt werden, wenn die Stabilität des Euro dauerhaft erhalten bleiben soll.

Anmerkungen:

(1) So ausdrücklich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Brief an den Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, vom 18. März 2011, S. 1.

(2) Vgl. Bundespräsident a.D. Horst Köhler, in: Focus Nr. 12/2010 vom 22.3.2010, S. 18, 26; ebenso Bundesbankpräsident Jens Weidmann, in: Die Zeit vom 14.7.2011, S. 2, demzufolge "eine staatliche Insolvenz im Euro-Raum ... nicht ausgeschlossen werden" darf.

(3) Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen verweist darauf, dass "in einem gesunden Finanzmarktumfeld ... die Insolvenz und nachfolgende Umschuldung eines kleinen oder mittelgroßen Mitglieds der Eurozone kein systemisches Risiko" darstelle, vgl. Brief an den Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, vom Juli 2010, S. 1.

(4) Vgl. Bundespräsident a.D. Horst Köhler, in: Focus Nr. 12/2010 vom 22.3.2010, S. 18, 26.

(5) Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Brief an den Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, vom 18. März 2011, S. 2, wonach "es zwingend erforderlich [ist], einen Schuldenschnitt zu ermöglichen".

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