China:Das Erbe von Maos Kulturrevolution zerfrisst China immer noch

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Ein Laden für Mao-Memorabilia in Shaoshan, der Heimatstadt des Politikers. (Foto: AFP)

Vor 50 Jahren gab Mao China dem Irrsinn preis. Studenten ermordeten ihre Professoren, Söhne ihre Mütter. Noch heute ist es ein Land, in dem keiner keinem traut.

Von Kai Strittmatter

Vor 50 Jahren, am 16. Mai 1966, gab Mao Zedong den Startschuss zur "Großen Proletarischen Kulturrevolution". Für Chinas Jugend war Mao der Messias, in seiner eigenen Partei aber war er dabei, nach katastrophalen Fehlschlägen seiner Politik an den Rand gedrängt zu werden. Deshalb die Kulturrevolution: Mao holte sich die Macht zurück. Mit Hilfe der Kinder. "Bombardiert die Hauptquartiere", befahl er ihnen. Er rief sie zum Sturm auf die Autoritäten.

Die Jugend horchte, jubelte, verfiel in Raserei. Die Kulturrevolution wurde auch von den Studenten in Europa bejubelt, auf den Straßen von Paris und Berlin. Keiner wollte sehen, was wirklich geschah: Mao gab China dem Irrsinn preis. Schülerinnen schlugen ihre Direktorinnen tot, Studenten ersäuften ihre Professoren, Ehemänner schickten ihre Frauen ins Arbeitslager und Söhne ihre Mütter aufs Schafott.

Zurück blieb ein Volk mit gebrochenem Rückgrat. Bis heute hat sich China nicht wirklich erholt vom Erbe der Kulturrevolution. Die Opfer und die Täter von damals sitzen heute an den Schaltstellen der Macht, in Politik und Wirtschaft. Der Vater von Parteichef Xi Jinping wurde damals gedemütigt und verprügelt, der junge Xi selbst für Jahre aufs Land verschickt. "Wir Chinesen haben seither kein Immunsystem mehr", sagt ein Pekinger Maler. "Seit damals sind wir als Gesellschaft gegen alle Arten von Krankheit machtlos." Der Verlust aller Werte, den viele Chinesen beklagen, die Haltlosigkeit, das kollektive Misstrauen, es hat seine Wurzeln auch in dem, was damals geschah. Das Land, in dem Kollegen, Nachbarn, Familienangehörige einander damals über Jahre hinweg demütigten, verrieten, misshandelten und töteten, es ist noch heute ein Land, in dem keiner keinem traut.

Öffentiche Debatten über damals soll es nicht geben: Die KP hat Reflexion und Erinnern zum Tabu erklärt. Sie möchte all den Schmerz, die Scham und die Schuld unter Schweigen und Vergessen begraben. Aber die Wunde schwärt. "Der Boden ist noch fruchtbar", warnt der ehemalige Bürgermeister von Shenzhen. Denn es gibt die Linken, die heute Mao wieder vergöttern, den Parteichef, der Mao benutzt, und nur ein paar Aufrechte, die sich gegen das Vergessen stemmen.

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