Bundestag wegen Meldegesetz in der Kritik:Wenn Volksvertreter vor sich hin tagen

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Erst fehlen die Abgeordneten, um einen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld einzubringen. Kurz darauf beschließen sie ein Meldegesetz, ohne recht zu wissen, was sie tun. Der Bundestag schadet seinem Anspruch, als Gesetzgeber das letzte Wort zu haben. Doch er ist viel besser, als er sich mitunter inszeniert.

Nico Fried

Binnen weniger Wochen hat der Bundestag zweimal ein schlechtes Bild abgegeben. Und zwar im Wortsinne. Denn es sind gerade auch Fernsehbilder, die bei den Wählern einen negativen Eindruck von ihrem Parlament verfestigen. Von den Nichtwählern ganz zu schweigen.

Ein 57-Sekunden-Clip aus der Sitzung zum Meldegesetz (hier ein Screenshot) wirkt nun wie ein Video-Beweis für die Unfähigkeit des Parlaments. (Foto: dapd)

Beim ersten Mal war Mitte Juni zu sehen, dass nicht genügend Abgeordnete anwesend waren, um den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld einzubringen. Beim zweiten Mal hingegen hat eine kleine Schar von Volksvertretern im Juli ein Meldegesetz beschlossen, von dem die allermeisten Abgeordneten erst zu wenig wussten und jetzt nichts mehr wissen wollen. Ein 57-Sekunden-Clip aus der entsprechenden Sitzung wirkt nun wie ein Video-Beweis für die Unfähigkeit des Parlaments.

Einmal hat der Bundestag also nichts getan, weil er nicht mehr arbeiten konnte - und das andere Mal hat er gearbeitet, aber nicht recht gewusst, was er tut. Der Bundestag riskiert damit in diesen Zeiten der Krise Ungemach über den üblichen Politikverdruss hinaus: Er schadet dem eigenen Anspruch, in der unaufhaltsamen Europäisierung politischer Entscheidungen die Rechte als Gesetzgeber und den Einfluss als Ort der Debatte zu behaupten.

Wenn ein Verfassungsorgan bei einem vergleichsweise harmlosen Meldegesetz das demokratische Verfahren wie dilettantisches Gestümper erscheinen lässt, zieht es den eigenen Anspruch geradezu ins Lächerliche, in der Euro-Krise stets das letzte Wort über das zu haben, was den meisten Bürgern am wichtigsten ist: ihr Geld.

Die größte Verantwortung für das Erscheinungsbild des Bundestags tragen die Fraktionen, die über die Mehrheit verfügen. Die Möglichkeit zu regieren, bringt eben auch die Pflicht mit sich, die Mehrheit dafür jederzeit zu gewährleisten. Diese Pflicht hat die Koalition beim ersten Versuch, das Betreuungsgeld ins Parlament einzubringen, nicht erfüllt.

Die Opposition hat diesen Missstand damals öffentlich sichtbar gemacht und die Koalition damit bloßgestellt. Das war recht und billig - vielleicht ein wenig zu billig. SPD, Grüne und Linke sollten sich nämlich nicht täuschen: Die große Mehrheit der Bürger wertet eine Arbeitsunfähigkeit des Parlaments bestimmt nicht als Fehler einzelner Parteien, sondern als Versagen "der Politik", ja "der Politiker".

Eigentlich ist der Bundestag ein im besten Sinne raffiniertes System. Er ist ein Arbeitsparlament, das durch seine Organisation und Spezialisierung durchaus in der Lage ist, der Komplexität der Welt einigermaßen gerecht zu werden. Mancher plakative Vorwurf gegen den Bundestag und die Parlamentarier ist deshalb vor allem eines: ungerecht.

Wenn Abgeordnete am Freitagnachmittag nicht mehr zugegen sind, haben sie zwar ein langes Wochenende vor sich, aber meistens kein freies. Und an den Sitzungstagen sind die Plätze im Plenum jenseits der großen Debatten meistens nicht deshalb spärlich gefüllt, weil Abgeordnete faule Säcke sind, sondern weil die Fachpolitiker im Plenarsaal debattieren, während die anderen sich - jedenfalls die meisten - um ihre Themen kümmern, sei es im Büro, in Arbeitsgruppen, im Gespräch mit Experten, auf Reisen oder, ja das auch, in der Diskussion mit Interessenvertretern.

Dieser Austausch mit Lobbyisten ist durchaus legitim, wie sich schon daraus ergibt, dass auch das Reichstagsgebäude eine sogenannte Lobby hat, nämlich die Flure außerhalb des Plenarsaals. Zugleich aber steckt eben im Überbegriff Parlament auch das französische Verb parler, also sprechen - und zwar öffentlich.

Beim Meldegesetz drängt sich nun zumindest der Verdacht auf, dass der eine oder die andere Abgeordnete zwar ihrem Austausch mit Lobbyisten nachgekommen ist, nicht aber der Verpflichtung, über die Ergebnisse klar und deutlich zu reden. Dass während eines Fußballspiels ein Gesetz in letzter Lesung ohne Aussprache verabschiedet wurde und alle Abgeordneten ihre Reden nur zur Protokoll gegeben haben, erscheint dafür wie ein treffliches Symbol.

Doch auch wenn nicht gerade Deutschland gegen Italien spielt, ist der Bundestag mittlerweile zu oft Gegenstand des Desinteresses - nicht nur vieler Bürger (bisweilen auch der Medien), sondern seiner selbst. Er ist zu einem Parlament geworden, das häufig nur vor sich hin tagt, nie unbedeutend, häufig aber unbeachtet. Dabei ist der Bundestag in seiner Anlage ein Parlament, wie man es sich nicht besser wünschen könnte. Für seinen Alltag aber gilt das nicht.

Die Tagesordnung füllt zwar die Tage, schafft aber selten Ordnung. Wichtiges kommt nach Unwichtigem, Unangenehmes wird versteckt, Unbedeutendes herausgehoben. Der Bundestag sollte nicht nur darauf setzen, dass ihm das Verfassungsgericht immer wieder seine Wichtigkeit zuspricht. Er sollte sich selbst wieder wichtig machen.

© SZ vom 11.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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