Geheimdienste:Dem Bundesnachrichtendienst droht eine Revolution

Etwa 150 Menschen haben am Samstag 05 09 2015 mit einer Menschenkette vor der neuen Berliner BND Z

Vor der BND-Zentrale fordern Demonstranten Anfang September eine wirksame Kontrolle des Geheimdienstes.

(Foto: imago/epd)

Abhören unter Freunden, das geht gar nicht - für den BND könnte dieser Satz der Kanzlerin bald Gesetz werden. Es wäre eine weltweit einmalige Regelung.

Von Georg Mascolo

Seit dem Ende der parlamentarischen Sommerpause kommen in Berlin verschwiegene Runden zusammen. Innenpolitiker der großen Koalition sind stets dabei, manchmal stoßen deren Obleute aus dem NSA-Untersuchungsausschuss dazu. Auch BND-Präsident Gerhard Schindler und der für die Aufsicht über die Geheimdienste zuständige Staatssekretär im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, werden hinzu gebeten. Im Auftrag von Union, SPD und Bundesregierung suchen sie nach den richtigen Lehren aus den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden. So viel steht inzwischen fest: Deutschland wird die Abhörpraktiken seines Geheimdienstes im Ausland gesetzlich regeln und unter parlamentarische Kontrolle stellen.

Mindestens vier Verhandlungsrunden hat es inzwischen gegeben. Noch wird darum gerungen, ob eine schmale Lösung oder eine weltweit einmalige Regelung herauskommen wird. Aber selbst die Skeptiker in der Runde halten es für wahrscheinlich, dass bis Jahresende ein erster Gesetzesentwurf vorliegt. Auf dem Tisch liegen Forderungen, Überwachungen von Ausländern durch den Bundestag anordnen oder zumindest nachträglich kontrollieren zu lassen. Auch über einen revolutionären Schritt wird diskutiert: die Überwachung von Bürgern europäischer Nachbarstaaten nur dann zu erlauben, wenn sie etwa des Terrorismus, des Waffenhandels oder der organisierten Schleusung verdächtig sind. Immer dann also, wenn das Gesetz auch die Überwachung von Deutschen erlaubt. Politische oder wirtschaftliche Spionage in Europa wäre dem BND damit untersagt. Das Wort der Kanzlerin, dass sich Abhören unter Freunden nicht gehört, wäre Gesetz.

BND-Chef Schindler drohte schon, er könne den "Laden dichtmachen"

Allein die Tatsache, dass verhandelt wird, ist bemerkenswert. Lange hatte es so ausgesehen, als würde auch die Bundesregierung die entscheidende Erkenntnis der NSA-Affäre einfach ignorieren wollen. Kommunikation ist heute global, aber auch in Demokratien schützt das Gesetz nur seine Bürger vor Abhörmaßnahmen durch den eigenen Geheimdienst. Ausländer sind vogelfrei. Solche Telekomunikations-Verkehre, sagte ein BND-Beamter vor dem Untersuchungsausschuss, seien "zum Abschuss freigegeben". Jede Regierung entscheidet selbst, in welchem Umfang sie Bürger- und Freiheitsrechte außer Kraft setzt. Viele gehen dabei zu weit.

In den USA hatte sich direkt nach den Snowden-Enthüllungen eine von Präsident Barack Obama eingesetzte Kommission mit diesem Problem beschäftigt. Sie schrieb, dass man eigentlich alle Menschen so behandeln sollte, wie die eigenen Staatsbürger. Aber das tue nun einmal kein Land. Auf Empfehlung der Kommission erließ Obama eine geheime Direktive, die angeblich den Schutz von Ausländern vor dem Zugriff der NSA verbessert. Obama rühmte dies als weltweit einmalig. Aber weil niemand weiß, was in der Anordnung steht, bleibt das Misstrauen groß.

Deshalb urteilte nun der Europäische Gerichtshof, dass das "Safe Harbour"-Abkommen mit den USA ungültig sei. Nur weil dieses Abkommen aus dem Jahr 2000 die USA als "sicheren Hafen" einstufte, durften Facebook, Google oder Amazon die persönlichen Daten ihrer Kunden aus Europa auf US-Servern speichern - wo die NSA Zugriff hat. Wegen der gravierenden Auswirkungen eines Endes dieser Regelung waren Bundesregierung und Europäische Kommission selbst auf dem Höhepunkt der Snowden-Affäre vor der Kündigung des Abkommens zurückgeschreckt.

Wolkige Formulierungen über ein "Völkerrecht des Netzes"

So wie die US-Regierung wollte sich auch die Bundesregierung zunächst wegducken. Im Koalitionsvertrag finden sich wolkige Formulierungen über ein "Völkerrecht des Netzes", die Kanzlerin beauftragte den BND, ein No-Spy-Abkommen der europäischen Geheimdienste zu verhandeln.

Von beiden Vorstößen hat man nicht mehr viel gehört. Gegen eine gesetzliche Regelung sperrten sich Kanzleramt, BND und Innenminister Thomas de Maizière zunächst vehement: Das gebe es in keinem Land, das ganze sei absurd, man dürfe nicht "international in Vorleistung gehen". BND-Chef Schindler drohte, er könne den "Laden dichtmachen", wenn das Abhören im Ausland unzulässig werde. Die ganze Geschichte drohte zu versanden - obwohl doch die Empörung in keinem Land so groß gewesen war wie in Deutschland.

Vorherige Genehmigung? Oder nachträgliche Kontrolle?

Dass das Kanzleramt seinen grundsätzlichen Widerstand schließlich aufgegeben hat, liegt an einer wahren Flut unangenehmer Enthüllungen und dem damit wachsenden Widerstand von Juristen, Parlamentariern und aus der Industrie. Verfassungsrechtler rügten die bisherige BND-Praxis als rechtswidrig. Und der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags - das einzige Parlament der Welt, in dem die Praxis der Massenüberwachung untersucht wird - fand heraus: Der BND hatte der NSA geholfen, europäische Spitzenpolitiker abzuhören.

Vor allem die mächtige G-10-Kommission des Bundestags, die wie ein Gericht Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste in Deutschland genehmigen muss, drohte schließlich mit einem Boykott. Erst nachträglich hatte sie erfahren, dass der BND auf große Kabelverbindungen wie den weltweit größten Internet-Knotenpunkt in Frankfurt zugegriffen hatte, ohne sie über den wahren Zweck zu informieren: Es ging gar nicht vor allem um deutsche Terroristen und Waffenschieber, sondern um den Zugriff auf riesige Mengen internationaler Kommunikation, die durch die Leitungen strömen. Die Genehmigungen der G-10-Kommission waren als Türöffner missbraucht worden. Die Empörung war riesig.

Inzwischen hat auch der Betreiber des Frankfurter Knotens, DE-CIX, eine Klage angekündigt. Die G-10-Kommission drohte, künftige Überwachungsmaßnahmen an deutschen Kabeln nur noch zu genehmigen, wenn Kanzleramtsminister Peter Altmaier schriftlich garantieren würde, dass dann nicht massenhaft Daten von Ausländern abgefangen würden. Das ganze Abhörsystem drohte zu kollabieren.

Man dürfe nicht mehr warten, argumentierte die SPD

In dieser Situation legte die SPD-Bundestagsfraktion im Juni ein Reform-Papier vor; die Fachpolitiker hatten sich hierfür der Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann versichert. Man dürfe nicht mehr bis zum Ende des NSA-Ausschusses warten, argumentierten sie. Sonst werde aus einem "verfassungsrechtlich problematischen Zustand" ein "vorsätzlicher Verfassungsbruch". Die SPD argumentierte: Der BND brauche Rechtssicherheit, Abhören im Ausland sei in Ordnung, schon die Bedrohung durch den Terrorismus verlange dies geradezu. Aber grenzenloses Abhören ohne jede Kontrolle gehe eben nicht mehr.

Die SPD-Vorschläge stehen nun im Mittelpunkt der Verhandlungen. Unstrittig ist inzwischen, dass das sehr knappe BND-Gesetz durch einen zusätzlichen Paragrafen ergänzt werden soll. § 3 a würde dann den Zugriff auf Internationale Kommunikation - auch wenn sie etwa durch den deutschen Internet-Knotenpunkt in Frankfurt läuft - erlauben. Ebenso unstrittig ist inzwischen, dass kontrolliert werden muss. Die G-10-Kommission oder das Parlamentarische Kontrollgremium könnte die Aufgabe übernehmen. Einigkeit besteht auch darüber, dass die für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Parlamentsgremien durch einen ständigen Bevollmächtigten mit eigenem Apparat unterstützt werden sollen.

Umstritten scheint noch das Ausmaß. Im Kanzleramt favorisiert man die Idee der nachträglichen Kontrolle - der BND berichtet, was er tut, die Abgeordneten überprüfen, ob dies rechtmäßig und angemessen war. In der SPD denkt man stattdessen über ein Anordnungsverfahren nach - ohne vorherige Zustimmung der Parlamentarier dürfte erst gar nicht abgehört werden.

Die rechtsstaatliche Kontrolle wäre damit umfassender, aber Abhören ist ein Massengeschäft. Käme es zu dieser Lösung, müssten die personellen Kapazitäten im Parlament massiv ausgebaut werden. Noch nicht ausdiskutiert ist auch, ob alle Überwachungsmaßnahmen des BND weltweit kontrolliert werden müssen. Ja, sagt die SPD. Nein, sagen bisher Union und Kanzleramt. Nur wenn es sich um Kommunikation handele, die über deutschen Boden geht, sei dies rechtlich zulässig. Ein Afghane, der seine Mail über Frankfurt nach London schickt, wäre ein Fall für die Kommission. Ein Afghane, der von Kundus nach Kabul telefoniert, wäre es nicht.

Wie viel Reform will das Kanzleramt?

Vor allem das Kanzleramt hüllt sich noch in Schweigen, wie viel Reform es will. Trotz mehrmaliger Bitten der Abgeordneten wurden bisher keine Gesetzestexte vorgelegt - sondern nur ein sogenanntes "Non-Paper". Staatssekretär Fritsche scheint am liebsten so viel wie möglich beim Alten belassen zu wollen. Als schwierigster Punkt in den anstehenden Schlussrunden gilt deshalb eine der politischen Kernforderungen der SPD: EU-Bürger sollen ausdrücklich vor Abhörmaßnahmen geschützt sein, es sei denn, es geht um "besondere Gefahrenbereiche". Sie wären damit, wenn sie nicht konkreter Rechtsverstöße verdächtig sind, geschützt - so wie deutsche Staatsbürger.

Nach Auffassung vieler Experten ergibt sich diese Rechtslage auch heute schon aus der europäischen Menschenrechtskonvention - was allerdings noch keinen der Geheimdienste Europas je daran gehindert hat, unbegrenzt abzuhören. Schon der "Echelon"-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments kritisierte 2001 diese Praxis. In den europäischen Regierungen wurde freundlich genickt - danach ging alles weiter wie zuvor.

In der SPD hofft man auf die "internationale Signalwirkung"

Die jetzt diskutierte Regelung wäre die deutlichste Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen, ein echter Bruch mit dem bisher regellosen Geschäft des weltweiten Abhörens. In der SPD hofft man auf die "internationale Signalwirkung", durch die andere Staaten ebenfalls ihre Praxis überdenken könnten. Schließlich könne man nur dann Schutz für seine Bürger vor Übergriffen ausländischer Geheimdienste einfordern, wenn man sich selbst zu einem "Mindestmaß an Menschenrechtsschutz" verpflichte. Nur so könne man zumindest "befreundete Staaten" davon überzeugen, ihre Geheimdienste zu reformieren. Das Vorhaben, so sieht es die SPD, ist innovativ.

Die Skeptiker in der Union und im Kanzleramt dagegen befürchten, dass weder Snowden noch die Empörung der eigenen Kanzlerin über die NSA-Praktiken etwas geändert haben. Nur die Deutschen würden den Musterschüler geben und alle anderen weitermachen wie bisher. Das ganze sei naiv. Man darf gespannt sein, wie es Angela Merkel sehen wird.

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