Britische Regierung streicht Stellen:Mit dem Rotstift und der Axt

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Um den Haushalt zu retten, erklären sie dem Sozialstaat den Krieg: Großbritanniens Premier David Cameron und sein Schatzkanzler George Osborne wollen Milliarden im Sozialetat sparen. 490.000 öffentliche Stellen sollen wegfallen.

Andreas Oldag, London

Die britische Regierung will das Land durch drastische Haushaltseinsparungen aus der Schuldenkrise führen. Der konservative Finanzminister George Osborne kündigte am Mittwoch im Unterhaus Einsparungen in Höhe von insgesamt 83 Milliarden Pfund (etwa 95 Milliarden Euro) in den nächsten vier Jahren an.

Großbritanniens Premierminister David Cameron (li.) ist zufrieden mit seinem Finanzminister George Osborne. Der hat soeben die härtesten Sparmaßnahmen seit den achtziger Jahren verkündet. (Foto: Reuters)

Großbritannien sei am Rande des Staatsbankrotts gewesen, erklärte Osborne. Wir müssen die weitere Schuldenanhäufung endlich bremsen", forderte der Schatzkanzler. Derzeit liegt die Neuverschuldung bei 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit so hoch wie in keinem anderen der sieben größten Industriestaaten, der so genannten G7-Gruppe. Ursache der Verschuldung sind der Konjunktureinbruch, vor allem aber die hohen Kosten für die Rettung der angeschlagenen Banken 2008 und 2009 während der Zeit früheren Labour-Regierung. Die Einsparungen der konservativ-liberalen Regierung gelten als die härtesten seit der Zeit der eisernen Lady Margaret Thatcher in den 80er Jahren. Schatzkanzler Osborne will das Defizit nun bis zum Haushaltsjahr 2014/15 auf ein Prozent des BIP zurückführen. Im vergangenen Haushaltsjahr lag die Verschuldung bei knapp 155 Milliarden Pfund. Die EU schreibt eine Defizitobergrenze von drei Prozent des BIP vor.

Der Großteil der geplanten Einschnitte entfällt auf den Sozialetat, der bislang etwa ein Drittel aller staatlichen Ausgabe ausmacht. Osborne kündigte in diesem Bereich Streichungen von mindestens 18 Milliarden Pfund an. Für Sozialhilfeempfänger hat bereits ein medizinisches Testprogramm begonnen, in dem geprüft werden soll, in wieweit viele Bezieher arbeitsfähig sind. Zudem will die Regierung die Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau kürzen. Einschnitte beim Kindergeld sollen sich dagegen vor allem auf Besserverdiener beschränken.

Osborne kündigte an, dass das staatliche Rentenalter bis 2020 auf 66 Jahre angehoben werden soll und dadurch fünf Milliarden Pfund pro Jahr eingespart werden. Drastische Einsparungen in Höhe von acht Prozent muss auch der Verteidigungsetat hinnehmen. Ausgenommen von Kürzungen sind dagegen zunächst das staatliche Gesundheitssystem NHS sowie die Entwicklungshilfe.

Ansonsten müssen alle anderen Ressorts im Schnitt mit etwa 25 Prozent weniger Geld als bisher auskommen. Insgesamt sollen laut Regierung bis 2015 im öffentlichen Dienst 490.000 Arbeitsplätze wegfallen. Zu den Details machte Osborne noch keine Angaben. Es wird damit gerechnet, dass viele Stellen im Falle von Pensionierungen nicht neu besetzt werden. Der Jobabbau war bereits kurz vor der Bekanntgabe durchgesickert, als der liberale Finanzstaatsekretär Danny Alexander von der Presse fotografiert wurde, wie er im Auto vertrauliche Unterlagen über das Sparpaket las.

Zu dem ehrgeizigen Ziel der Budgetsanierung sollen Einsparungen zu 77 Prozent beitragen und Steuererhöhungen zu 23 Prozent. Ab Januar plant die Regierung bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Zudem kündigte Osborne jetzt eine Bankensteuer an, die vor allem auf Forderungen des liberalen Koalitionspartners zurückgeht. Von den Einsparungen werde nicht einmal Queen Elizabeth II. Verschont - der königliche Haushalt werde über vier Jahre um 14 Prozent gekürzt.

Auf heftige Kritik stießen die Sparpläne bei der oppositionellen Labour-Partei. Ihr finanzpolitische Sprecher Alan Johnson warnte vor einer erneuten Rezession, die durch die Einsparungen ausgelöst werden könnte. "Sie betreiben ein rücksichtsloses Spiel mit der Existenz vieler Menschen", erklärte Johnson. Vor allem die Kürzungen bei Kindergeld und Sozialhilfe entzögen den Menschen die Kaufkraft. Die Labour-Partei ist nicht prinzipiell gegen Budgeteinsparungen. Sie will diese jedoch zeitlich stärker strecken. Zudem forderte Johnson eine höhere Bankensteuer, die etwa sechs Milliarden Pfund pro Jahr einbringen sollte.

Gegen die Sparmaßnahmen waren am Dienstag tausende Gewerkschaftsmitglieder in London auf die Straße gegangen. Kritisch äußerten sich auch Ministerpräsidenten aus den Regionen Schottland, Wales und Nordirland. Die Kürzungen seien "zu schnell und zu viele", schrieben sie in einem Brief an die Londoner Regierung. Unterstützung kam dagegen von der Wirtschaft. In einem offenen Brief äußerten sich Chefs großer Firmen zuversichtlich, dass der private Sektor wegfallende öffentliche Jobs ersetzen werde.

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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