Brexit:Merkel ist großzügig mit London - Steinmeier drängt

Steinmeier, Merkel

Kanzlerin Merkel will London keinen Druck machen; Außenminister Steinmeier (l.) verlangt einen schnellen Einstieg in den EU-Ausstieg.

(Foto: Odd Andersen/AFP)

Die Kanzlerin will den Briten beim EU-Ausstieg keinen Druck machen. Außenminister Steinmeier schlägt ganz andere Töne an - und warnt vor einer Hängepartie.

Von Stefan Braun, Berlin

Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten - seit dem britischen Referendum für ein Ende der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens hat das Thema wieder Konjunktur; genährt auch durch eine neue französisch-deutsche Initiative, die in den kommenden Tagen die Außenminister Frankreichs und Deutschlands konkret vorstellen wollen. Am Tag zwei nach dem Beschluss der Briten zeigt sich aber, dass bislang ganz woanders unterschiedliche Geschwindigkeiten vorherrschen: in der deutschen Hauptstadt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel präsentierte sich am Samstag nach einem Treffen der Spitzen von CDU und CSU betont großzügig gegenüber London. Sie erklärte, es läge nun erst einmal an der britischen Regierung, wie und wann sie den Austritt aus der EU angehen werde. Merkel betonte, sie gehe natürlich davon aus, dass London das Ergebnis umsetzen werde. Zur Frage, wie schnell das geschehen sollte, sagte die Kanzlerin aber: "Ehrlich gesagt soll es nicht ewig dauern, das ist richtig. Aber ich würde mich auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen." Merkel bleibt sich treu: Auch in bitteren Zeiten soll bloß keiner Hektik verbreiten.

Das sieht Merkels Außenminister Frank-Walter Steinmeier ganz anders. Als er am Samstagmittag nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien und den drei Benelux-Staaten auftritt, lässt er keinen Zweifel daran, dass London sich jetzt nach seinem Willen wie dem seiner Kollegen keine Zeit mehr lassen soll. Die Verhandlungen über einen Austritt sollten "so bald wie möglich losgehen'', ansonsten drohe ,,eine Hängepartie", die niemandem nutze.

Steinmeier betonte, Großbritannien habe nicht nur eine Verantwortung für seine eigene Zukunft, sondern auch dafür, dass sich die Europäische Union mit ihren dann 27 Mitgliedern rasch der eigenen Zukunft zuwenden könne.

Ayrault: Rücktritt Camerons kein Grund für langes Abwarten

Noch deutlicher wurde Steinmeiers französischer Kollege Jean-Marc Ayrault. Er betonte, auch der Rücktritt des britischen Premiers David Cameron dürfe kein Grund für langes Abwarten sein. London könne binnen weniger Tage einen neuen Regierungschef stellen. Cameron selbst habe das Referendum einst initiiert, nun müsse er auch die Konsequenzen tragen - und schnell dazu beitragen, dass der Prozess der Scheidung wie von Cameron selbst angekündigt über Artikel 50 des EU-Vertrags eingeleitet werde. Ayrault ließ keinen Zweifel an seiner Auffassung, dass sich die EU bei allen Bestrebungen, auch künftig ein gutes Verhältnis zu Großbritannien zu pflegen, nun um sich selbst kümmern müsse.

Das Treffen zeigte überhaupt, dass sich in der Frage zwischen den Außenministern der sechs Gründungsstaaten der EU keinerlei Risse zeigen. Auch die Außenminister Italiens, Paolo Gentiloni, der Niederlande, Bert Koenders, Belgiens, Didier Reynders, und Luxemburgs, Jean Asselborn, betonten ihre Sorge vor britischen Verzögerungsversuchen.

Asselborn warnte vor einem "Katz- und Maus-Spiel". So etwas würde weder zur EU noch zu Großbritannien passen. "Hier muss Klarheit herrschen. Das Volk hat gesprochen. Wir haben Respekt vor der Entscheidung. Und wir müssen die Entscheidung jetzt umsetzen." Sollte irgendjemand in London die Hoffnung gehegt haben, die EU werde auch nach dem Votum Geduld haben, ja, möglicherweise weitere Zugeständnisse machen, und sei es nur beim Spielraum bis zur Umsetzung - dem demonstrierten zumindest die sechs Außenminister an diesem Samstag in Berlin, dass sie das nicht zulassen möchten.

Keine zusätzlichen Vorteile mehr für Großbritannien

Das zeigte sich auch in der Erklärung, die das Sextett verabschiedete. Darin heißt es schon im zweiten Absatz, die Vereinbarung, die man noch Mitte Februar als Zugeständnis an britische Forderungen geschlossen habe, sei mit dem Referendum unwirksam geworden. Soll heißen: Auch in der Zeit, in der Großbritannien in der EU verbleibt, wird es diese zusätzlichen Vorteile nicht mehr geben. Außerdem versicherten die sechs, sie wollten auch in Zukunft "für eine stärkere und geschlossenere EU mit 27 Mitgliedstaaten" arbeiten - aus der Überzeugung heraus, dass die Union "einen historisch einzigartigen und unverzichtbaren Rahmen" darstelle für das Streben nach Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Zugleich betonen sie, dass dafür auch Änderungen nötig sein werden. Ohne hinter das bisher erreichte zurückzufallen, müssten neue Wege gefunden werden, um den inzwischen in den 27 Staaten sehr unterschiedlichen "Ambitionsniveaus" gerecht zu werden.

Hinter dem Begriff dürfte sich sehr verklausuliert genau das verbinden, was seit Freitag wieder heftiger diskutiert wird: eine EU der verschiedenen Geschwindigkeiten. Ohne diesen Begriff zu nutzen, erinnerten mehrere Außenminister daran, dass es das ohne diese Überschrift ja längst gebe. So sei der Kreis der Euro-Länder keineswegs identisch mit dem der EU-Mitglieder; auch der Kreis der Schengen-Staaten sei ein anderer - und das ließe sich durchaus erweitern.

Allerdings vermieden es alle sechs am Samstag, auf die neue französisch-deutsche Initiative einzugehen, die schon Stunden nach dem Referendum der Briten bekannt wurde. Angestoßen vom französischen Außenminister Ayrault hatten Experten der Außenministerien in Paris und Berlin vor gut zwei Monaten damit begonnen, neue Ideen zu debattieren, wie die EU wieder Schlagkraft, Ansehen und Zustimmung erwerben könne. Details sollen in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.

Achse Paris-Berlin als Schlüssel für eine gute Zukunft der Union

Schon jetzt aber ist klar, dass Ayrault und Steinmeier auch in dieser schwersten Krise der EU die Achse Paris-Berlin als Schlüssel für eine gute Zukunft der Union sehen. Außerdem plädieren sie für eine Konzentration auf wichtigste Themen, in denen die Union neue tragfähige Kompromisse entwickeln müsse. Nach den Vorstellungen von Ayrault und Steinmeier soll das vor allem beim Kampf gegen den Terrorismus, beim Umgang mit den Flüchtlingen und beim Ringen um mehr Wachstum und Beschäftigung gelingen. Und dabei wird eines deutlich: Eine weitere Vertiefung soll nicht mehr ein Ziel an sich sein, sondern wenn nötig ein Instrument, sollte man beispielsweise im Anti-Terror-Kampf eine zusätzliche Behörde mit entsprechenden Kompetenzen brauchen.

Wie es heißt, seien Frankreichs Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel von den Plänen vorab informiert worden. Beteiligt aber wurden sie nicht. Entsprechend ist auch nicht klar, was Hollande und Merkel davon halten. Merkels erste Äußerungen klingen denn auch so, als gehe ihr das alles zu schnell. Ob das stimmt, wird sich vielleicht schon am Montag zeigen.

Dann werden Merkel und Hollande in Berlin mit Italiens Premier Matteo Renzi und EU-Ratspräsident Donald Rusk die neue Lage beraten.

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