Anschäge in Berlin:Geisterarmee der Brandstifter

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Erst brannten in Berlin Luxuslimousinen, dann Kleinwagen, manchmal sogar Vespas: Sind die Feuer Fanale für eine ganz andere, größere Gefahr? Wächst da eine neue RAF heran? Politiker und Polizisten warnen nach dem Fund der Brandsätze in Berlin vor einem neuen Linksterrorismus. Dabei ist nicht einmal sicher, dass die Attentate auf die Bahn von mehr als einem Einzeltäter ausgehen.

Hans Leyendecker

Erst brannten Luxuslimousinen und Sportcoupés in den feineren Gegenden Berlins, dann konnten sich auch Besitzer abgefahrener Familienkutschen nicht mehr sicher sein. Jetzt brennen auch Kleinwagen und manchmal sogar Vespas. Die Berliner Brandstifter machen keine Klassenunterschiede mehr. Wer eine Garage hat, ist zwar nicht unbedingt reich, aber privilegiert. Er darf immerhin hoffen, morgens mit seinem Fahrzeug zur Arbeit fahren zu können. In den vergangenen zweieinhalb Jahren gingen in der Hauptstadt mehr als 800 der 1,16 Millionen dort gemeldeten Autos in Flammen auf. Vergleichbar sind nur noch die Zündler in Hamburg. Dort brannten im selben Zeitraum etwa 400 von 715.500 gemeldeten Fahrzeugen ab.

Ein ausgebrannter Wagen im Berliner Stadtteil Lichtenberg: Immer wieder sorgen in Berlin brennende Autos für Aufregung, doch nächtens auf den Straßen sind nicht nur linke Wirrköpfe unterwegs. (Foto: dapd)

Sind die Feuer Fanale für eine ganz andere, eine viel größere Gefahr? Wächst da eine neue RAF heran? Mutiert gerade der Linksextremismus zum Linksterrorismus? Nirgendwo sonst in der Republik gibt es eine so große linksextremistische Szene wie in Berlin. Der Berliner Verfassungsschutz macht 2200 Linksextremisten aus und hält die Hälfte davon für durchaus gewaltbereit. Es gab in den vergangenen Jahren in der Hauptstadt Anschläge mit Molotowcocktails, mit Steinen, mit Farbbeuteln oder Gaskartuschen auf Gebäude der Polizei oder der Deutschen Wirtschaft. Dennoch kann auch der Verfassungsschutz in dieser Entwicklung keine "terroristische Dimension" erkennen.

Nächtens auf den Straßen seien nicht nur linke Wirrköpfe, sondern auch Pyromanen, Nachahmungstäter und Versicherungsbetrüger im Einsatz, erklärte der genervte Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Feuerschäden sind in der Regel durch Teil- und Vollkaskoversicherungen abgedeckt. Die Täter sind meist schwer zu fassen. Ein Polizeisprecher ermunterte die Berliner, im Verdachtsfall die Laufrichtung des Flüchtenden zu beobachten. Und wer ein Handy zur Hand habe, der könne auch schnell noch ein Foto machen, meinte er. Das klingt nicht gerade beruhigend.

In Hamburg, wo die Autos noch früher als in Berlin brannten, wurden anfangs die allermeisten Zündeleien von Mitgliedern der autonomen Szene verübt. Inzwischen sind die Linksradikalen unter den Abfacklern allerdings nur noch eine Minderheit. Die Polizei geht davon aus, dass sich die neuen Brandstifter mehr aus "erlebnisorientierten Gruppen" rekrutieren. In der Szene werden Video-Clips von brennenden Autos rumgeschickt. Die Täter sind meist jung und irgendwie wütend.

Zwei Männer - "gefährlicher als die RAF"

Kriminologen verweisen darauf, dass solche Aktionen wie in Hamburg und in der Hauptstadt, international betrachtet, ziemlich ungewöhnlich sind. Nur in Frankreich gilt das Abfackeln von Autos als Teil der Jugendrevolte. Aber selbst dort werden die Feuer nur meist anlässlich von Happenings gelegt. Auch lodern die Flammen schon mal in sozialen Brennpunkten, oft in den Vorstädten, aber selten in feinen Gegenden. "Ob das, was da in Berlin gerade passiert, links ist oder nicht, interessiert mich nicht", sagt ein genervter Spitzenpolizist. "Es ist jedenfalls lebensgefährlich und eines Tages wird es möglicherweise auch den ersten Toten geben."

Die neuen, angeblich vielen Bahn-Attentäter sind möglicherweise ein regelrechtes Phantom. Eine aktuelle Sinnestäuschung also. Berliner Ermittler halten es für möglich, dass es sich sogar nur um einen Einzeltäter handelt oder um eine in der linken Szene total isolierte kleine Gruppe. Terror-Fachleute verweisen auf das Beispiel einer ultralinken Gruppe mit dem Namen "Antiimperialistische Zellen" (AIZ), die Mitte der neunziger Jahre mit kleineren Anschlägen auf sich Aufmerksam machte. Die AIZ, so verkündeten damals Verfassungsschützer, sei "gefährlicher als die RAF".

Ein 30 Seiten starkes Heft über die Geisterarmee wurde von den Ermittlern in Umlauf gebracht und beklagt, dass die Ressourcen zur Beobachtung "dieser neuen Strukturen und Gefährdungspotentiale nicht mehr ausreichen". Die Zelle flog auf. Es war ein Miniunternehmen von zwei jungen Männern gewesen. Eine Geisterarmee.

© SZ vom 13.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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