Bilder des Terrors:... und man vergisst sie nie

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Was löst diese Fotomontage in Ihnen aus? Es ist die Wüste, in der die IS-Miliz den Amerikaner James Foley enthauptet hat. Die Szene blenden wir bewusst aus - doch schon Sand und Steine reichen, um Bilder im Kopf hervorzurufen. (Foto: Reuters)

Der Islamische Staat zeigt, wie er Menschen enthauptet. Boko Haram führt gekidnappte Mädchen vor. Früher beendeten Fotos Kriege. Heute lösen sie Kriege aus.

Kommentar von Andrian Kreye

Man wäre gerne abgestumpft, dann könnte man die Bilder vergessen: Das Videostandbild, in dem der amerikanische Journalist James Foley vor seinem Henker kniet, der ihn sogleich enthaupten wird. Die Fotografien der nigerianischen Schulmädchen, denen die Milizionäre der Boko Haram Schleier übergestülpt haben, um sie zu "Kriegsbräuten" zu machen. Gerade eben noch das Bild des französischen Touristen zwischen zwei algerischen Dschihadis, der um sein Leben fürchtet. Was ist denn nun mit dem Effekt, den Medienkritiker benennen: dass uns die Gewaltbilderfluten aus Fernsehen, Kino und Videospielen angeblich zu mitleidlosen Gefühlskrüppeln machen? Das würde einen wenigstens gegen Bilder des Grauens immunisieren.

Nur die wenigsten sind mitleidlose Gefühlskrüppel

Was aber die Kritiker beschreiben, sind radikale Einzelfälle. In der Regel werden Studien über diesen Effekt nach Amokläufen bemüht. Dann zitiert man meist noch die Szene aus "Clockwork Orange", in der Wissenschaftler den jungen Gewalttäter Alex so lange mit brutalen Bildern überwältigen, bis er zum willenlosen Zombie mutiert. Mit der Psychologie der Massen hat das wenig zu tun. Das kann nur die Evolution richten, und die braucht bekanntlich Jahrtausende, um Reflexe zu verändern.

So funktionieren gute Thriller

Der Effekt, der sich beim Betrachten von Gräuelbildern wie den oben genannten einstellt, lässt sich zunächst auch eher neurologisch als psychologisch oder gar moralisch erklären. Die Bilder selbst sind ja gar nicht brutal. Es ist das Wissen, was nun gleich geschehen wird oder könnte, das es so schwierig macht, diese Bilder zu vergessen. Dieses Wissen steuert den Filter der Wahrnehmung. Vereinfacht gesagt, füttert die Hirnrinde einen visuellen Reiz in dem kurzen Zeitraum zwischen der Wahrnehmung durch die Netzhaut und dem Eindringen ins Bewusstsein mit einem Datenpaket, das es dem Mensch dann möglich macht, diesen Reiz einzuordnen. Die Bilder wirken deswegen so verstörend - obwohl man die brutale Tat ja gar nicht sieht. Die Mehrheit der Menschen hat das Enthauptungsvideo ja nie gesehen, nur das Nachrichtenbild. So funktionieren gute Thriller, im Gegensatz zum Horrorfilm.

Zusätzlich erschwert wird das Vergessen der Bilder durch einen Effekt, für den es im Amerikanischen schon einen Begriff gibt: You cannot unsee. Man kann nichts entsehen. In den sozialen Netzwerken des Internets ist das ein hübsches Spielchen. So zeigte eine Grafik den Pokal der WM neben dem Bild eines Mannes, der sich verzweifelt die Hand vors Gesichts schlägt. Hat man das einmal gesehen, wird man den Pokal nie mehr als triumphales Sportsymbol betrachten können. So funktionierten auch die optischen Täuschungen des holländischen Grafikers M. C. Escher.

Früher beendeten Fotos Kriege. Nun lösen sie Kriege aus

Der Moment, in dem nun die Psychologie ins Spiel kommt, ist der Reflex, den Opfern im Bild zu helfen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubt man, James Foley oder den französischen Touristen vor ihren Henkern, die Mädchen aus der Hand ihrer Entführer zu retten. Noch ist ja nichts geschehen. Das nutzen die Terroristen. Denn die Macht der Bilder im Krieg nimmt zu.

Vor gut vierzig Jahren hatte diese Macht einen positiven Effekt. Es waren die Bilder der Massaker und Morde in Vietnam, welche die Amerikaner gegen den Krieg aufbrachten und Präsident Nixon zwangen, ihn zu beenden. Das aber hat sich gewandelt. Nun lösen die Bilder Kriege aus.

Der Reflex, den Tritt zu stoppen

Eines der ersten solcher Bilder war ein Foto, das der US-Reporter Ron Haviv 1992 in Bosnien machte. Da holt ein serbischer Milizionär mit dem Stiefel aus, um einer Frau am Boden in den Kopf zu treten. Heute noch hat man den Reflex, den Tritt stoppen zu wollen. Doch man weiß eben, gegen Milizionäre und Terror ist man machtlos. Man glaubt, nur der Großangriff könne helfen. Gegen die Bilder aber hilft nichts.

© SZ vom 24.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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