Asyldebatte in Schweden und Dänemark:Offenes Land - verschlossenes Land

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Wachsender Erfolg: Wahlplakate der "Schwedendemokraten" in Stockholm. Die Rechtspopulisten treten für eine restriktivere Flüchtlingspolitik ein. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)
  • In Schweden herrscht weitgehender Konsens, dass man Flüchtlinge willkommen heißen sollte.
  • In Dänemark sind sich fast alle Parteien einig, dass man sie davon abhalten sollte zu kommen.
  • Eines haben die Nachbarstaaten gemeinsam: Die Rechtspopulisten profitieren von der Asyldebatte.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Sommer 2014, Wahlkampf in Schweden: Er bitte alle Schweden, "geduldig zu sein und ihre Herzen zu öffnen", sagt der damalige Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt angesichts der vielen Flüchtlinge, die ins Land kommen.

Sommer 2015, Wahlkampf in Dänemark: Wenn man jetzt nichts unternehme, drohe die Sache außer Kontrolle zu geraten, sagt Oppositionsführer Lars Løkke Rasmussen. "So schaffen wir einen Nährboden für mehr Parallelgesellschaften in Dänemark, mehr Gettobildung, mehr Ausgaben." Wieder geht es um Flüchtlinge. Der Ton ist ein völlig anderer.

Schweden und Dänemark sind beides Orte, nach denen sich Menschen auf der Flucht sehnen. Doch die Politik in den Nachbarländern könnte unterschiedlicher kaum sein. 14 680 Menschen haben 2014 in Dänemark Asyl beantragt. In Schweden waren es 81 180. Betrachtet man die Anzahl der Flüchtlinge pro Einwohner, landete Schweden vergangenes Jahr auf Platz eins in Europa, Dänemark auf Platz fünf. Die meisten Hilfesuchenden kamen aus Syrien und Eritrea in den Norden. In Schweden herrscht über fast alle Parteien hinweg Einigkeit darüber, dass man sie willkommen heißen sollte. Im Nachbarland sind sich fast alle Parteien einig, dass man sie davon abhalten sollte zu kommen.

"Menschen helfen, die vor Gewalt und Krieg geflohen sind"

Im Juni wurde Rasmussen dänischer Ministerpräsident, auch dank seines Versprechens, den Zustrom zu bremsen. In Schweden hat Reinfeldt die Wahl verloren, allerdings nicht wegen seiner Hilfsbereitschaft Flüchtlingen gegenüber. In diesem Punkt hat sein Nachfolger Stefan Löfven, ein Sozialdemokrat, dieselbe Haltung wie er. Nach mehreren Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime Mitte August verurteilte Löfven die Taten umgehend. Die Situation sei nicht einfach, sagte er. "Aber wir strengen uns an, weil wir Menschen helfen wollen, die vor Gewalt, Bedrohung, Schändung, Mord, vor Krieg und Unterdrückung geflohen sind."

In Dänemark geht die neu gewählte bürgerliche Regierung derweil davon aus, dass die Menschen vor allem aus einem Grund kommen: wegen der großzügigen Sozialleistungen ihres Staates. Im Juli veröffentlichte sie eine Tabelle, die Schlepperbanden offenbar dazu nutzen, Werbung für bestimmte Ziele in Europa zu machen. Sie stammte von Frontex, die dänische Integrationsministerin teilte sie auf Facebook. Die Tabelle vergleicht Sozialleistungen und Regeln für Asylbewerber in Deutschland, den Niederlanden, Schweden, Norwegen und Dänemark.

Dänemark soll nun so schnell wie möglich von dieser Liste verschwinden. Nur eine Woche nach Amtsantritt schlug Rasmussen dem Parlament eine erste Reform des Asylrechts vor, kommenden Dienstag tritt sie in Kraft. Jeder alleinstehende Erwachsene, der danach in Dänemark ankommt, erhält nur noch etwa halb so viel Unterstützung wie zuvor, umgerechnet knapp 800 Euro. Das ist immer noch vergleichsweise viel Geld, allerdings müssen Steuern abgezogen und die hohen Lebenshaltungskosten in Dänemark berücksichtigt werden. Die neue Regel gelte für jeden, der nicht sieben der vergangenen acht Jahre in Dänemark gelebt hat - Däne wie Ausländer, betont das Integrationsministerium. Weitere Schritte seien geplant.

"Flüchtlingspolitik ist eine sehr nationale Angelegenheit", sagt Marcus Knuth, der integrationspolitische Sprecher der regierenden, liberalen Venstre in Dänemark. Deswegen könne die dänische Regierung das Nachbarland für seinen Ansatz kaum kritisieren. Privat wundere er sich aber, dass Schweden so viele Menschen aufnimmt. Manche Dänen seien besorgt, dass Schwedens Politik Konsequenzen für die Nachbarländer haben könnte, wenn es die Massen nicht mehr bewältigen kann.

Schweden zahlt alleinstehenden Asylsuchenden einen Tagessatz von umgerechnet 7,50 Euro, wenn sie in einem Heim untergebracht sind. Sobald sie das Bleiberecht haben und an Integrationskursen teilnehmen, erhalten sie mehr. Viele kommen auch deswegen nach Schweden, weil Bekannte bereits dort sind. Außerdem ist Schweden großzügig, wenn es ums Bleiberecht geht oder darum, die Familie nachzuholen.

"So schaffen wir einen Nährboden für mehr Parallelgesellschaften."

Um die Last besser zu verteilen, dringt Schweden auf eine gemeinsame europäische Lösung. Dänemark dagegen lehnt dies ab. Der eine Nachbar strebt nach mehr Gemeinschaft, der andere schottet sich ab.

In Dänemark wird laut darüber diskutiert, ob Flüchtlinge dem Land schaden. In Schweden gilt das als fremdenfeindlich. Für Marcus Knuth, den Integrationssprecher der Liberalen in Kopenhagen, ein wesentlicher Punkt: "Wir haben eine offene und kritische Debatte seit 20 Jahren", sagt er. "In Schweden hat diese nie stattgefunden." Während die rechtspopulistische Dänische Volkspartei seit 2001 verschiedene Koalitionen unterstützt, sind die Schwedendemokraten in Stockholm isoliert. Doch am Rand oder mittendrin - die Rechtspopulisten haben in beiden Ländern wachsenden Erfolg. Die Schwedendemokraten kamen in einer Umfrage im August auf 18,6 Prozent, die Dänische Volkspartei holte bei den Wahlen im Juli 21,1.

Die Schwedendemokraten sind auch deshalb so stark, weil die Überforderung der Behörden in Schweden spürbar wird. Die Flüchtlinge selbst nehmen sie wahr, sie suchen immer häufiger woanders Zuflucht. Mit mehr als 100 000 Asylbewerbern hatte die Migrationsbehörde ursprünglich 2015 gerechnet, nun hat sie die Prognose auf 74 000 gesenkt. Sie erklärt dies mit "Schwedens sinkender Reputation als Empfängerland". Die durchschnittliche Wartezeit für den Asylentscheid betrage inzwischen zehn Monate. Zudem werde es für jene mit Bleiberecht immer schwieriger, Job und Wohnung zu finden, so eine Sprecherin der Behörde. "Wir können sehen, dass viele nun in Deutschland Asyl beantragen."

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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