Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt:So lassen sich öffentliche Plätze schützen

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  • Nach dem Anschlag in Berlin werden Vorschläge laut, wie Weihnachtsmärkte besser zu schützen wären.
  • Massive Absperrungen, etwa aus Beton, eignen sich dafür besser als Polizisten mit Maschinenpistolen - wenn auch nicht gegen Selbstmordattentäter, die um sich schießen.
  • Doch nicht nur Weihnachtsmärkte, sondern auch Volksfeste, Fußgängerzonen, Restaurants und Stadien sind potenzielle Anschlagsziele - und somit in der Masse kaum zu sichern.

Von Joachim Käppner

Zwischen zehn und zwölf Jahren Haft: Das Frankfurter Oberlandesgericht verhängte 2003 harte Strafen gegen vier Algerier, auch wegen der Symbolkraft des Ortes, den die islamistischen Angeklagten drei Jahre zuvor als Anschlagsziel ausgewählt hatten. Tatwerkzeug der Gruppe sollte ein zur Bombe umgebauter Schnellkochtopf sein. Mit dem geplanten Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt hätten sie "den Lebensnerv einer freien westlichen Gesellschaft treffen" und sehr viele Menschen töten wollen, urteilte das Frankfurter Oberlandesgericht 2003. Fahnder hatten die Zelle noch rechtzeitig ausgehoben.

Es war eines der ersten Male, dass das harmlose Vergnügen der Weihnachtsmärkte als Ziel von Terroranschlägen genannt wurde. Bis dahin hatte die Polizei auf den Märkten höchstens auf Taschendiebe oder von zu viel Glühwein Berauschte achten müssen. Seither, vor allem aber seit dem Aufkommen des terroristischen "Kalifatstaates" des IS in Syrien und dem Irak 2014 und dem internationalen Kampf gegen ihn, gelten Weihnachtsmärkte als mögliche Terrorziele: leicht zugänglich, unübersichtlich, voller Menschen und nicht zuletzt von jener christlichen Symbolik, die den meisten Besuchern wohl weniger wichtig ist als den Fanatikern, welche darin Versammlungsorte der "Feinde Gottes" sehen.

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"Keine 100-prozentige Sicherheit" auf deutschen Weihnachtsmärkten

Nun ist es also geschehen, am Montagabend mitten in Berlin. Dort bleiben die Weihnachtsmärkte anderntags geschlossen. In einer eiligen Telefonschaltkonferenz am Dienstagmorgen beschlossen die Innenminister von Bund und Ländern freilich, "die Weihnachtsmärkte und andere Großveranstaltungen sollen bundesweit auch weiterhin stattfinden"; die örtlichen Behörden hätten über "lageangepasste und angemessene Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit" zu entscheiden.

Nur: Was ist angemessen? Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU) aus dem Saarland, kündigte für sein Bundesland sogar an: "Wir werden, wo wir es für erforderlich halten, auch mit schwerem Gerät antreten. Das heißt, Langwaffen, Kurzwaffen, Maschinenpistolen." Den Begriff "Kriegszustand", den er gebraucht hatte, nahm er später zurück.

Die Frage bleibt: Lassen sich solche Taten überhaupt verhindern? Ob ein abendliches Durchfahrtverbot für Laster über 3,5 Tonnen, wie es die Stadt Dortmund jetzt erlassen hat, Terroristen abschreckt, ist zweifelhaft. Das erste Problem ist die Vielzahl der möglichen Anschlagsziele. Je nach Definition gibt es zwischen 1500 und 2500 Weihnachtsmärkte in Deutschland, in den Großstädten allein sind es jeweils Dutzende. Obwohl die Polizei laut Oliver Malchow, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), "ziemlich gut gerüstet" sei, könne sie bei so vielen Märkten "keine 100-prozentige Sicherheit" gewährleisten. Die Einsatzkonzepte sehen zum einen Schutz durch sichtbare Präsenz vor - längst gehören Fußstreifen von Uniformierten zum typischen Bild eines Weihnachtsmarkts. Unterwegs sind außerdem Beamte in Zivil, die nach auffälligen oder verdächtigen Personen Ausschau halten.

Einen heranbrausenden Lkw zu stoppen, ist extrem schwierig

Allerdings ist es, selbst wenn Polizisten an der Zufahrt zum Weihnachtsmarkt stehen, sehr schwer, einen heranrasenden Lastwagen aufzuhalten. Selbst wenn sie die Absicht eines Fahrers erkennen, müssten die Umstände sehr günstig, und es muss noch Zeit genug sein, ihn mit wenigen Schüssen der Dienstpistole außer Gefecht zu setzen. Beim Anschlag am 14. Juli in Nizza, während der Feiern zum französischen Nationalfeiertag, rannten Beamte hinter dem durch die Menge rasenden Lkw des Attentäters her, ohne ihn anfangs stoppen zu können. Im kurzen Verlauf der Schreckensfahrt feuerte die französische Polizei mindestens 50 Mal auf den Wagen. Als der Fahrer schließlich erschossen wurde, waren schon Dutzende Menschen tot, insgesamt belief sich die Opferzahl auf 84.

Mehrere Bundesländer schicken nun Polizisten auf den Weihnachtsmarkt, die mit den wirksameren Maschinenpistolen ausgerüstet sind. Zu den "Langwaffen", von denen Bouillon sprach, gehören Gewehre. In Frankreich patrouillieren Soldaten mit Schnellfeuergewehren durch die Straßen - auch über den Straßburger Weihnachtsmarkt, dessen Zugänge blockiert sind wie die einer mittelalterlichen Festung.

Ein einfacheres Mittel zumindest gegen Angriffe mit Fahrzeugen - wenn auch nicht gegen Selbstmordattentäter, die um sich schießen oder Sprengsätze zünden würden - sind natürlich solche Absperrungen. An manchen Flughäfen oder auf dem Münchner Jakobsplatz, wo die Synagoge und das Jüdische Gemeindezentrum wieder einen Ort mitten in der Altstadt gefunden haben, sichern einziehbare, massive Poller jede Zufahrt. Solche zu errichten, ist aufwendig und teuer, schneller geht es mit Betonhindernissen.

Die Bonner Polizei hat am Dienstag, so Sprecher Frank Piontek, die Zufahrten zum Weihnachtsmarkt auf dem Münsterplatz mit schweren Fahrzeugen versperrt und vorhandene Poller ausgefahren. Der Lieferverkehr zum Weihnachtsmarkt bleibt morgens möglich, doch werden alle Fahrzeuge kontrolliert.

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Potenzielle Ziele gibt es in unbegrenzter Menge

Andreas Korger, Vorsitzender des Verbandes deutscher Festwirte, sieht derlei skeptisch: "Im Einzelfall sind Poller und Betonsperren sicher wirksam", sagt der Würzburger, der in seiner Stadt Weinfeste organisiert, "aber in der Breite ist das keine Lösung." Er weiß: "Allen meinen Kollegen geht der Berliner Anschlag an die Nieren", aber: "Wir können doch nicht alle öffentlichen Plätze des Landes einmauern."

Selbst wenn die Weihnachtsmärkte in Hochsicherheitszonen verwandelt würden - wer freie Gesellschaften durch Terror verunsichern will, findet nahezu unbegrenzt weitere Ziele: Märkte und Volksfeste, Bahnhöfe und Busterminals, Einkaufszentren und Fußgängerzonen, belebte Straßen, Restaurants und Stadien, Konzertsäle - jeden Ort, an dem Menschen sich frei und ohne Bedenken versammeln. Paris hat diese Erfahrung im November 2015 machen müssen, als 130 Menschen bei koordinierten Terrorangriffen mit Bomben und automatischen Waffen starben.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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